Neuroblastom: Schlafende Krebszellen im Visier

Das Foto zeigt das Neuroblastom-Zellen, in denen das Onkogen MYCN türkis angefärbt ist. Pink ist eine Veränderung im Chromatin, die für schlafende Zellen charakteristisch ist. Die Zellkerne sind blau markiert. Gut zu sehen ist, dass sich Zellen mit wenigen Kopien des MYCN-Gens vermehrt im Ruhezustand befinden. © Charité | Giulia Montuori (mit freundlicher Unterstützung der Technologieplattform „Advanced Light Microscopy“ des Max Delbrück Center)

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center haben entdeckt, woran es liegen könnte, dass viele Neuroblastome schwer zu behandeln sind. Im Fachblatt „Cancer Discovery“ schlagen sie einen neuen Therapieansatz vor, der besonders widerstandsfähige Tumore bekämpft.

Etwa die Hälfte aller Neuroblastome bildet sich wieder zurück, mitunter sogar ohne Therapie. Doch die andere Hälfte wächst sehr schnell. Oft sprechen diese Tumore auf eine Chemotherapie zunächst gut an, kehren nach ein bis zwei Jahren aber oft wieder zurück. Ein charakteristisches Merkmal dieser aggressiven Neuroblastome ist das vermehrte Vorkommen des Onkogens MYCN.

Ein Team um Dr. Jan Rafael Dörr und Prof. Anton Henssen vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max Delbrück Center, hat jetzt herausgefunden, dass die Lokalisation dieses Gens eine wichtige Rolle spielt: Befindet es sich außerhalb der Chromosomen, können sich die Krebszellen durch einen Ruhezustand vor dem Angriff der Medikamente schützen. Die Forschenden schlagen eine neue Behandlungsstrategie vor, die auch diese schlafenden Zellen des Tumors verstärkt ins Visier nimmt. Im Mausmodell hat sich ihr Ansatz bereits bewährt.

Krebsgene auf kleinen Ringen

„Als besonders schlecht behandelbar galten bisher Neuroblastome, in denen das Onkogen MYCN nachweisbar ist“, erläutert Dörr, der auch als Kinderonkologe an der Charité tätig ist. „Wir wollten herausfinden, was das Gen in den Zellen genau bewirkt, wie es die Expression anderer Gene womöglich beeinflusst und wie man solche Tumore künftig effektiver zerstören kann.“

Henssen, ebenfalls Charité-Kinderonkologe, hatte im Vorfeld mit seinem Team bereits herausgefunden, dass das Onkogen oft nicht auf den Chromosomen liegt, sondern auf sehr viel kleineren, ringförmigen DNA-Molekülen. „Wenn sich die Zellen teilen, wird diese DNA anders als die chromosomale willkürlich auf die Tochterzellen verteilt“, erläutert der Wissenschaftler. Das hat zur Folge, dass sich in solchen Neuroblastomen sowohl Zellen mit sehr vielen als auch Zellen mit sehr wenigen MYCN-Kopien befinden.

Die schlafenden Zellen entziehen sich

Dörr und sein Team haben die unterschiedlichen Tumorzellen weiter untersucht. „Gemeinsam mit der Gruppe von Fabian Coscia ist es uns dank einer in der Studie erstmals beschriebenen Methode gelungen, Zellen mit vielen MYCN-Kopien von denen mit wenigen Kopien zu trennen und dann zu untersuchen, wie sich die Zusammensetzung der Proteine und der Phänotyp dieser Zellen voneinander unterscheiden“, berichtet der Forscher.

In Experimenten mit kultivierten Tumorzellen, Mausmodellen und Patientenproben konnten die Forschenden anschließend demonstrieren, dass nur die aggressiven Zellen mit vielen MYCN-Kopien von einer Chemotherapie zerstört werden. „Tumorzellen mit wenigen MYCN-Kopien hingegen überleben und fallen lediglich in eine Art Tiefschlaf“, erklärt Dörr. Aus diesem können sie allerdings durch noch nicht vollständig verstandene Weckrufe wieder erwachen und dann zum Wiederaufflammen der Krebserkrankung beitragen.

Ein Ansatz auch für Hirntumore

„Es gibt Medikamente, die sich speziell gegen solche seneszenten, das heißt schlafenden, Zellen richten“, sagt Dörr. Im Mausmodell konnten er und sein Team zeigen, dass die Kombination einer Chemotherapie, die vor allem die schnell wachsenden Zellen mit vielen MYCN-Kopien zerstört, und eines anschließend verabreichten Wirkstoffs, der die seneszenten Zellen angreift, die Therapie des Neuroblastoms deutlich effektiver macht.

„Unser Ansatz eignet sich vermutlich vor allem für Tumore, bei denen das MYCN-Gen oder andere Onkogene auf der extrachromosomalen DNA liegen“, mutmaßt der Wissenschaftler. Für Tumore, bei denen sich diese Erbanlagen auf den Chromosomen befinden, müsse man andere Strategien entwickeln.

Zunächst wollen die Forschenden nun systematisch nach weiteren Wirkstoffen suchen, die sich auch im menschlichen Gewebe gezielt gegen die schlafenden Tumorzellen richten und gesunde Zellen möglichst verschonen. „Interessant ist der jetzt vorgestellte Ansatz in jedem Fall auch für die Therapie anderer Tumore, an deren Entstehung Krebsgene auf den DNA-Ringen beteiligt sind“, ergänzt Henssen. Dazu zählen beispielsweise die besonders gefürchteten Hirntumore.

Über die Studie

Die Studie wurde gleichberechtigt von Henssen und Dörr geleitet. Beide sind ärztlich an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité tätig. Am ECRC leitet Dörr die Forschungsgruppe „Tumorheterogenität und Therapieresistenz in pädiatrischen Tumoren“, Henssen die Forschungsgruppe „Genomische Instabilität in pädiatrischen Tumoren“.

Gemeinsame Erstautorinnen der Studie sind Dr. Giuila Montuori, Wissenschaftlerin an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie der Charité, und Fengyu Tu, die in London und China unter der Leitung von Dr. Benjamin Werner und Dr. Huang forscht. Henssen, Werner und Huang sind Mitglieder des internationalen Cancer Grand Challenges Team eDyNAmiC, das von Cancer Research UK und dem National Cancer Institute finanziert wird. Maßgeblich beteiligt war zudem die Arbeitsgruppe des Max Delbrück Center „Spatial Proteomics“ von Dr. Fabian Coscia.