Neuronale Mechanismen der angstbedingten Analgesie entdeckt

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Forscher aus Frankreich haben anhand von Experimenten mit Mäusen einen Signalweg im Gehirn identifiziert, der Schmerzen in bedrohlichen Situationen unterdrückt.

In bedrohlichen Situationen ist die angstbedingte Analgesie eine wichtige Überlebensreaktion. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Periaquäduktale Grau (PAG). Innerhalb dieser Struktur ist bekannt, dass das ventrolaterale PAG (vIPAG) dabei hilft, Schmerz und emotionale Reaktionen zu modulieren. Das PAG empfängt viele Signale aus Gehirnregionen, die an der Verarbeitung von Angst beteiligt sind, und leitet diese dann über die rostral ventromediale Medulla (RVM) an das Rückenmark weiter.

„Die vIPAG ist ideal im Gehirn positioniert, um eine emotionale Regulierung des Schmerzverhaltens zu ermöglichen, doch die zugrunde liegenden neuronalen Schaltkreise und Mechanismen sind weitgehend unbekannt“, sagt Co-Erstautorin Nanci Winke, die zum Zeitpunkt der Studie als Postdoktorandin am Neurocentre Magendie der Universität Bordeaux und am INSERM in Frankreich tätig war. „Wir haben ein einzigartiges Verhaltensmodell entwickelt, bei dem ein durch Reize ausgelöster Abwehrzustand Veränderungen in der Schmerzempfindlichkeit fördert, und haben dieses dann verwendet, um die genauen Schaltkreise zu bestimmen, die zur Unterdrückung von Schmerzen in Angstphasen verwendet werden.“ Ihre dabei gewonnen Erkenntnisse veröffentlichten die Forscher im Fachmagazin „eLife“.

Optogenetik bei Angst-konditionierten Mäusen

Um den Beitrag verschiedener vlPAG-Zellen zum angstmodulierten Schmerzverhalten zu untersuchen, konditionierten die Forscher eine Gruppe von Mäusen darauf, ein akustisches Signal mit einem angstauslösenden Ereignis zu assoziieren, während ein Kontrollgeräusch mit keinem Ereignis assoziiert wurde. Anschließend verglichen sie, wie empfindlich diese Mäuse gegenüber Schmerzen waren, wenn sie dem konditionierten oder neutralen Signal ausgesetzt wurden. Sie beobachteten eine signifikante Verzögerung der Schmerzreaktion, wenn die Mäuse dem angstauslösenden Signal ausgesetzt waren, im Vergleich zum Kontrollreiz. Dies deute darauf hin, so die Forscher, dass das Vorhandensein eines konditionierten, eine Bedrohung vorhersagenden Reizes selektiv eine Analgesie auslösen könne.

Als Nächstes versuchte das Team, die Zelltypen innerhalb des vlPAG zu bestimmen, die diesen Effekt vermittelten. Das Team konzentriert sich dabei auf die am häufigsten vorkommende Gruppe von Zellen – Somatostatin(SST)-exprimierende Interneuronen. Um SST-positive Zellen im vlPAG selektiv zu modulieren, verwendeten die Forscher Optogenetik – eine Methode, bei der Licht zur Steuerung der Neuronenaktivität eingesetzt wird.

Sie stellten fest, dass die Hemmung der SST-positiven Zellen die Zeit bis zur Schmerzreaktion verlängerte, wenn die Mäuse dem Bedrohungsreiz als auch dem Kontrollreiz ausgesetzt waren. Daraus ziehen die Forscher den Schluss, dass SST-positive vIPAG-Zellen Teil eines Schaltkreises sein könnten, der an der Regulierung der Schmerzunterdrückung durch Angst beteiligt ist.

SST-positive vlPAG-Zellen steuern Nozizeption

Um jedoch zu untersuchen, ob diese Zellen auch ohne einen Angstreiz Schmerzen hemmen, untersuchte das Team mithilfe der Optogenetik die elektrischen Signale von vIPAG-Zellen zum Rückenmark. Dabei zeigte sich, dass die Aktivierung der SST-positiven vIPAG-Zellen die Übertragung der nozizeptiven Reaktion im Rückenmark erhöhte, während die Hemmung der Zellen die Nozizeption verringerte.

Schließlich wollte das Team herausfinden, ob SST-positive vIPAG-Zellen ihre Wirkung auf die Analgesie über die RVM oder durch direkten Kontakt mit anderen Zellen im Rückenmark ausüben. Dazu kartierten sie die neuronalen Verbindungen mit speziellen Tracern, die sich entlang der Nerven bewegen. Wie von den Forschern erwartet zeigte sich, dass RVM-Zellen in einen Bereich des Rückenmarks projizieren, der an der Schmerzregulation beteiligt ist, wobei die SST-positiven vlPAG-Zellen eng involviert sind.

Forschung zu weiteren Emotionen nötig

Einschränkend weisen die Studienautoren darauf hin, dass ihre Studie zwar Aufschluss über einen neuartigen neuronalen Schaltkreis gebe, der an der Schmerzunterdrückung bei konditionierter Angst beteiligt ist. Andere Arten emotionaler Reaktionen – wie beispielsweise solche, die durch die Umwelt oder chronischen Stress ausgelöst werden – involvierten aber möglicherweise separate Nervenbahnen. Sie betonen, weitere Studien seien erforderlich, um zu untersuchen, ob diese Erkenntnisse auch auf andere Formen der emotional bedingten Schmerzwahrnehmung zutreffen und wie sie sich auf den Menschen übertragen lassen.

„Angesichts des Zusammenhangs zwischen Angstzuständen und schmerzbezogenen Störungen sind Kenntnisse über die Schaltkreise, die der emotionalen Regulierung von Schmerzstörungen zugrunde liegen, dringend erforderlich“, sagt Co-Seniorautor Cyril Herry, Hauptforscher am Neurocentre Magendie der Universität Bordeaux und am INSERM. Ihm zufolge werde der nächste Schritt darin bestehen, zu verstehen, wie dieser Schaltkreis durch verschiedene negative emotionale Zustände wie Depressionen oder Stress beeinflusst wird. „Diese Erkenntnisse sollten zu einem besseren Verständnis der Wechselwirkung zwischen Schmerz und Emotionen beitragen und die Entwicklung wirksamerer, gezielter analgetischer Therapien vorantreiben.“

In einem Kommentar zur Studie bewerten die „eLife“-Herausgeber die Forschungsergebnisse als „zeitgemäßen und wichtigen Beitrag zu unserem Wissen über die Schaltkreismechanismen der angstbedingten Analgesie“. Sie halten die Stärke der Evidenz für überzeugend und schreiben, die Arbeit liefere wichtige Erkenntnisse, die für System- und Verhaltensneurologen von Interesse seien, insbesondere für diejenigen, die sich für emotionales Verhalten, Schmerz und/oder die Funktion des Mittelhirns interessieren.