Neurowissenschaftler entdecken neuronale Schaltkreise, die an der Placebo-Analgesie beteiligt sind

Neurowissenschaftler untersuchten die Details der Placebo-Analgesie im Gehirn von Mäusen. (Symbolfoto: ©alkov/stock.adobe.com)

Was genau passiert im Gehirn von Personen, die den Placebo-Effekt erleben? Eine aktuelle „Nature“-Studie deckt in Mäusen einen bislang unbekannten neuronalen Schaltkreis auf, der in Erwartung einer Schmerzlinderung aktiviert wird.

Der Placebo-Effekt ist sehr real. Das zeigen sowohl Beobachtungen aus dem wirklichen Leben als auch eine Fülle an gut konzipierten Studien. Das bisherige Verständnis für die biologischen Grundlagen der Schmerzlinderung durch Placebo-Analgesie stammt aus bildgebenden Studien am menschlichen Gehirn, die Aktivitäten in bestimmten Gehirnregionen zeigen. Diese bildgebenden Studien waren jedoch nicht genau genug, um zu zeigen, was in diesen Hirnregionen tatsächlich passiert. Daher nahmen US-amerikanische Forscher der University of North Carolina (UNC) School of Medicine zusammen mit Kollegen aus Stanford, dem Howard Hughes Medical Institute und dem Allen Institute for Brain Science eine Reihe von Experimenten vor, um detailliert bis auf die Ebene einzelner Nervenzellen zu erfahren, was in diesen Regionen vor sich geht.

Neuronaler Schmerzkontrollpfad aufgedeckt

Unter der Leitung von Greg Scherrer, außerordentlicher Professor an der UNC-Abteilung für Zellbiologie und Physiologie, entdeckten sie einen Schmerzkontrollpfad, der den anterioren cingulären Kortex (ACC) über die Pons-Region des Hirnstamms mit dem Kleinhirn verbindet. Sie zeigen weiter, dass bestimmte Neuronen und Synapsen entlang dieses Pfades stark aktiviert werden, wenn Mäuse Schmerzlinderung erwarten und erfahren, selbst wenn keine Medikamente im Spiel sind.

„Dass Neuronen in unserer Großhirnrinde mit dem Pons und dem Kleinhirn kommunizieren, um die Schmerzschwelle auf der Grundlage unserer Erwartungen anzupassen, ist angesichts unseres bisherigen Verständnisses der Schmerzschaltkreise sowohl völlig unerwartet als auch unglaublich spannend“, so Scherrer. „Unsere Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, diesen Signalweg durch andere therapeutische Mittel zu aktivieren, etwa durch Medikamente oder Neurostimulationsmethoden zur Schmerzbehandlung.“

Scherrer und Kollegen sehen in ihrer Forschung einen neuen Rahmen für die Untersuchung der neuronalen Bahnen, die anderen Geist-Körper-Interaktionen und Placebo-Effekten zugrunde liegen, welche über die an Schmerzen beteiligten Bahnen hinausgehen.

Weg der Schmerzlinderung bis ins Detail

Zunächst entwickelten die Forscher einen Versuchsaufbau, der bei Mäusen die Erwartung einer Schmerzlinderung und eine Placebo-Analgesie erzeugt. Dann untersuchten Scherrer und Kollegen mit einer Reihe von experimentellen Methoden die Feinheiten des ACC, der bereits zuvor mit dem Placebo-Effekt bei Schmerzen in Verbindung gebracht worden war.

Während die Mäuse den Placebo-Effekt erlebten, verwendeten die Wissenschaftler genetische Markierungen von Neuronen im ACC, bildgebende Verfahren zur Messung von Kalzium in Neuronen von sich frei verhaltenden Mäusen, Einzelzell-RNA-Sequenzierungstechniken, elektrophysiologische Aufzeichnungen und Optogenetik – also die Verwendung von Licht und Fluoreszenz-markierten Genen zur Manipulation von Zellen. Anhand dieser Experimente war es ihnen möglich, die komplizierte Neurobiologie des Placebo-Effekts bis hin zu den Schaltkreisen, Neuronen und Synapsen im gesamten Gehirn zu erkennen und zu untersuchen.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass bei Mäusen, die eine Schmerzlinderung erwarteten, die Neuronen des rostralen ACC ihre Signale an die Nuclei pontis weiterleiteten – Kerngebiete des Pons, die für die motorische Aktivität verantwortlich sind und bislang nicht mit Schmerzen oder der Schmerzlinderung in Verbindung gebracht wurden. Weiter fanden sie heraus, dass die Erwartung einer Schmerzlinderung die Signale entlang dieses Pfades verstärkte.

Nutzung der Schaltkreise zur gezielten Analgesie

„Hier gibt es eine außerordentliche Fülle von Opioidrezeptoren, was für eine Rolle bei der Schmerzmodulation spricht“, erklärt Scherrer die Entdeckung. „Als wir die Aktivität in diesem Signalweg hemmten, stellten wir fest, dass wir die Placebo-Analgesie unterbrachen und die Schmerzschwelle senkten. Und wenn wir diesen Signalweg ohne Placebo-Konditionierung aktivierten, bewirkten wir eine Schmerzlinderung.“

Schließlich fanden die Wissenschaftler heraus, dass Purkinje-Zellen – eine bestimmte Klasse großer, verzweigter Zellen des Kleinhirns – während der Erwartung einer Schmerzlinderung ähnliche Aktivitätsmuster wie die ACC-Neuronen zeigten. Scherrer und Erstautor Dr. Chong Chen betonen, dies sei ein Beweis auf zellulärer Ebene für die Rolle des Kleinhirns bei der kognitiven Schmerzmodulation.

„Wir alle wissen, dass wir bessere Wege brauchen, um chronische Schmerzen zu behandeln, insbesondere Behandlungen ohne schädliche Nebenwirkungen und süchtig machende Eigenschaften“, verdeutlicht Scherrer die Bedeutung ihrer Erkenntnisse. „Wir glauben, dass unsere Ergebnisse die Tür öffnen, um diesen neuartigen neuronalen Schmerzpfad gezielt zu nutzen und Menschen auf eine andere, aber möglicherweise effektivere Weise zu behandeln.“ (ah)