Okuläre Nebenwirkung durch Krebstherapien: Was sich in der Versorgung ändern muss

Prof. Philipp Steven plädierte auf der Pressekonferenz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft für ein neues Versorgungskonzept in der Behandlung okulärer Nebenwirkungen, die durch neue onkologische Medikamente hervorgerufen werden können.Foto.©Schulz/Biermann Medizin

Moderne Krebsmedikamente können schwerwiegende Nebenwirkungen am Auge bis hin zur Erblindung verursachen. Unser Gesundheitssystem ist jedoch strukturell auf diese zukünftig anwachsende Zahl an Patienten nicht eingestellt. Daher fordert die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) eine engere Verzahnung von Onkologie und Augenheilkunde sowie neue Versorgungspfade.

Auf der Kongress-Pressekonferenz stellte der DOG-Experte Prof. Philipp Steven vom Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln Lösungsansätze für diese Problematik vor.

„Die Fortschritte in der Onkologie sind beeindruckend, aber sie haben aus augenärztlicher Perspektive mitunter einen Preis“, stellte Steven fest. Vor allem neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) zeigen zwar vielversprechende Effekte gegen Tumoren, können jedoch auch toxische Veränderungen an der Hornhaut hervorrufen. „Wir sehen sogenannte Pseudomikrozysten, die sich in die optische Achse bewegen und das Sehvermögen massiv beeinträchtigen können“, erläuterte Steven, Experte für onkologische Nebenwirkungen am Auge.

Diese Nebenwirkungen sind nicht nur belastend, sie können auch einen Stopp der Krebstherapie erzwingen, um das Augenlicht zu erhalten. „Umso wichtiger ist es, die vorgeschriebenen augenärztlichen Kontrollen vor und während der ADC-Therapie konsequent umzusetzen“, betonte er.

Flächendeckende etablierte Vor- und Nachsorgestrukturen fehlen bislang

Ähnliches gilt für klassische Therapien wie Chemotherapie und Bestrahlung – sie können das Auge dauerhaft schädigen, von der Netzhaut bis zur Tränendrüse. Gravierend sind auch die Folgen nach Knochenmarktransplantationen: Von jährlich 4000 Transplantierten entwickeln bis zu 1200 eine schwere behandlungsbedürftige Augennebenwirkung. „Umfragen zeigen, dass aber nur zehn bis 20 Prozent der Betroffenen in spezialisierten Zentren versorgt werden“, berichtete der DOG-Experte.

Diese Zahl wirft ein Schlaglicht auf das grundsätzliche Problem. „Es gibt keine flächendeckend etablierten Vor- und Nachsorgestrukturen für Nebenwirkungen am Auge, die infolge neuer Krebstherapien auftreten“, stellte Steven fest.

Patientenaufkommen mit okulären Nebenwirkungen wird anwachsen

Noch handle es sich bei den ADCs um eine relativ geringe Zahl an Patientinnen und Patienten, die innerhalb von Studien behandelt werden. „In Zukunft aber ist zu erwarten, dass viele weitere Tumorerkrankungen mit ADCs oder anderen Immuntherapien behandelt werden“, meinte Steven. Dementsprechend würde auch die Rate an okulären Nebenwirkungen ansteigen, die einer Therapie bedürfen.

Wirksame Ansätze zur Behandlung gibt es bereits. „Wir empfehlen Tränenersatzmittel, je nach Befund auch Cortison-Augentropfen“, so Steven. „Gute Erfahrungen haben wir außerdem mit Spezialkontaktlinsen und Eigenblut-Augentropfen gemacht.“ Entscheidend sei jedoch die enge Kommunikation zwischen onkologischem und augenärztlichem Fachpersonal. „Am effektivsten ist, gemeinsam die Dosis der Krebsmedikamente anzupassen“, erläuterte Steven. So könne die Toxizität begrenzt und in vielen Fällen eine vollständige Abheilung erreicht werden.

Forderung nach gestuften Versorgungskonzept

Für die Zukunft fordert der DOG-Experte ein gestuftes Versorgungskonzept: Kurzfristig sollten spezialisierte (Studien-)Zentren die Betreuung dieser Patientinnen und Patienten übernehmen, mittelfristig augenärztliche Schwerpunktpraxen; langfristig müsste das Thema in der Facharztausbildung verankert werden. „Wir müssen jetzt handeln, um die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu sichern“, betonte der Augenarzt.

Die Kosten dafür blieben überschaubar. „Die zusätzlichen Untersuchungen erscheinen im Vergleich zu den Therapiekosten verschwindend gering“, sagte Steven. Strukturen wie in der Ambulanten Spezialärztlichen Versorgung (ASV) oder der „Besonderen Versorgung“ könnten prinzipiell als Modell dienen, müssten aber kostendeckend kalkuliert sein. „Die Augenheilkunde ist gefordert, sich aktiv in die onkologische Versorgung einzubringen – und die Zukunft mitzugestalten.“