Organspende neu regeln: Gastroenterologen sprechen sich für Widerspruchslösung aus

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Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) fordert beim Thema Organspende aus aktuellem Anlass entschieden die Einführung der Widerspruchslösung. Der Bundesrat wird sich in seiner Sitzung am Freitag, den 26. September 2025 nochmals mit dem Thema befassen.

„Der Organmangel kostet jedes Jahr Leben. Die Widerspruchslösung könnte das ändern“, betont Dr. Sophia Heinrich, Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie in der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie ist Mitglied im Transplantationsteam und betreut die Patienten vor und nach der Lebertransplantation.

„Wenn es mehr Spenderorgane gäbe, könnten wir vielen unserer Patientinnen und Patienten rechtzeitig helfen – bevor ihr Zustand zu kritisch wird oder sie versterben. Mehr verfügbare Organe würden nicht nur die Wartezeiten verkürzen, sondern auch ermöglichen, Patientinnen und Patienten in einem besseren gesundheitlichen Zustand zu transplantieren.“ Das verbessere die Überlebenschancen nach der Operation und mindere zugleich den Entscheidungsdruck für Angehörige, die in einer emotional extrem belastenden Situation nicht allein über Leben und Tod befinden müssten, wie es bisher bei der Zustimmungslösung der Fall ist. 

Akutes Leberversagen: Jede Stunde zählt

Wie dramatisch die Situation ist, zeige sich besonders bei akutem Leberversagen, erklärt die DGVS. Hier entscheidee der Zeitfaktor unmittelbar über Leben und Tod. Ohne Transplantation sterben in Stadium IV rund 80 bis 90 Prozent1 der Betroffenen. Zwar gebe es die Möglichkeit einer „High Urgency“-Listung – also einer priorisierten Platzierung auf der Warteliste. Doch selbst dann vergehe oft zu viel Zeit. Laut Angaben der DGVS dauert es im Durchschnitt rund 72 Stunden, bis ein passendes Organ gefunden ist. In dieser Zeit aber versterben bis zu 30 Prozent der Erkrankten.

„Es gibt keine Möglichkeit, die Leberfunktion über längere Zeit künstlich zu ersetzen – wie etwa bei der Dialyse für die Niere. Ohne Transplantation bleibt nur das Versterben“, ergänzt Prof. Heiner Wedemeyer, Präsident der DGVS und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Der Begriff Warteliste ist hier eigentlich irreführend – es handelt sich um eine Dringlichkeitsliste. Wer zu krank ist, stirbt. Wer noch nicht krank genug ist, wartet – oft zu lange.“

Internationaler Vergleich: Spanien als Vorbild

Die Organvergabe erfolgt in Deutschland nach dem MELD-Score (Model for End-stage Liver Disease: Je höher der Punktwert, desto größer die Dringlichkeit – aber auch das Risiko, in den nächsten drei Monaten zu versterben. In Deutschland sterben mehr als 20 Prozent der gelisteten Patienten auf der Warteliste2. In anderen Eurotransplant-Ländern liegt die Rate bei rund 15 Prozent3. Ein Blick nach Spanien macht laut der DGVS deutlich, wie wirksam die Widerspruchslösung sein kann. Dort bringt sie kürzere Wartezeiten, weniger Todesfälle und bessere Überlebenschancen nach Transplantation.

Medizinischer Fortschritt stößt an Grenzen

Zwar gebe es Fortschritte in der Transplantationsmedizin – etwa durch Maschinenperfusion, mit der auch vorgeschädigte Organe genutzt werden können, oder durch verbesserte Immunsuppressiva, die langfristige Ergebnisse stabilisieren, erläutert die DGVS. Doch diese Entwicklungen könnten den massiven Mangel nicht ausgleichen4. „Wir können die besten medizinischen Möglichkeiten haben – aber ohne Spenderorgane helfen sie unseren Patientinnen und Patienten nicht dauerhaft“, unterstreicht Wedemeyer.

„Wir brauchen ein klares Ja zur Widerspruchslösung“, sagt auch Prof. Birgit Terjung, Mediensprecherin der DGVS aus Bonn. „Das würde nicht nur die Situation unserer Patientinnen und Patienten nachhaltig verbessern, sondern auch für uns Ärztinnen und Ärzte eine große Entlastung bedeuten. Es ist zutiefst unbefriedigend, wenn man alles Menschenmögliche tut – und dennoch Patienten verliert, weil kein Organ zur Verfügung steht.“