Orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Kinder: „Sinnvolle und notwendige Maßnahme“14. November 2025 Foto: Roman/stock.adobe.com Was bringt eine orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Kinder? Das Projekt „OrthoKids“ von der KVBW ging dieser Frage nach – jetzt liegen die Ergebnisse vor: Es wurden mehr Auffälligkeiten entdeckt. Unter anderem die Prävalenz der Skoliose fiel überraschend hoch aus. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das eine sinnvolle und notwendige Maßnahme ist“, betonte Dr. Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, bei der Vorstellung der Ergebnisse des vom Innovationsfonds geförderten Projekts „OrthoKids – orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 14 Jahren“ Ende Oktober in Berlin. Braun verwies darauf, dass in dieser Alterspanne bislang keine Vorsorgeuntersuchung in der Regelversorgung vorgesehen ist. Für Prof. Thomas Wirth, den ehemaligen Direktor der Orthopädischen Klinik Olgahospital, Klinikum Stuttgart, ein Nachteil: „Es wird oft gerade der Moment verpasst, in dem das Wachstum rasant vorangeht.“ Das rasante Wachstum in der Adoleszenz bezeichnete Wirth als „Krise des Skeletts“ mit typischen in der Pubertät auftretenden Skeletterkrankungen. Gerade diese hatte das OrthoKids-Projekt im Blick. Gestartet war das Projekt 2021. Projektpartner der KVBW waren die Orthopädie im Olgahospital des Klinikums Stuttgart, das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS und das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln. Als Kooperationspartner engagierten sich der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), die AOK Baden-Württemberg und die Techniker Krankenkasse (TK). Außerdem waren das Landesgesundheitsamt sowie diverse Sportverbände beteiligt. Am Fraunhofer FOKUS wurde eine ganzheitliche IT-Lösung entwickelt. Diese lieferte zum einen eine Studienplattform zum Teilnehmer- und Datenmanagement und zum anderen Website und App mit Angeboten für Eltern und Kinder. Skelettfehlstellungen bei mehr als der Hälfte der Kinder Im Zentrum der Studie stand die Frage, ob sich durch eine orthopädische Vorsorgeuntersuchung mehr Skelettdeformitäten bei Kindern und Jugendlichen feststellen lassen. Und ja, grundsätzlich deckten die Vorsorgeuntersuchung mehr Fälle auf: Die Prävalenzen waren höher. „Bei mehr als jedem zweiten Kind wurde eine Fehlstellung detektiert“, erklärte Prof. Stephanie Stock, Direktorin des Institutes für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln, bei der Vorstellung der Studienergebnisse. Von 11.548 gescreenten Kindern hatten 1734 (15 %) mehr als eine Diagnose. Im Fokus standen neben Skoliose noch Beinachsenfehlstellungen, Knick-Senk-Fuß und Hüftdysplasie. Bei letzterer unterschied sich die Zahl der festgestellten Fälle kaum zwischen historischer Kontrolle und Interventionsgruppe. Das überraschte angesichts des Hüftscreenings für Säuglinge wenig. Als historische Kontrollgruppe diente eine Zufallsstichprobe aus den Daten von AOK und TK von 10.000 Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und 14 Jahren. In die Analyse flossen jeweils die absoluten Häufigkeiten der Skelettfehlstellungen ein. Überraschend hohe Skoliose-Prävalenz Abgesehen von der Hüftdysplasie zeigte sich für die restlichen betrachteten Fehlstellungen ein anderes Bild. Die Fallzahlen unterschieden sich zum Teil deutlich: Während in der Kontrollgruppe 3,7 Prozent der Kinder die Diagnose Knick-Senk-Fuß erhalten hatten, waren es bei der OrthoKids-Gruppe 35,9 Prozent. Im Falle von Beinachsenfehlstellungen standen 1,5 Prozent in der Kontrollgruppe 12,3 Prozent in der OrthoKids-Gruppe gegenüber. Bei Skoliose lag die Fallzahl bei 1,1 Prozent in der Kontrollgruppe versus 5,9 Prozent in der OrthoKids-Gruppe – immerhin sechs mal so viele Fälle. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, kommentierte BVOU-Präsident Dr. Burkhardt Lembeck, selbst niedergelassener Orthopäde in Baden-Württemberg, die Zahl der Skoliose-Fälle. Er betonte, das sei „mit das wichtigste Ergebnis“ der Evaluation. Gerade bei diesem Krankheitsbild habe die frühe Diagnose einen großen Nutzen. Wirth ergänzte: „Je früher eine Skoliose diagnostiziert wird, desto größer ist die Chance auf eine erfolgreiche konservative Therapie und auf die Vermeidung langfristiger Folgen oder Operationen.