Neuer Risikofaktor für Atherosklerose: Mutationen in den Blutzellen2. September 2024 KI-generiertes Symbolbild: ©catalin/stock.adobe.com Mutationen in den Blutzellen könnten ein relevanter, in der Bevölkerung noch unbekannter Risikofaktor für Atherosklerose sein. Das bekräftigt eine Studie an, die auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2024 vorgestellt wurde. Mutationen in den Blutzellen, auch klonale Hämatopoese (clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) genannt, ist ein gutartiges Phänomen, das bei manchen Menschen im Laufe des Alterungsprozesses entsteht: Es kommt bei einer oder mehreren Blutstamm- oder Blutvorläuferzellen zu Mutationen. Die daraus entstehenden Blutzellen werden als Blutzell-Klon bezeichnet. Es können aber auch schon reife Blutzellen Mutationen entwickeln. Wenn der Anteil an Blutzellen, die zum Blutzell-Klon gehören, mindestens vier Prozent der Blutzellen erreicht, bedeutet das eine Variantenallelfrequenz (VAF) von zwei Prozent. Ab diesem Wert spricht man von CHIP. Jede zehnte Person über 60 Jahren hat CHIP, die Häufigkeit steigt mit dem Alter. Aber auch jüngere Menschen können kleinere Blutzell-Klone entwickeln. Es gibt zahlreiche CHIP-Mutationen, zu den häufigsten gehören zum Beispiel Veränderungen im DNMT3A- und TET2-Gen. Mithilfe der DNA-Sequenzierung des Bluts kann man diese CHIP-Mutationen finden. Assoziationen von CHIP und unter anderem kardiovaskulären Risiken wie Atherosklerose, kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt und einem verkürzten Gesamtüberleben sind bekannt. Die Kausalität von CHIP und kardiovaskulären Erkrankungen ist dahingegen noch nicht ausreichend geklärt. Die Mechanismen von CHIP-Klonen und deren Einfluss auf den Körper wurden in Tierstudien untersucht: Es konnte gezeigt werden, dass CHIP-Mutationen Entzündungsreaktionen im Körper auslösen. So werden kardiovaskuläre Risiko-Vorgänge begünstigt. Diese können wiederum in einem Rückkopplungsmechanismus CHIP fördern. CHIP häufiger als bislang angenommen Eine spanische Studie, die jüngst im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht und auf dem ESC-Kongress 2024 in London (Großbritannien) vorgestellt wurde, bekräftigt die Evidenz für CHIP als kardiovaskulären Risikofaktor. Es handelt sich um eine longitudinale Kohortenstudie, für die 3692 Teilnehmer, die zum Start der Studie zwischen 40 und 55 Jahre alt waren, zu drei Zeitpunkten während des sechsjährigen Studienverlaufs untersucht wurden. Dabei wurden unter anderem eine tiefe DNA-Sequenzierung des Blutes durchgeführt und mithilfe von bildgebenden Verfahren atherosklerotische Plaques in der Oberschenkelarterie detektiert. Die Studie konnte zeigen, dass CHIP das Risiko um den Faktor 2,1 erhöht, in drei Jahren eine Atherosklerose in der Oberschenkelarterie zu entwickeln. Umgekehrt konnten sie keine Zunahme der Blutzell-Klone durch schon vorhandene Atherosklerose feststellen. Daraus leiten die Forschenden ab, dass CHIP unidirektional Atherosklerose begünstigt. Außerdem sei die CHIP-Prävalenz im mittleren Alter mit sechs Prozent drei Mal höher als bisher angenommen. Bedeutung für Diagnostik und Therapie Prof. Stefanie Dimmeler, Direktorin am Institut für kardiovaskuläre Regeneration an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, ordnet die Studienergebnisse ein: „Wir wissen, dass die aktuell bekannten ‚klassischen‘ Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie oder Bluthochdruck nur für etwa 50 Prozent der entstandenen Atherosklerosefälle verantwortlich sind. CHIP könnte einer der bisher unbekannten zusätzlichen ‚unmodifizierbaren‘ Risikofaktoren sein und könnte in der Prävention eine bedeutende Rolle spielen.“ Derzeit werde daran gearbeitet, die Umsetzbarkeit und Bedeutung von CHIP in der Prävention zu erforschen. Die Kosten für die Sequenzierung, wie sie in der neuen Publikation verwendet wurde, seien jedoch noch sehr hoch. „Es werden jedoch bereits kostengünstigere Alternativen entwickelt, die unter 100 Euro liegen sollten“, so Dimmeler. Bezüglich therapeutischer Maßnahmen in Zusammenhang mit CHIP erläutert sie weiter: „Neben einer aggressiveren Therapie von Patienten mit CHIP durch bereits verfügbare Medikamente könnte insbesondere die Entwicklung neuer, gezielter Therapeutika helfen, die Entstehung atherosklerotischer Läsionen bei Patienten zu verhindern. Hier könnten antiinflammatorische Medikamente, die bereits bei Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt werden, oder auch völlig neue Strategien erfolgreich sein.“ Weitere Studien notwendig Dr. Moritz von Scheidt, Facharzt für Kardiologie und Leiter der Spezialsprechstunde Klonale Hämatopoese (CHIP) am Deutschen Herzzentrum München, weist auf Limitationen der Studie mit Blick auf die Generalisierbarkeit der Daten hin: „Die Analyse beschränkt sich auf eine homogene ethnische Gruppe. Zudem wurde der Einfluss von CHIP auf die Entwicklung neuer kardiovaskulärer Erkrankungen unvollständig untersucht. Der Fokus auf häufige Mutationen erlaubt keine Aussage auf potenzielle Effekte seltener CHIP-Mutationen. Trotz dieser Limitationen ist diese Arbeit durch die Tiefe der Sequenzierung und die longitudinale Nachverfolgung von bedeutender Relevanz für die Gesundheitsversorgung.“ Von Scheidt ist der Ansicht, dass ein CHIP-Screening bei Patienten mit Risikoprofil erarbeitet und national implementiert werden sollte. Weiterhin seien Leitlinien-relevante (antiinflammatorische) Endpunkt-Studien bei CHIP notwendig. Christoph Binder, Professor für Atheroskleroseforschung und stellvertretender Leiter der Abteilung für medizinische und chemische Labordiagnostik an der Abteilung für Laboratoriumsmedizin, Medizinische Universität Wien (Österreich), weist auf eine groß angelegte Studie mit mehr als 63.000 Patienten hin. Diese hat gezeigt, dass CHIP möglicherweise eher in der Primär- als in der Sekundärprävention von Herzinfarkten eine Rolle spielt. „Letzteres sollte im Zusammenhang mit antiinflammatorischen Therapien berücksichtigt werden, welche oft bei CHIP als Möglichkeit diskutiert werden, aber für Effekte bei der Sekundärprävention evaluiert werden. Hierfür benötigen wir noch viel mehr mechanistische Einblicke.“
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