Neue Zielorte für gegen GPCR gerichtete Medikamente12. Mai 2022 In der beispielhaften Darstellung eines GPCR-Proteins sind bereits bekannte (KS) sowie neu identifizierte Bindungstaschen (OS) verzeichnet, für die erst noch Kopplungspartner gefunden werden müssen. Grafik: Janik Hedderich Eine computergestützte Analyse bereichert die Arzneimittelforschung: Ein internationales Team hat mithilfe einer Software neue Angriffspunkte für künftige Medikamente gefunden. Die Forschenden entdeckten bei einer der größten Proteinfamilien mehrere neue Kopplungsstellen, an denen Wirkstoffe ansetzen können. Sie bilden die größte Familie von Proteinen, die als Ziel von Medikamenten dienen: G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, kurz GPCR sind an zahlreichen Lebensvorgängen beteiligt. Hierzu zählen Entzündungen, die Verarbeitung von Sinnesempfindungen und die Wirkung von Hormonen. Das spiegelt sich auch in der Bedeutung dieser Proteine für die Medizin wider: Fast ein Drittel der rezeptpflichtigen Arzneimittel richtet sich gegen GPCR. „Um die Proteine zu blockieren oder zu stimulieren, benötigt man Wirkstoffe, die genau in eine der zahlreichen Bindungstaschen der Proteine passen“, erläutert der Pharmazeutische Chemiker Prof. Peter Kolb von der Philipps-Universität Marburg, einer der Leitautoren des Fachaufsatzes.GPCR-Proteine dienen dazu, Signale von der Außenseite einer Zelle in deren Inneres weiterzuleiten, so dass die Zelle auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren kann. Um ihre Wirkung zu entfalten, koppeln Hormone und andere körpereigene Botenstoffe an die Bindungstaschen der GPCR-Proteine. Man kann die Wirkung dieser Botenstoffe unterdrücken, indem man die Bindungstaschen anderweitig besetzt.„Die bisher genutzten Kopplungsstellen ähneln einander jedoch häufig sehr stark“, führt Kolb aus; „deswegen wirken Arzneistoffe oft zu wenig selektiv“. Dadurch steigt die Gefahr von Nebenwirkungen. So verwendet man Betablocker, um ein GPCR-Protein im Herzen zu blockieren; schaltet man dasselbe Ziel jedoch im Lungengewebe aus, kann dies Asthmaanfälle auslösen.Um neue Bindungsstellen zu finden, taten sich die Arbeitsgruppen von Kolb und dessen Marburger Pharmazie-Kollegen Prof. Moritz Bünemann zusammen, die beide dem Forschungsverbund GLUE angehören; GLUE steht für „GPCR Ligands for Underexplored Epitopes“. Das Konsortium geht der Frage nach, wie Medikamente maßgeschneidert werden können, so dass sie genau zu ihren Angriffspunkten passen, also weniger unbeabsichtigte Nebenwirkungen mit sich bringen. Das Land Hessen unterstützt das mittelhessische Projekt von 2020 bis 2023 mit insgesamt 4,6 Millionen Euro durch sein Förderprogramm „LOEWE“.„Wir haben computergestützt nach alternativen Bindestellen auf 113 verschiedenen GPCR-Proteinen gesucht“, berichtet Kolbs Mitarbeiter und Koautor Janik B. Hedderich. Dabei simulierte und analysierte der Algorithmus, was passiert, wenn kleine Moleküle an unterschiedliche Stellen der Proteine koppeln. Die Studie deckt das gesamte Ensemble aller erkennbaren Taschen ab. „Auf diese Weise fanden wir tatsächlich mehrere Bindungstaschen, die bisher nicht als Ziel von Medikamenten dienen“, führt der Doktorand aus.Experimentelle Untersuchungen an zwei der gefundenen Bindungstaschen ergänzen die Berechnungen. „Wir fügten Mutationen in diese zwei Taschen ein“, erläutert Bünemann. „Die Ergebnisse bestätigen, dass diese Proteinabschnitte eine ausschlaggebende Funktion für die Aktivität der GPCR-Proteine innehaben.“Die Studie stellt die derzeit umfassendste Analyse von GPCR-Bindungstaschen dar. „Unsere Ergebnisse sollen es leichter machen, Bindungspartner für die neu gefundenen Kopplungsstellen zu finden, um so die Aktivität von gesundheitsrelevanten GPCR-Proteinen zu steuern“, sagt Kolb. Ein Team aus der Marburger Pharmazie beteiligte sich federführend an der Suche nach neuen Angriffspunkten für Medikamente (v.l.): Janik Björn Hedderich, Margherita Persechino, Peter Kolb und Moritz Bünemann. Foto: Regina Gerlach-Riehl Kolb ist Professor für Pharmazeutische Chemie an der Philipps-Universität. Hedderich fertigt seine Doktorarbeit in Kolbs Arbeitsgruppe an. Bünemann lehrt in Marburg Pharmakologie und Toxikologie. Er leitet das Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie der Philipps-Universität und steht dem GLUE-Konsortium als Sprecher vor. Neben dem Marburger Team beteiligte sich eine kanadische Arbeitsgruppe an den Forschungsarbeiten.Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Horizon 2020-Programm der Europäischen Union, das GLUE-Projekt sowie die kanadische Förderorganisation CIHR unterstützten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell.
Mehr erfahren zu: "Neue Studie: weitaus weniger Mikroorganismen in Tumoren als bisher angenommen" Weiterlesen nach Anmeldung Neue Studie: weitaus weniger Mikroorganismen in Tumoren als bisher angenommen Ein Forschungsteam der Johns Hopkins University (USA) hat herausgefunden, dass sequenzierte Tumorproben deutlich weniger mikrobielles Erbgut aufweisen, das tatsächlich mit einer bestimmten Krebsart assoziiert ist, als bisher angenommen. Bisherige Ergebnisse […]
Mehr erfahren zu: "KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen" KI in der Medizin: Wie Patienten darüber urteilen Was denken Patienten über Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin? Eine internationale Studie liefert eine Antwort. Zentrales Ergebnis: Je schlechter der eigene Gesundheitszustand, desto eher wird der Einsatz von KI […]
Mehr erfahren zu: "Lassen sich Depressionen und Schmerzen über das Ohr bekämpfen?" Lassen sich Depressionen und Schmerzen über das Ohr bekämpfen? Depressionen, Schlafstörungen, Schmerzen – Millionen Menschen leiden unter langwierigen medizinischen Problemen. Forschende der Hochschule Fresenius und der Universität Düsseldorf arbeiten an einer ungewöhnlichen Lösung. Ausgerechnet das Ohr wird dabei wichtig.