Neue Studie kartiert Bindungsstellen von Proteinen über verschiedene Spezies hinweg

Proteinstruktur der menschlichen Phosphodiesterase. In Blaugrün ist die Bindungsstelle dargestellt, an die das kleine Molekül GMP (Stabmodell) bindet. Bild: © MPI-MP

Wissenschaftler erhalten mithilfe von mit Künstlicher Intelligenz (KI) vorhergesagten Proteinstrukturen erstmals einen umfassende Einblick über alle Bindungsstellen – das sogenannte Pocketom – von elf verschiedenen Arten.

Proteine erfüllen ihre vielfältigen Funktionen durch physikalische Wechselwirkungen mit anderen Molekülen. Diese Wechselwirkungen finden an bestimmten Bindungsstellen auf der Oberfläche von Proteinen statt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) haben nun eine systematische Untersuchung des Pocketoms bei elf verschiedenen Arten aus unterschiedlichen Lebensbereichen durchgeführt. Zu den analysierten Proteomen gehörten diejenigen von Menschen, Mäusen, Hefen, dem Darmbakterium Escherichia coli und einer Nematodenart sowie wichtige Nutzpflanzenarten wie Reis und Mais.

Kartierung von Bindungsstellen und ihren Merkmalen

Mithilfe von mehr als 220.000 KI-vorhergesagten Proteinstrukturen aus der AlphaFold-Datenbank und hochentwickelten computergestützten Taschenerkennungswerkzeugen identifizierten die Bioinformatiker Hanne Zillmer und Dirk Walther fast 100.000 potenzielle Bindungsstellen in den elf Arten. Sie verglichen und gruppierten diese Stellen innerhalb und zwischen den Arten und erstellten eine globale Karte der Bindungsstellen und ihrer zugehörigen Merkmale.

„Die Verfügbarkeit von KI-basierten und zuverlässig vorhergesagten Proteinstrukturen, wie sie von AlphaFold generiert werden, ermöglicht nun eine beispiellose Breite und Tiefe struktureller Untersuchungen”, sagt Doktorandin Zillmer.

Bindungsstellen nehmen nicht proportional zum Proteom zu

Die Studie offenbarte einen überraschenden evolutionären Trend: Mit der Entwicklung komplexerer Proteome nahm die Vielfalt ihrer Bindungsstellen sublinear zu. Einfacher ausgedrückt: Während die Anzahl der Proteine mit der Evolution zunahm, wuchs die Anzahl der unterschiedlichen molekularen Interaktionsstellen weniger als proportional, was auf mögliche Grenzen oder einen geringen Bedarf an strukturellen und funktionellen Innovationen hindeutet.

„Wir hatten erwartet, dass mehr Proteine proportional zu einer größeren Vielfalt an Interaktionsstellen führen würden“, sagt Walther, Professor für Bioinformatik. „Stattdessen scheint die Evolution entweder bei der Gestaltung völlig neuer Bindungsstellen eingeschränkt zu sein, oder es besteht nur ein begrenzter Bedarf an völlig neuen Interaktionsmodi.“

Neue speziesübergreifende Erkenntnisse

„Mit dieser nun verfügbaren umfassenden Übersicht über die Pocketom verschiedener Spezies wird eine systematische Untersuchung der molekularen Interaktionen zwischen Proteinen und kleinen Molekülen sowie das Verständnis der spezies- oder gattungsspezifischen Bindungsmodi erheblich erleichtert“, hebt Zillmer hervor.

Darüber hinaus liefert die Forschung eine Perspektive über viele Spezies hinweg, die in diesem Bereich bisher weitgehend fehlte. Während sich die meisten früheren Studien auf biomedizinische Anwendungen und die Arzneimittelwirksamkeit von Bindungsstellen oder Unterschiede zwischen Arzneimittel-Protein- und Metabolit-Protein-Bindungsereignissen konzentrierten, betont diese Studie die evolutionären Trends und die strukturelle Vielfalt im gesamten Stammbaum des Lebens. Artenübergreifende Vergleiche könnten beispielsweise auch dazu beitragen, sicherere Agrochemikalien zu entwickeln, die speziell auf Krankheitserreger abzielen, aber in Bestäubern oder Menschen inaktiv sind.

Der vollständige Datensatz, Visualisierungen und Software-Tools sind als Open Source verfügbar.