Neurodegenerative Erkrankungen: Kaffeesatz könnte der Schlüssel zur Vorbeugung sein

Afroz Karim, Mahesh Narayan, Ummy Habiba Sweety, Jyotish Kumar (v.l.). Foto.© University of Texas at El Paso

US-amerikanische Wissenschaftler haben im Kaffeesatz einen Wirkstoff gefunden, der den Ausbruch von neurodegenerativen Erkrankungen in einem frühen Stadium verhindern könnte.

Neurodegenerative Erkrankungen betreffen Millionen von Menschen in den Vereinigten Staaten. Die Kosten für die Versorgung der Betroffenen belaufen sich jedes Jahr auf Hunderte von Milliarden Dollar. Jetzt haben Forscher der University of Texas in El Paso (UTEP), USA, möglicherweise eine Lösung im gebrauchten Kaffeesatz gefunden – einem Material, das jeden Tag in Haushalten und Unternehmen auf der ganzen Welt weggeworfen wird.

Kohlenstoff-Quantenpunkte auf Kaffeesäurebasis

Ein Team unter der Leitung von Jyotish Kumar, Doktorand der Abteilung für Chemie und Biochemie, und unter Aufsicht von Prof. Mahesh Narayan, Fellow der Royal Society of Chemistry im selben Fachbereich, fand heraus, dass Kohlenstoff-Quantenpunkte auf Kaffeesäurebasis (CACQDs) – gewonnen aus Kaffeesatz – Gehirnzellen vor Schäden, die durch verschiedene neurodegenerative Erkrankungen verursacht werden, schützen können. Dies betrifft neurodegenerative Erkrankungen, die durch Faktoren wie Fettleibigkeit, Alter und Exposition gegenüber Pestiziden und anderen giftigen Umweltchemikalien ausgelöst werden. Die Ergebnisse der Arbeit wurden im Fachjournal „Environmental Research“ veröffentlicht.

„Kaffeesäure-basierte Kohlenstoff-Quantenpunkte haben das Potenzial, die Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen zu verändern“, erklärt Kumar. „Das liegt daran, dass keine der derzeitigen Behandlungen die Krankheiten behebt, sondern nur die Symptome lindert. Unser Ziel ist es, ein Heilmittel zu finden, indem wir die atomaren und molekularen Grundlagen angehen, die diese Krankheiten auslösen.“

Erhöhter Gehalt an freien Radikalen

Neurodegenerative Erkrankungen sind in erster Linie durch den Verlust von Neuronen oder Gehirnzellen gekennzeichnet. Der Abbau der Nervenzellen beeinträchtigt Betroffene in grundlegenden Bereichen wie zum Beispiel Bewegung, Sprache, Sehen, Kognition oder Blasen- und Darmfunktionen.

Wenn sich diese Erkrankungen im Frühstadium befinden und durch Lebensstil oder Umweltfaktoren verursacht werden, weisen sie mehrere Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehören ein erhöhter Gehalt an freien Radikalen im Gehirn und die Anhäufung von Fragmenten der amyloidbildenden Proteine, die zu Plaques oder Fibrillen führen können. Freie Radikale sind schädliche Moleküle, die bekanntermaßen auch zu Krankheiten wie Krebs, Herzkrankheiten und Sehkraftverlust beitragen.

CACQDs sind neuroprotektiv

Kumar und seine Kollegen konnten beobachten, dass CACQDs in Reagenzglas-Experimenten, Zell-Linien und anderen Modellen der Parkinson-Krankheit neuroprotektiv sind. Die Parkinson-Krankheit wurde für diese Untersuchungen gezielt durch ein Pestizid verursacht. Das Team stellte fest, dass die CACQDs in der Lage waren, freie Radikale zu beseitigen oder zu verhindern, dass diese Schäden verursachen. Zudem konnten sie die Aggregation von Amyloid-Proteinfragmenten hemmen, ohne nennenswerte Nebenwirkungen hervorzurufen.

Die Forschenden vermuten, dass bei Menschen mit neurodegerativen Erkrankungen in einem sehr frühen Stadium eine Behandlung auf der Grundlage von CACQDs den Ausbruch der Krankheit verhindern könnte. „Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Erkrankungen anzugehen, bevor sie das klinische Stadium erreicht“, erklärte Narayan. „Zu diesem Zeitpunkt ist es wahrscheinlich schon zu spät. Alle derzeitigen Behandlungen, die die fortgeschrittenen Symptome einer neurodegenerativen Erkrankung bekämpfen können, sind für die meisten Menschen einfach unerschwinglich. Unser Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die die meisten Fälle dieser Erkrankungen verhindern kann, und zwar zu Kosten, die für möglichst viele Patienten tragbar sind.“

Umweltfreundliche Extraktion von CACQDs

Kaffeesäure gehört zu einer Familie von Verbindungen, die als Polyphenole bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um pflanzliche Verbindungen, die für ihre antioxidativen oder freie Radikale abfangenden Eigenschaften bekannt sind. Kaffeesäure ist einzigartig, weil sie die Blut-Hirn-Schranke durchdringen kann. Sie ist somit in der Lage, ihre Wirkung auf die Zellen im Inneren des Gehirns auszuüben, so Narayan.

Das Verfahren, das das Team zur Extraktion von CACQDs aus gebrauchtem Kaffeesatz verwendet, gilt als „grüne Chemie“, das heißt, es ist umweltfreundlich. In ihrem Labor „kocht“ das Team Proben von Kaffeesatz vier Stunden lang bei 200 Grad, um die Kohlenstoffstruktur der Kaffeesäure neu auszurichten und CACQDs zu bilden. Die schiere Menge an Kaffeesatz macht das Verfahren sowohl wirtschaftlich als auch nachhaltig, wie Narayan erklärt.

Die Forschung wurde durch einen Zuschuss der National Institutes of Health unterstützt. Die Forschenden wollen sich nun um zusätzliche Mittel zur Finanzierung weiterer Tests bemühen.

Narayan und Kumar sagten beide, sie wüssten, dass die Ziellinie noch weit entfernt sei. Aber im Moment machten sie Fortschritte auf einem Weg, der letztendlich zu einem Medikament – vielleicht einer Pille – führen könnte, welches die große Mehrheit der neurodegenerativen Erkrankungen verhindern könne, die durch andere Faktoren als die Genetik verursacht werden.

Teilen:
Quellen Kumar J, Delgado SA, Sarma H et al. Caffeic acid recarbonization: A green chemistry, sustainable carbon nano material platform to intervene in neurodegeneration induced by emerging contaminants. Environmental Research (2023) https://doi.org/10.1016/j.envres.2023.116932University of Texas at El Paso