Neue US-amerikanische Leitlinie zum Management der Herzinsuffizienz11. April 2022 Foto: ©chrupka – stock.adobe.com Am 1. April hat das American College of Cardiology (ACC) gemeinsam mit der American Heart Association (AHA) und der Heart Failure Society of America (HFSA) eine neue Leitlinie zum Management der Herzinsuffizienz publiziert. Eine wesentliche Rolle in der medikamentösen Behandlungsstrategie spielen nun auch die SGLT-2-Inhibitoren. „Ein Hauptziel der neuen Leitlinie war es, unsere Empfehlungen für die Bewertung und Behandlung der Herzinsuffizienz anhand kürzlich veröffentlichter Daten zu aktualisieren“, betont Paul A. Heidenreich, Vorsitzender des Ausschusses zur Erstellung der Leitlinie. „Ein Schwerpunkt war die Prävention der Herzinsuffizienz durch Optimierung der Blutdruckkontrolle und Einhaltung eines gesunden Lebensstils.“ Zudem habe in den letzten Jahren die Zahl der wissenschaftlichen Untersuchungen zur bestmöglichen Behandlung der symptomatischen Herzinsuffizienz zugenommen. „Mit dieser neuen Leitlinie hofft das Autorenkomitee, einer größeren Zahl von Patienten mit Herzinsuffizienz bessere Behandlungsmöglichkeiten bieten zu können“, sagt Heidenreich. Vier Stadien der Herzinsuffizienz Die ACC/AHA-Stadien der Herzinsuffizienz (HF), von A bis D, betonen die Entwicklung und das Fortschreiten der Krankheit, wobei fortgeschrittene Stadien auf eine schwerere Erkrankung und eine geringere Überlebensrate hinweisen. In der neuen Leitlinie wurden diese Stadien dahingehend überarbeitet, dass Risikofaktoren für eine Herzinsuffizienz frühzeitig erkannt werden (Stadium A, HF-Risiko) und dass eine Behandlung erfolgt, bevor strukturelle Veränderungen oder Anzeichen einer verminderten Herzfunktion auftreten (Stadium B, Prä-HF). Konkret sind die Stadien wie folgt definiert: Stadium A – Risiko für HF: Gefährdet, aber ohne Symptome, strukturelle Herzerkrankung oder Bluttests, die auf eine Herzmuskelschädigung hinweisen. Dazu gehören Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes, metabolischem Syndrom und Fettleibigkeit sowie Menschen mit Medikamenten oder Behandlungen, die das Herz schädigen können (z. B. Chemotherapie), oder mit einem erblich bedingten Risiko für Herzversagen. Stadium B – Prä-HF: Keine Symptome oder Anzeichen von HF, aber Anzeichen für eine der folgenden Erkrankungen: strukturelle Herzerkrankung, z. B. verminderte Auswurffraktion, Vergrößerung des Herzmuskels, Anomalien der Herzmuskelkontraktion oder Herzklappenerkrankung; erhöhter Füllungsdruck, gemessen mit Ultraschall; oder Risikofaktoren aus Stadium A plus erhöhte Werte von BNP oder anhaltend erhöhtes kardiales Troponin. Stadium C – Symptomatische HF: Strukturelle Herzerkrankung mit aktuellen oder früheren Symptomen einer Herzinsuffizienz. Zu den Symptomen gehören Kurzatmigkeit, anhaltender Husten, Schwellungen (in den Beinen, Füßen, im Bauch), Müdigkeit und Übelkeit. Stadium D – Fortgeschrittene HF: HF mit Symptomen, die das tägliche Leben beeinträchtigen, schwer zu kontrollieren sind und trotz fortgesetzter leitliniengerechter medizinischer Therapie zu wiederholten Krankenhausaufenthalten führen. Die Klassifizierung der New York Heart Association (NYHA-Klasse I–IV) wird verwendet, wenn Menschen die symptomatische (Stadium C) oder fortgeschrittene (Stadium D) Herzinsuffizienz erreichen, um ihre Funktionsfähigkeit zu beschreiben und Behandlungsstrategien festzulegen. Vier LVEF-basierte HF-Kategorien Auf Grundlage der LVEF führt die neue Leitlinie zudem vier HF-Kategorien mit neuer Terminologie ein: HF mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) umfasst Personen mit einer LVEF ≤40 %. HF mit verbesserter Ejektionsfraktion (HFimpEF) umfasst Personen mit einer früheren LVEF ≤40 % und einer