NSTE-ACS: Neue Risikoeinstufung auf Basis Künstlicher Intelligenz

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Mithilfe Künstlicher Intelligenz entwickelten Forscher den GRACE-Score zur Abschätzung des Risikos von Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTE-ACS) weiter. Damit lässt sich die Behandlung offenbar gezielter steuern.

Um zu ermitteln, wie hoch das Risiko eines Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) ist, im Krankenhaus oder innerhalb der nächsten sechs Monate zu versterben bzw. einen Reinfarkt zu erleiden, wurde der GRACE-Score entwickelt. Der klinische Risikoscore basiert auf Daten des Global Registry of Acute Coronary Events (GRACE).

Seine Anwendung wird von internationalen Leitlinien bei Patienten mit NSTE-ACS empfohlen, um die weitere Behandlung anzupassen. Er hilft dabei, zu entscheiden, wie dringend eine invasive Diagnostik erfolgen sollte. Die europäische Leitlinie zum Management des ACS empfiehlt, NSTE-ACS Patienten mit einem GRACE >140 innerhalb von 24 Stunden einer Koronarangiografie zuzuführen.

Eine aktuelle Studie in „The Lancet Digital Health“ deutet nun aber an, dass die auf dem GRACE-Score basierte Therapieplanung teilweise die falschen Patienten adressiert. Die verantwortlichen Forscher verwendeten Künstlicher Intelligenz (KI), um die Daten von 600.000 Patienten mit NSTE-ACS aus zehn Ländern auszuwerten. Ihren Ergebnissen zufolge müssen viele Patienten möglicherweise neu eingestuft werden – mit potenziell weitreichenden Folgen für die weltweite NSTE-ACS-Behandlung.

Neue Risikoeinteilung der Patienten nötig

Die Studie wurde von einem internationalen Forschungsteam unter Leitung der Universität Zürich (Schweiz) vorgenommen. Die Forscher trainierten ihr Modell namens GRACE 3.0 darauf, jene Patienten zu identifizieren, die am meisten von einer frühen Herzkatheterbehandlung – etwa dem Einsetzen eines Stents – profitieren.

„Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Während einige Patient:innen deutlich von einer frühzeitigen Intervention profitierten, zeigte sich bei anderen nur ein geringer oder gar kein Nutzen“, erläutert Erstautor Florian A. Wenzl vom Zentrum für Molekulare Kardiologie der UZH die Ergebnisse. Gemäß den Forschenden deutet dies darauf hin, dass die derzeitigen Behandlungsstrategien teilweise nicht auf die tatsächlich relevanten Patientengruppen ausgerichtet sind. Ihnen zufolge könnte eine umfassende Neustratifizierung der Versorgung nötig sein, bei der der individuelle Nutzen etablierter Behandlungsstrategien abgeschätzt wird.

Personalisierte Therapie dank präziserer Risikoabschätzung

Laut Wenzl zeigt die Studie, wie KI die Behandlung von Herzinfarkten verändern kann: „Indem wir die klinischen Studiendaten erneut analysiert haben, hat unser Modell GRACE 3.0 gelernt, wer tatsächlich von einer frühen invasiven Behandlung profitiert – und wer nicht.“ Seiner Ansicht nach könnte das helfen, in Zukunft die Versorgung von NSTE-ACS-Patienten zu verbessern.

Letztautor Prof. Thomas F. Lüscher meint, dass GRACE 3.0 aufgrund einer genaueren Risikovorhersage als Entscheidungshilfe für eine personalisierte Therapie dienen könnte. „Das könnte in Zukunft klinische Leitlinien prägen und dazu beitragen, Leben zu retten“, verdeutlicht der amtierende Präsident der European Society of Cardiology.

Mit dem neuen GRACE-3.0-Score möchten die Forschenden ein einfaches, validiertes und KI-gestütztes Instrument für die klinische Praxis zur Verfügung stellen, das dabei hilft, Herzinfarkt-Patienten zukünftig individueller und wirksamer zu versorgen.

(ah/BIERMANN)