Neuroimmune Mechanismen als Schlüssel für effektive Pruritus-Therapie

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Chronischer Pruritus ist ein fächerübergreifendes Leitsymptom vieler, insbesondere dermatologischer und internistischer Erkrankungen. Er geht mit einer hohen Krankheitslast und erheblichem Leiden der Betroffenen einher.

Welche Herangehensweise für das Stellen einer Diagnose wichtig ist, welche therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten bestehen und wie Forschung zur Entstehung von Juckempfinden zur Entwicklung moderner Therapeutika (monoklonale Antikörper) geführt haben, diskutieren Experten der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft auf der Online-Pressekonferenz am 29. April 2025 zur DDG-Tagung.

Etwa 13–17 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind bei verschiedenen zugrundeliegenden Erkrankungen von chronischem Pruritus (CP) betroffen. Ein Juck-Kratz-Zirkel kann durch die Überaktivierung des Nervensystems dabei in Gang kommen, bei dem das Kratzen aufgrund des Juckens kurzfristig hilft, auf Dauer jedoch die Haut weiter schädigt.

„Menschen mit chronischem Pruritus schlafen oft schlecht. Wenn die Spuren des Kratzens zu sehen sind, schämen sie sich, was zu sozialem Rückzug und Depressivität führen kann“, so Prof. Sonja Ständer, leitende Oberärztin an der Klinik für Hautkrankheiten und Leiterin des interdisziplinären Prurituszentrums des Universitätsklinikums Münster (UKM). Die Lebensqualität ist stark beeinträchtigt. „Was viele Menschen nicht wissen: Es besteht in den meisten Fällen keine Ansteckungsgefahr. Niemand muss sich ängstlich abwenden, wenn er oder sie einem Menschen mit chronischem Pruritus begegnet“, betont Ständer.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Juckreiz

CP wird häufig mit Hauterkrankungen assoziiert. Er ist jedoch ein fächerübergreifendes Leitsymptom vieler auch internistischer Erkrankungen. „Wenn Patientinnen und Patienten mit anhaltendem Jucken zu uns kommen, müssen – vor allem bei unauffälligem Hautbefund – auch andere Grunderkrankungen wie Diabetes, Leber- oder Nierenerkrankungen oder sogar bösartige Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Eine Zusammenarbeit mit Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten ist ideal“, erklärt Ständer. Im Prurituszentrum Münster finden Menschen Hilfe, die bereits einen langen Erkrankungsweg hinter sich haben und noch nicht ausreichend behandelt werden konnten.

Suche nach Pruritogenen

Wie die Empfindung Jucken entsteht, ist noch nicht bis ins Detail für alle Krankheitsformen geklärt. Bekannt ist, dass Pruritus bei Dermatosen durch ein komplexes Wechselspiel zwischen Nervenfasern, Keratinozyten, Mastzellen, inflammatorischen Zellen und ihrer Zytokine ausgelöst wird. In den letzten Jahren hat die Suche nach den Pruritogenen – also den „Erzeugern des Juckens“ – wichtige neue Erkenntnisse zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Pruritus gebracht. Vor allem bei entzündlichen Dermatosen wie der Atopischen Dermatitis ist vieles klarer geworden. „Neuroimmune Mechanismen spielen eine große Rolle und sind der Schlüssel für die Entwicklung effektiver Therapien“, sagt Ständer.

Leitlinie empfiehlt individuelle Therapiepläne

Das medikamentöse Behandlungsspektrum ist weit, da die Ursachen des Pruritus so verschieden sind. Die aktuelle deutsche Pruritus-Leitlinie empfiehlt, individuelle Therapiepläne zu erstellen, und listet evidenzbasierte, symptomatische Therapieempfehlungen auf, die aus Phototherapie, topischen entzündungshemmenden und systemischen Therapien (Glukokortikosteroide, Immunsuppressiva oder Biologika) bestehen.

Blockade des Interleukin-31-Rezeptors

Neue Erkenntnisse zur Entstehung der chronischen Prurigo, das ist eine seltene, besonders quälende Hauterkrankung, die mit einer juckenden Knötchenbildung am ganzen Körper einhergeht, führten zur Entwicklung neuer pharmazeutischer Lösungen. „Die chronische Prurigo kann zusätzlich eine psychische Erkrankung auslösen. Wichtig zu betonen ist, dass sie selbst keine psychiatrische Erkrankung ist. Da gab es früher Missverständnisse“, erklärt Ständer. Aktuelle Forschungen haben nun den Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dabei identifizierten die Forschenden das mittlerweile als „Juck-Zytokin“ bezeichnete Interleukin 31 als zentralen Akteur. Der Antikörper Nemolizumab, der den Interleukin-31-Rezeptor blockiert, konnte in mehreren Studien seine Wirksamkeit beweisen und wurde kürzlich für den europäischen Markt zugelassen.

An der aktuellen OLYMPIA-1-Studie, einer multizentrischen, placebokontrollierten, randomisierten Phase-III-Studie nahmen 286 erwachsene Patientinnen und Patienten mit moderater bis schwerer Prurigo nodularis teil. Die Teilnehmenden wurden auf zwei Studienarme (190 bekamen Nemolizumab und 96 ein Placebo) aufgeteilt und wurden alle 4 Wochen über 24 Wochen behandelt. Der Antikörper wurde abhängig vom Körpergewicht dosiert: 30 mg oder 60 mg. Nach 16 Wochen war der Pruritus bei 58,4 Prozent der mit Nemolizumab behandelten Patientinnen und Patienten signifikant reduziert, verglichen mit 16,7 Prozent in der Placebogruppe. Auch die Hautläsionen verbesserten sich in der Nemolizumab-Gruppe signifikant stärker. Als Nebenwirkungen wurden Kopfschmerzen und Ekzeme verzeichnet.

„Nemolizumab ermöglicht eine wirksame und sichere Behandlung für diese Patientengruppe, die zu signifikanten Verbesserungen bei Pruritus und Hautläsionen führt“, fasst Ständer zusammen. Die Zulassung von Nemolizumab durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bezieht sich auf die Behandlung mittelschwerer bis schwerer Prurigo nodularis und Atopischer Dermatitis.

„Die Entdeckung neuer Mechanismen und Interaktionen bei chronischem Pruritus zeigt, wie komplex diese Erkrankung ist. Die hieraus abgeleiteten Therapieoptionen sind bereits vielversprechend“, merkt Prof. Julia Welzel, Tagungspräsidentin und Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Universitätsklinikum Augsburg, Medizincampus Süd, an. Weitere Therapiestudien, die nicht nur die Interleukine und ihre Rezeptoren in den Blick nehmen, sondern auch andere Signalübertragungsmechanismen wie beispielsweise den JAK/STAT-Signalweg seien jetzt wichtig, um weitere Optionen für eine optimierte Therapie zu erhalten, fordert die Augsburger Dermatologin.