NMOSD und MOGAD: Hohe sozioökonomische Kosten und Einschränkung der Lebensqualität

Dr. Martin Hümmert und Prof. Dr. Corinna Trebst. Foto.©MHH/ Karin Kaiser

Die seltenen Autoimmunstörungen Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) und MOG-Antikörper-assoziierte Erkrankung (MOGAD) sind für die Betroffenen, ihre Familien und die Gesellschaft mit hohen Kosten verbunden. Zudem sind die Auswirkungen auf die Lebensqualität je nach Schweregrad der Erkrankung enorm. Dies zeigt jetzt eine im Journal „Neurology“ veröffentlichte multizentrische Studie.

NMOSD und MOGAD verursachen – ähnlich wie Multiple Sklerose (MS) – in der Regel schubförmige Entzündungen des zentralen Nervensystems, wobei häufig das Rückenmark und die Sehnerven betroffen sind. In Deutschland leiden etwa 2000 bis 2500 Menschen an einer NMOSD. „Die Krankheitsschübe können beispielsweise Sehstörungen bis hin zur Erblindung, Muskelkrämpfe und Lähmungen, Schmerzen sowie Harn- und Stuhlinkontinenz verursachen. Trotz intensivierter Schubtherapie kann es zu bleibenden Beeinträchtigungen kommen“, erklärt Prof. Corinna Trebst, Studienleiterin und stellvertretende Direktorin der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Große multizentrische Studie
„Zuverlässige Aussagen über die krankheitsbedingten Kosten und die Lebensqualität stellen eine Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen und zur Steigerung der Versorgungsqualität für unsere Patientinnen und Patienten dar“, erläutert der Initiator und Erstautor Dr. Martin Hümmert den Hintergrund der Studie. Bisher gab es in dieser Hinsicht keine ausreichenden Daten zur NMOSD und MOGAD. Hümmert koordinierte gemeinsam mit Trebst die Untersuchung. In die multizentrische Studie wurden 212 Patienten eingeschlossen – eine sehr große Anzahl für eine Studie zu einer seltenen Erkrankung. „Möglich war das durch die Studiengruppe NEMOS, das ist ein Netzwerk aus mehr als 60 NMOSD-Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, so Trebst. Die Studieninitiatoren konnten somit nicht nur Betroffene und ihre Familien befragen, sondern gleichzeitig auf Daten anderer Standorte und eines zentralen Patientenregisters zugreifen.

Hohe informelle Pflegekosten
Für die Studie wurden umfassende Angaben zum Verbrauch medizinischer und nichtmedizinischer Ressourcen sowie zur Arbeitsfähigkeit der Patienten erhoben. Die durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Gesamtaufwendungen der Krankheit beliefen sich auf etwa 60.000 Euro. Die informellen Pflegekosten, also finanzielle Belastungen, die dadurch entstehen, dass beispielsweise nicht Pflegedienste die Betreuung der Betroffenen übernehmen, sondern Angehörige, spielten hier die wichtigste Rolle. Oft müssen diese dafür ihre Arbeitszeit beträchtlich reduzieren. „Der Anteil der informellen Pflege an den Gesamtkosten liegt bei 28 Prozent. Das hat uns hellhörig gemacht“, berichtet Trebst.

Weitere Kostentreiber sind indirekte Zahlungen, etwa für behindertengerechte Umbauten am Haus, und Arzneimittel, insbesondere Immuntherapeutika. „Mit zunehmender Schwere der Erkrankung steigen die sozioökonomischen Kosten dramatisch an“, stellt Hümmert fest. „Gleichzeitig sinkt die Lebensqualität der Betroffenen.“ Im Durchschnitt wiesen die Patientinnen und Patienten eine schlechtere Lebensqualität auf als an MS Erkrankte.

Kostenintensive Immuntherapien
Bei der Therapie von NMOSD und MOGAD verfolgen Ärztinnen und Ärzte zwei Ziele. Zum einen sollen während eines Schubes die akuten Symptome bekämpft, zum anderen weitere Schübe verhindert werden. Während bei der Akutbehandlung hochdosiertes Kortison und Blutwäscheverfahren angewendet werden, kommen bei der dauerhaften Langzeitbehandlung Immuntherapien zum Einsatz. Im Untersuchungszeitraum der Studie, 2017 bis 2019, waren das noch nicht zugelassene, vergleichsweise erschwingliche Off-Label-Therapien. Sie machten 13 Prozent der Gesamtkosten aus. Zwischenzeitlich gibt es in Deutschland zwei anerkannte Immuntherapien. „Das ist ein riesiger Fortschritt bei der Behandlung, davon können unsere Patientinnen und Patienten sehr profitieren“, verdeutlicht Trebst. Gleichzeitig seien aber die Preise für die neuen In-Label-NMOSD-Therapeutika immens. Sie gehören nach Angaben der Studienautoren zu den teuersten Medikamenten weltweit.

Gesundheitspolitische Diskussion ist nötig
„Da unsere Erhebung unmittelbar vor Zulassung der neuen Immuntherapeutika stattfand, bieten unsere Studiendaten gewissermaßen eine Grundlage für die Kostenbewertung neuer Therapien bei seltenen Erkrankungen“, legt Hümmert dar. „Klar ist aber bereits jetzt, dass eine gesundheitspolitische Diskussion darüber erforderlich ist, wie die langfristige Versorgung unserer Patientinnen und Patienten mit innovativen Therapien auch in Zukunft gesichert werden kann.“ „Aus unserer Sicht sprechen die Ergebnisse der Studie für eine frühzeitige, individuell zugeschnittene und kosteneffiziente Therapie, um langfristige Behinderungen zu verhindern und die Lebensqualität zu erhalten,“ ergänzt die Studienleiterin.


Weiterführende Informationen:
http://www.nemos-net.de.

Originalpublikation:
Hümmert WM et al. Costs and Health-Related Quality of Life in Patients With NMO Spectrum Disorders and MOG-Antibody–Associated Disease. Neurology 2022.
doi: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000200052