Nicht alle Gehirne sind gleich31. Januar 2022 Tumor auf einem von einem Tuberöse-Sklerose (TSC)-Patienten stammenden Hirnorganoid (Bild: © Knoblich/IMBA) Die Ursache der Tuberösen Sklerose findet sich in der besonderen Biologie des menschlichen Gehirns. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA). Die Komplexität des menschlichen Gehirns ist zu einem großen Teil auf seine Entwicklung zurückzuführen. Dabei laufen einzigartige Prozesse ab, von denen viele noch in den dunkelsten Ecken unseres derzeitigen wissenschaftlichen Wissens verborgen sind. Die Tuberöse Sklerose (TSC) ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme: Lange Zeit wurde sie als eine hauptsächlich genetisch bedingte Störung beschrieben. Die Daten dafür stammten aus Tiermodellen. Die neue Forschungsarbeit des Knoblich-Labors am IMBA verwendete allerdings zerebrale Organoidmodelle aus menschlichen Stammzellen, um die Geheimnisse dieser seltenen neurologischen Entwicklungskrankheit zu lüften. „Unsere Erkenntnisse über die Ursache von TSC führten uns zu einem für das menschliche Gehirn spezifischen Zelltyp. Dies erklärt, warum die Pathologie dieser Krankheit mit anderen Labormodellen nicht gut erfasst werden konnte“, erklärt Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Direktor des IMBA und Leiter des Teams. TSC: Epilepsie, Autismus und Lernschwierigkeiten Bei vielen betroffenen Patienten äußert sich TSC in Form von schwerer Epilepsie und psychiatrischen Symptomen wie Autismus und Lernschwierigkeiten. Morphologisch ist TSC durch charakteristische Veränderungen im Gehirn der Patienten gekennzeichnet. Dazu gehören gutartige Tumore in einem bestimmten Bereich des Gehirns sowie Läsionen in der Hirnrinde, die sogenannten Tubern. Lange Zeit wurden beide morphologischen Abweichungen auf eine genetische Ursache zurückgeführt. Die Ergebnisse der Analyse von Patientenproben wichen jedoch von der vorherrschenden Theorie ab. „Um die Tuberöse Sklerose zu untersuchen, haben wir Gehirnorganoide der Krankheit entwickelt: dreidimensionale Zellkulturen, die wir zur Modellierung des Gehirns verwenden und die wir von jedem Patienten gewinnen können“, erklärt Nina Corsini, Research Associate am IMBA und verantwortliche Autorin der Studie. Für die von Corsini und Knoblich geleitete Studie züchtete das Team Hirnorganoide aus Zellen mehrerer Betroffener. Diese Methode erlaubt es, molekulare und zelluläre Mechanismen zu untersuchen, die in den Gehirnen der Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung existierten. „Mit diesem Ansatz fanden wir heraus, dass in den Organoiden genau wie in den Gehirnen der Patienten Tumore wuchsen. Die Organoide wiesen auch ungeordnete Bereiche auf, die den Tubern der Patienten ähnelten“, erklärt Oliver Eichmüller, Erstautor der Studie. CLIP-Zellen: Vorhanden in Menschenhirnen, nicht jedoch bei Mäusen Die Rekapitulation der Pathophysiologie einer Krankheit ist jedoch nur der erste Schritt auf dem Weg zur Bestimmung der Ursache: „Als wir den Ursachen weiter auf den Grund gingen, fanden wir heraus, dass beide Anomalien durch die übermäßige Vermehrung eines Zelltyps ausgelöst wurden, der spezifisch für das menschliche Gehirn ist“, erklärt Eichmüller. Diese Zellen wurden als Caudal Late Interneuron Progenitors, kurz CLIP-Zellen, bezeichnet. Es handelt sich dabei um Zellen, die in der Entwicklungsphase des menschlichen Gehirns vorkommen, nicht aber bei Tieren wie Mäusen. „Unsere Studie zeigt, dass unser Gehirn sehr komplex ist – viel komplexer als die Gehirne der meisten Tiere“, sagt Corsini. Die Wissenschaftler ziehen Parallelen zu anderen neuroentwicklungsbedingten und neuropsychiatrischen Erkrankungen, aber auch zu Krebserkrankungen. Sie spekulieren, dass auch diese durch für Menschen typische Entwicklungsprozesse verursacht werden könnten. „Unsere Erkenntnisse über humanspezifische Prinzipien in der Hirnentwicklung und -pathologie könnten auch für andere bekannte Krankheiten gelten, für die es bisher keine Therapien gibt“, sagt Knoblich.
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