Folgemessung der LVEF >40 %. HF mit leicht reduzierter Auswurffraktion (HFmrEF) umfasst Personen mit einer LVEF von 41-49 % und Anzeichen eines erhöhten LV-Füllungsdrucks. HF mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) umfasst Personen mit einer LVEF ≥50 % und Anzeichen für einen erhöhten LV-Füllungsdruck. Mit HFimpEF verfügt die US-Leitlinie somit über eine zusätzliche Kategorie im vergleich zur europäischen Leitlinie. Die Definitionen der anderen drei Kategorien (HFrEF, HFmrEF, HFpEF) entsprechen sich im Wesentlichen. Risiko für Herzinsuffizienz in Stadium A Das ACC weist daraufhin, dass allein in den USA etwa 121,5 Millionen an Bluthochdruck leiden, 100 Millionen an Fettleibigkeit und 28 Millionen an Diabetes. Damit kann bereits ein großer Teil der US-Bevölkerung als Stadium A und somit als HF-gefährdet eingestuft werden. Für Menschen in dieser Kategorie empfiehlt die Leitlinie eine Blutdruckkontrolle gemäß der neuesten amerikanischen Leitlinien, was einem normalen Ruheblutdruck von unter 120/80 mmHg entspricht. Menschen mit Typ-2-Diabetes und entweder einer etablierten kardiovaskulären Erkrankung oder einem hohen kardiovaskulären Risiko wird empfohlen, SGLT-2-Inhibitoren in Betracht zu ziehen, die nachweislich das Überleben in diesen Bevölkerungsgruppen verbessern. Generell werden die wichtigsten Maßnahmen zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen, um das HF-Risiko zu senken: gesunde Lebensgewohnheiten wie körperliche Aktivität, gesunde Ernährungsgewohnheiten, Verzicht auf Rauchen und ein gesundes Gewicht. Stadium B – Im Frühstadium der Herzinsuffizienz Während die Empfehlungen für das Stadium A auch für Menschen im Stadium B gelten, haben Menschen mit Prä-HF die Möglichkeit, zusätzliche Medikamente zur Vorbeugung symptomatischer HF einzunehmen. Bei Menschen mit HF im Stadium B mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) ≤40 Prozent sollten demnach ACE-Hemmer (Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer, ACEi) eingesetzt werden, um die Entwicklung von HF-Symptomen zu verhindern. Angiotensinrezeptorblocker (ARB) können bei Intoleranz oder Kontraindikation gegenüber ACEi verschrieben werden. Cholesterinsenkende Statine werden für Personen empfohlen, die bereits einen Herzinfarkt oder ein akutes Koronarsyndrom erlitten haben. Stadium C – Die symptomatische Herzinsuffizienz Menschen, die mit HF-Symptomen das Stadium C erreicht haben, sollten laut Leitlinie von multidisziplinären Teams betreut werden, um eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie und Unterstützung bei der Selbstbehandlung zu erhalten. Damit sollen sie lernen, mit den Symptomen umzugehen. „Zur Unterstützung der Selbstfürsorge gehört auch, dass sie verstehen, wie wichtig es ist, die Medikamente wie vorgeschrieben einzunehmen und gesunde Verhaltensweisen beizubehalten, z. B. die Natriumaufnahme einzuschränken und körperlich aktiv zu bleiben“, wie das ACC erläutert. Weiterhin sollten Menschen im Stadium C wissen, wie sie sich selbst auf Anzeichen einer sich verschlechternden HF überwachen können und was bei diesen Symptomen zu tun ist. Empfohlen werden Untersuchungen zur Ermittlung möglicher medizinischer oder sozialer Hindernisse für eine wirksame Selbstversorgung sowie Aufklärung und Unterstützung, um Rehospitalisierungen zu vermeiden und die Überlebensrate zu verbessern. Schließlich sollten Personen mit HF im Stadium C umfassend gegen Atemwegserkrankungen einschließlich COVID-19 geimpft werden. Aufstieg der SGLT-2-Hemmer Wie auch in der europäischen Leitlinie von August 2021 wird in der US-Leitlinie nun die Empfehlung von vier Medikamentenklassen zur pharmakologischen Behandlung von Menschen mit HFrEF ausgesprochen – zusätzlich zu den Diuretika, die