Neuronale Mechanismen des räumlichen Hörens21. Juni 2018 Foto: © Axel Kock – Fotolia.com Ein Team um Benedikt Grothe zeigt erstmals, wie dynamisch das menschliche Gehör Schallquellen ortet. Für Grothe sind die Ergebnisse ein “Paradigmenwechsel im Verständnis des räumlichen Hörens”. Benedikt Grothe erforscht mit seinem Team die neuronalen Mechanismen beim Hören. In seiner neuesten Arbeit zeigt der LMU-Neurowissenschaftler erstmals, wie dynamisch das menschliche Gehör Schallquellen ortet. Die Ergebnisse widersprechen der bisherigen Vorstellung, wonach Menschen beim Hören Geräusche absolut lokalisieren. „Unsere Studie wird zu einem Paradigmenwechsel im Verständnis räumlichen Hörens führen“, sagt Benedikt Grothe. Die Ergebnisse sind aktuell in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht. Beim Hören werden akustische Signale über Nervenzellen im Innenohr ins Gehirn transportiert und dort in neuronalen Schaltkreisen verarbeitet. Um Schallquellen richtig zu orten, wird die zeitliche Differenz ausgewertet, mit der das schallzugewandte Ohr dasselbe Geräusch früher empfängt als das schallabgewandte Ohr. Das gelingt auf Mikrosekunden genau, wie unter anderem eine von der Forschergruppe um Benedikt Grothe und Michael Pecka jüngst in Nature Communication veröffentlichte Studie zeigte, die einen zuvor unbekannter zellulären Mechanismus des Richtungshörens beschreibt. Doch sobald auf einen Ton ein zweiter folgt, kommt es zu „merkwürdigen Adaptionsprozessen“, sagt Benedikt Grothe. „Es fällt uns schwer, auf den zweiten Ton zu achten und ihn richtig zu orten.“ In Zusammenarbeit mit Christian Leibold, Professor für Computational Neuroscience am Biozentrum der LMU, haben die LMU-Neurowissenschaftler nun herausgefunden, woran das liegt. Christian Leibold hat ein theoretisches Modell entwickelt, das die neuronalen Prozesse, die von aufeinanderfolgenden Tönen ausgelöst werden, vorhersagt. Demnach sinkt die Präzision der absoluten Lokalisation, sobald Menschen einen Ton nach dem anderen hören, zugunsten der relativen Unterscheidbarkeit der Schallquellen. „Die Raumwahrnehmung ist dynamisch. Wir verzichten auf die genaue Lokalisation und verbessern so die relative räumliche Auflösung. Dadurch hören wir besser, welcher Ton zum Beispiel von weiter links kommt und welcher näher an uns dran ist“, sagt Benedikt Grothe. Erst das macht es möglich, sich mithilfe seines Gehörs in einer Situation zu orientieren, bei der mehrere Geräuschquellen zugleich geortet werden müssen – etwa in einem Großraumbüro oder auf einer Party. Die theoretischen Vorhersagen des Modells haben sich bereits im Experiment bestätigt. Dabei wurden den Teilnehmenden Töne über einen Kopfhörer vorgespielt. „Sie konnten einen einzelnen Ton erstaunlich gut orten, doch sobald ein zweiter Ton folgte, machten sie um bis zu 40 Prozent mehr Fehler bei dessen Lokalisation“, sagt Benedikt Grothe. Doch dafür gelang es ihnen besser, die relative Entfernung der Töne voneinander zu erfassen. Die LMU-Neurowissenschaftler gehen daher davon aus, dass sich im Laufe der Evolution das menschliche Gehör daraufhin entwickelt hat, Töne auseinanderzuhalten und die relative Distanz zu einzelnen Geräuschquellen zu erfassen.
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