Pankreasentwicklung: Umfassender evolutionärer Vergleich von Einzelzell-Atlanten erstellt6. November 2025 Foto: © sebastian-kaulitzki/stock.adobe.com Ein internationales Team unter der Leitung von Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) hat einen umfassenden evolutionären Vergleich von Einzelzell-Atlanten der Pankreasentwicklung erstellt. Das Pankreas und seine Entwicklung stehen seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Diabetes- und Krebsforschung. Bislang stützte sich die Wissenschaft fast ausschließlich auf Mausmodelle. Doch Mäuse unterscheiden sich in vielen Aspekten vom Menschen – von der Entwicklungsdauer über den Stoffwechsel bis hin zur Genregulation. „Gerade bei komplexen Erkrankungen wie Diabetes mellitus brauchen wir Modelle, die dem Menschen wirklich nahekommen“, so Prof. Heiko Lickert von Helmholtz Munich und DZD-Forscher. In einer neuen Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Nature Communications“, legte das Forschungsteam nach eigenen Angaben die erste umfassende Einzelzellanalyse der Pankreasentwicklung in Maus, Mensch und Schwein vor. „Wir konnten zeigen, dass Schweine in ihrem Entwicklungstempo, in molekularen Steuerungsmechanismen und in der Genregulation dem Menschen deutlich ähnlicher sind als die Maus“, berichtet Lickert. Über 120.000 Zellen untersucht Die Forschenden haben über 120.000 Zellen aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen untersucht. Die Zellen stammen aus allen drei Abschnitten der Tragezeit, die bei Schweinen 114 Tage dauert. Mit hochauflösenden Single-Cell-RNA-Sequenzierungen und Multi-Omics-Ansätzen konnten sie Entwicklungsstadien und Zelltypen präzise bestimmen. Vergleiche der frühen Entwicklungsstadien des Pankreas bei Schwein und Mensch zeigen eine hohe Übereinstimmung: Schweine ähneln dem Menschen stark hinsichtlich der Entwicklungsgeschwindigkeit, der epigenetischen und genetischen Steuerungsmechanismen sowie der Genregulationsnetzwerke. Das gilt auch für die Entwicklung von Vorläuferzellen und die Entstehung hormonproduzierender Zellen. Über die Hälfte der Transkriptionsfaktoren, die durch das Gen NEUROGENIN3 gesteuert werden sind beim Schwein und beim Menschen identisch. Viele dieser Faktoren wurden bereits erfolgreich in menschlichen Stammzellmodellen bestätigt. Dazu gehören zentrale Transkriptionsfaktoren wie PDX1, NKX6-1 oder PAX6, welche für die Genregulation und Ausbildung von Betazellen entscheidend sind. NEUROGENIN3 spielt somit eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Bauchspeicheldrüse. Neue Zellpopulation entdeckt Ein weiterer wichtiger Fund: Während der Embryonalentwicklung tritt eine spezielle Zellgruppe auf, die „primed endocrine cell“ (PEC), die sowohl beim Schwein als auch beim Menschen vorkommt. PECs können sich in hormonproduzierende Inselzellen differenzieren. „Diese PECs könnten eine alternative Quelle für die Regeneration von Insulin-produzierenden Betazellen darstellen, die auch ohne den Masterfaktor NEUROGENIN3 entstehen können“, so Lickert. „Das könnte erklären, warum Patienten mit seltenen NEUROG3-Mutationen trotzdem funktionsfähige Betazellen entwickeln. Dieses Wissen ist essenziell, um in der Zukunft Betazellen in Menschen, die unter Diabetes leiden, zu regenerieren.“ Evolutionär konservierte Mechanismen Die Forschenden haben Unterschiede zu Mausmodellen aufgedeckt: So exprimieren die Betazellen im Schwein schon in der Embryonalentwicklung den Transkriptionsfaktor MAFA, der die Reifung von Betazellen steuert, der bei der Maus fehlt. MAFA ist entscheidend für die funktionelle Insulinproduktion beim Menschen. In menschlichen Betazellen steuert dieser Faktor die finale Reifung hin zu einem Phänotyp, der empfindlich auf Glukose reagiert. „Unsere Ergebnisse zeigen, welche Genregulationsnetzwerke evolutionär stabil sind und welche artspezifisch“, kommentiert Lickert. „Nur wenn wir diese Unterschiede kennen, gelingt es, Tiermodelle für Diabetes so zu verbessern, dass sie Menschen wirklich entsprechen“, fügt er hinzu. Neben den PECs fanden die Wissenschaftler auch zwei Subtypen von Betazellen im Schwein, die unterschiedliche Genprogramme aufweisen. „Unsere Entdeckung einer frühen Betazell-Heterogenität ist besonders relevant: Sie könnte uns helfen, zu verstehen, warum manche Betazellen bei Erkrankungen überleben und andere nicht“, ist Lickert überzeugt. Relevanz für regenerative Medizin Doch die Bedeutung dieser Ergebnisse reiche laut den Autoren weit über die reine Grundlagenforschung hinaus. Sie eröffnen auch Perspektiven für zukünftige Therapien. Bislang gilt es als zentrales Hindernis der regenerativen Medizin, aus Stammzellen im Labor stabile und funktionell reife Betazellen zu gewinnen. Die nun gewonnenen Erkenntnisse aus dem evolutionären Vergleich der Pankreasorganogenese könnten dazu beitragen, Entwicklungsprogramme besser zu verstehen – und gezielt so zu steuern, dass funktionierende Insulin-produzierende Zellen aus Vorläufer- und Stammzellen für zukünftige regenerative Therapien entstehen.
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