für Patienten mit Flüssigkeitsretention empfohlen werden. Zu den vier Medikamentenklassen gehören die Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Hemmern (ARNi), die Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA), Betablocker und SGLT2i. Die ACEi werden empfohlen, sofern die ARNi nicht eingesetzt werden können und ARB stehen für Personen mit einer Unverträglichkeit oder möglichen unerwünschten Reaktion auf ACEi zur Verfügung. Die SGLT2i werden für Personen mit symptomatischer chronischer HFrEF empfohlen, unabhängig vom Vorliegen eines Typ-2-Diabetes. „Unabhängig vom Diabetes-Status haben die Studien DAPA-HF und EMPEROR-HF den Nutzen einer Behandlung von Patienten mit HFrEF mit SGLT2i verdeutlicht und eine 30-prozentige Verringerung der Herzinsuffizienz-bedingten Rehospitalisierung gezeigt. Dies ist ein großer Fortschritt bei der Senkung der Sterblichkeitsrate in dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe“, sagte Biykem Bozkurt, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses zur Erstellung der Leitlinie. SGLT-2-Hemmer auch für Menschen mit HFmrEF und HFpEF Personen mit HFmrEF oder mit einer LVEF von 41-49 % sollten laut US-Leitlinie zunächst mit einem SGLT2i und bei Bedarf mit Diuretika behandelt werden. Damit unterscheidet sich die Leitlinie von den jüngsten europäischen Vorgaben, die die SGLT2i in dieser Kategorie der Herzinsuffizienz bislang noch gar nicht aufführen. ARNi, ACEi, ARB, MRA und Betablocker werden von der US-Leitlinie in dieser Population als schwächere Empfehlungen angesehen, da die Evidenz in dieser Population weniger robust sei. Die Leitlinie empfiehlt auch, die LVEF bei Menschen mit HFmrEF wiederholt zu untersuchen, da sich die LVEF im Laufe der Zeit ändern könne. Gemäß der US-Leitlinie sollten Menschen mit HFpEF und Bluthochdruck Blutdruckziele anstreben, die den klinischen Leitlinien entsprechen. Auch die Behandlung von Vorhofflimmern könne die Symptome verbessern. Zudem könnten SGLT2i bei Menschen mit HFpEF dazu beitragen, die Zahl der HF-Hospitalisierungen und die kardiovaskuläre Mortalität zu senken, wie es in der Leitlinie heißt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Empfehlung, die aufgrund mangelnder Studienlage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung so noch nicht in der Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) erscheint. Experten der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie gingen jedoch bereits im Herbst 2021 davon aus, dass mit der im Oktober des gleichen Jahres publizierten Studie EMPEROR-Preserved auch die ESC-Leitlinie in diesem Punkt in naher Zukunft aktualisiert werden wird. Schließlich können laut neuer US-Leitlinie bei ausgewählten Personen mit HFpEF MRAs, ARBs und ARNi in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Personen mit einer LVEF am unteren Ende des HFpEF-Spektrums. Für Personen der Kategorie HFimpEF empfiehlt die US-Leitlinie, die leitliniengerechte pharmakologische Therapie selbst bei asymptomatischen Patienten beizubehalten, um einen erneuten Rückfall der Herzinsuffizienz und der LV-Dysfunktion zu verhindern. Die Leitlinie enthält auch Empfehlungen für implantierbare Herzgeräte und kardiale Revaskularisationstherapien, Diagnose und Behandlung von kardialer Amyloidose, spezielle Überweisungen für Personen mit fortgeschrittener HF im Stadium D sowie Empfehlungen für das Management von Vorhofflimmern und Herzklappenerkrankungen bei HF und Kardio-Onkologie. Die „2022 AHA/ACC/HFSA Guideline for the Management of Heart Failure“ wurde gleichzeitig in den Fachmagazinen „Journal of the American College of Cardiology“, „Circulation“ und „Journal of Cardiac Failure“ veröffentlicht. (ah)
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