“ Ein Jahr nach der Vorsorgeuntersuchung gab es eine Kontrolluntersuchung, um Veränderungen zu dokumentieren. Die teilnehmende Ärzte prüften zudem, ob Eltern und Kinder empfohlene Maßnahmen beziehungsweise Therapien umgesetzt hatten. Bei einer leichten Skoliose (11–20°) wurden beispielsweise Maßnahmen wie Physiotherapie oder Sport empfohlen – und erfreulicherweise auch umgesetzt: Die überwiegende Mehrheit der Kinder mit Skoliose-Diagnose, die zur Kontrolluntersuchung kamen, gab an, Sport zu machen. Kosten-Nutzen-Effizienz einer orthopädischen Vorsorgeuntersuchung bleibt unklar Die erste Forschungsfrage – Können mehr Fälle von Skelettfehlbildungen identifiziert werden? – lässt sich aufgrund der Ergebnisse also eindeutig beantworten. Bei der Frage, ob ein orthopädisches Screening zur Früherkennung und Therapie im Vergleich zu keiner Screening-Maßnahme kosteneffektiv ist, fiel die Antwort nicht so eindeutig aus. Das Ergebnis der gesundheitsökonomischen Analyse: Das Screening verursachte im Vergleich zur Regelversorgung zusätzliche Kosten (161 Euro) bei einem nur geringen Zuwachs an Lebensqualität pro gescreentes Kind. Allerdings sei dieses Ergebnis mit einer „hohen Unsicherheit“ behaftet, wie Stock erklärte. Es fehle die Langzeitevidenz – vor allem mit Blick auf die Lebensqualität. Eine „definitive Aussage“ sei nicht möglich, schränkte Stock ein. Sie regte an, bei künftige Projekten zu präventiven Versorgungsformen Kinder und Jugendliche mindestens bis zum Abschluss der Wachstumsphase nachzuverfolgen. Trotzdem hält Stock die Voraussetzungen für eine Implementierung einer orthopädischen Vorsorgeuntersuchung für Kinder und Jugendliche in die Regelversorgung für „durchaus vielversprechend“, denn das Kosten-Nutzen-Verhältnis liege im internationalen Vergleich in einem „akzeptablen Bereich“. Braun: Orthopädische Vorsorgeuntersuchung als O1 ins „gelbe Heft“ Für KVBW-Vorstand Braun steht der Nutzen einer orthopädischen Vorsorgeuntersuchung fest. Am besten sollte sie „als O1 ins gelbe Heft“ und damit in die Regelversorgung übernommen werden. Damit könne die „Lücke bei den Vorsorgeuntersuchungen“ geschlossen werden, so Braun weiter. Er betonte: „Jeder, der weiß, welches Leidensbild durch Skoliose entsteht, der weiß, dass jeder erkannte Fall gut ist.“ Brauns Einschätzung nach ließe sich eine solche Vorsorgeuntersuchung in den orthopädischen Praxen gut umsetzen: Ein Kapazitätsproblem sieht er nicht – zumindest nicht jenseits der Anfangsphase, wenn vier Jahrgänge für die Präventionsmaßnahme infrage kommen. Braun geht von einer Teilnahmequote von 45 Prozent aus. Dann kämen sechs Kinder pro Quartal zusätzlich in die Praxen, so der KVBW-Vorstandsvorsitzende. Für die TK bleibt langfristiger Erfolg unklar Dr. Katja Plückelmann vom Bundesverband Skoliose teilte Brauns Sicht. Sie betonte bei der abschließenden Diskussionsrunde: „Wenn die J1 erst mit 14 Jahren stattfindet, ist das viel zu spät – gerade bei Mädchen.“ BVOU-Vorstand Lembeck ergänzte, dass die J1 „nicht greife“ und verwies auf zu niedrige Teilnahmequoten. Einer Erhebung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zufolge nahm im Zeitraum zwischen 2009 und 2014 nur knapp die Hälfte der Jugendlichen an der J1 teil. Allerdings machte Nadia Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, wenig Hoffnung darauf, dass eine orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Heranwachsende zeitnah in der Regelversorgung ankommt. Noch sei unklar, ob oder unter welchen Bedingungen das Screening auch langfristig zu den gewünschten Projekterfolgen führe. Deshalb müssten vor einem großflächigen Einsatz weitere Modalitäten geklärt werden. Mussa hob aber auch hervor: „Es ist wichtig, dass solche Studien stattfinden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Deshalb war die TK gerne als Partner mit dabei.“ (ja/BIERMANN)
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