Neuordnung der Notfallversorgung sorgt für Zwist zwischen Vertretern des stationären und ambulanten Sektors20. Januar 2023 Gerald Gaß und Andreas Gassen (v.l.). Fotos: Otto/DKG, Lopata/axentis, [M] Biermann Verlag Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) beharken sich nach der Vorstellung von Ergebnissen einer Blitzumfrage und weisen dabei jeweils auf Schwächen des anderen Sektors hin. Laut der Blitzumfrage, die das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) im Auftrag der DKG durchgeführt hat, suchen Menschen in Deutschland aufgrund mangelnder ambulanter Angebote überwiegend Hilfe in den Notaufnahmen der Krankenhäuser, die von den Kliniken „nicht annähernd kostendeckend“ betrieben werden könnten. Die KBV wertet die Umfrageergebnisse als „Nebelwand für Politik und Öffentlichkeit, um von den eigenen und hausgemachten Problemen abzulenken“. Der Blitzumfrage zufolge werden sämtliche Notaufnahmen in Deutschland defizitär betrieben, „kein Krankenhaus erreicht mit seiner Notfallversorgung auch nur ein ausgeglichenes Ergebnis“, berichtet die DKG. Hinzu kämen anhaltende Kapazitätsprobleme vor allem aufgrund des Personalmangels. So hätten 2022 etwa 77 Prozent der Krankenhäuser ihre Notfallambulanzen mindestens einmal komplett abmelden müssen. „Die wirtschaftliche Lage der Notfallambulanzen ist desaströs und trägt zusammen mit einer fehlenden Patientensteuerung maßgeblich zur massiven ökonomischen Schieflage vieler Krankenhäuser und damit zur drohenden Insolvenzwelle bei. Hier besteht großer Handlungsbedarf. Wir erwarten, dass die Vorschläge der Regierungskommission zur Notfallversorgung genau diese Probleme adressieren“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß. Gleichzeitig habe die Umfrage ergeben, dass die Notaufnahmen für die Menschen in Deutschland der erste Anlaufpunkt sind, wenn es um Hilfe im Notfall oder um medizinische Hilfe außerhalb der Sprechzeiten der Praxen geht. „Besondere Spitzen verzeichnen die Notaufnahmen während der üblichen Schließzeiten der Praxen. Der größte Teil der Patientinnen und Patienten erreicht sie fußläufig oder mit eigenem Transport, die Hotline der Kassenärztlichen Vereinigungen 116 117 spielt praktisch keine Rolle“, berichtet die DKG. Drei Viertel der Krankenhäuser gaben der Umfrage zufolge auch an, „mit den Kassenärztlichen Vereinigungen nur mittelmäßig oder gar schlecht zusammenzuarbeiten“. „Die Notaufnahmen sind vielerorts zum Ersatz der wegbrechenden Versorgung im niedergelassenen Bereich geworden. Wer abends und am Wochenende keine ärztliche Hilfe findet oder bei akuten Beschwerden auf Termine in weiter Zukunft vertröstet wird, wählt den Weg in die Notfallambulanzen und erhält in den Krankenhäusern nach wie vor umgehend und verlässlich kompetente Versorgung“, sagt Gaß und fordert die Politik auf „diese Realität anzuerkennen. Es gelinge dem niedergelassenen Bereich nicht, seine Pflicht zur ambulanten Notfallversorgung umfassend zu erfüllen. „Unser Vorschlag sind integrierte Notfallzentren in den Kliniken, in denen Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte in Portalpraxen und Notfallambulanzen kooperativ die Notfallversorgung übernehmen. Mittelfristig gilt es, den Krankenhäusern die Möglichkeit zu geben, ihre ambulanten Potenziale für die Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Nur so können wir medizinische Versorgung angesichts des vor allem in der Fläche wegbrechenden niedergelassenen Sektors flächendeckend und rund um die Uhr sichern“, so Gaß weiter. Er weißt dabei auf ein Konzept zu einer Reform der Notfallversorgung hin, das die DKG bereits 2022 ausgearbeitet und zur Diskussion vorgelegt habe. KBV sieht in den Umfrageergebnissen ein Ablenkungsmanöver von hausgemachten Problemen „Mit ihrer sogenannten Blitzumfrage hat die DKG eine Nebelwand für Politik und Öffentlichkeit aufgebaut, um von den eigenen und hausgemachten Problemen abzulenken. Zu viele Krankenhäuser machen alles und das häufig nicht richtig. Die Notfallversorgung muss an weniger Standorten konzentriert und personell sowie mit Apparaten besser ausgestattet werden“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Gassen. „Es klingt wie der wohlfeile Ruf ´Haltet den Dieb‘, wenn die DKG lautstark den ambulanten Bereich als Problem erkannt haben will. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall“, ergänzt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. „Die Fallzahlen bei den Notaufnahmen der Krankenhäuser haben das Vorcorona-Niveau längst nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie bleiben dauerhaft darunter“. Wie die Berichterstattung des Robert-Koch-Instituts gezeigt habe, setze sich der Trend einer rückgehenden Inanspruchnahme des Notdienstes auch in diesem Jahr fort. Gleichzeitig würden mehr als die Hälfte der Fälle während der Einsatzzeiten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes von den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen behandelt, so Hofmeister weiter. „Trotzdem bewältigen viele Notfallambulanzen an Krankenhäusern die Situation nicht. Eigentlich eine Bankrotterklärung“, fügte er hinzu. „Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Über 600 Millionen Behandlungsfälle stemmen jährlich die Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, davon entfallen knapp fünfeinhalb Millionen Fälle auf den Bereitschaftsdienst, während die Krankenhäuser zu Bereitschaftszeiten nur noch fünf Millionen ambulante Notfälle behandeln. Wir müssen uns hier ehrlich machen: Wegen der postpandemisch veränderten Inanspruchnahme der Notfallversorgung brauchen wir für diesen Bereich eine echte Reform“, fordert Gassen Dazu zähle eine Konzentration der Notfallversorgung, eine Priorisierung nach Dringlichkeit durch eine strukturierte Ersteinschätzung sowie ein Mehr an Kooperation in Form einer verlässlichen Weiterleitung von ambulant versorgbaren Akutpatienten in die vertragsärztliche Versorgung, erläutert er weiter. „Und natürlich muss die Finanzierung für Praxen und Krankenhäuser gleichermaßen stimmen“, fordert der KVB-Chef. Grundlage der DKI-Blitzumfrage ist laut DKG die Befragung einer repräsentativen Auswahl von 112 Allgemeinkrankenhäusern mit jeweils mindestens 100 Betten. Die Umfrage fand im Januar 2023 statt. (hr)
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