Patienten steuern? Politik bleibt zaghaft

Den Patienten ressourcenschonend durch das Gesundheitssystem zu leiten, scheint zunehmend geboten. Doch die Politik zaudert. Symbolbild (KI-generiert): Anny – stock. adobe.com

„Der gesteuerte Patient“ stand im Mittelpunkt des Berufspolitischen Forums am 18.09.2025 beim 77. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Doch wie ließe sich der Patient steuern, um die Ressourcen im Gesundheitswesen optimal zu nutzen – und ist es überhaupt politisch gewollt, am Patienten anzusetzen?

Von Markus Schmitz

„Es steht außer Frage, dass wir steuern müssen“, betone Alexander Paquet vom Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. Der „Vertreter des Kollektivvertrags“, wie er sich selbst bezeichnete, präsentierte in Hamburg das Konzept „Ambulant passgenau versorgt“, das für eine „bedarfsgerechte Patientensteuerung“ sorgen soll. Der Wirtschaftsinformatiker unterschied in seiner Rede zwischen Bedarfen und Bedürfnissen, ohne den Unterschied jedoch genauer zu definieren. Patientenbedürfnisse, so ließ sich aus seinen Ausführungen schließen, müssen nicht unbedingt erfüllt werden, der Versorgungsbedarf dagegen schon.

Paquet sprach sich für eine Art Primärarztsystem aus, wie es die Regierung aktuell vorsieht (wir berichteten). Patienten ohne Überweisung, so sein weitergehender Vorschlag, müssten eine Eigenbeteiligung zahlen. Ein Direktzugang zum Facharzt soll jedoch bei „schwerer chronischer Erkrankung“ oder zur Früherkennung möglich sein. Der KV-Vertreter bezeichnete als Grundvoraussetzung für eine Termingarantie, wie sie in diesem Konzept vorgesehen ist, eine Vorhaltefinanzierung, denn die Ärzte müssten ja Termine vorhalten. Wenn die Zuweisung durch die Terminservicestelle (116117) oder den Hausarzt zustande kommt, dann „muss das extrabudgetär vergütet werden“, forderte Paquet.

Wenig außer beschwichtigenden Worten war von Maurice Bröhl von der AOK Rheinland/Hamburg zu hören. „Es geht an keiner Stelle darum, dass Geld abgezogen wird“, versuchte er die anwesenden Urologen zu beruhigen – was angesichts aktueller Regressforderungen (wir berichteten) wie Hohn anmutet. Die Urologen sollten sich auch nicht sorgen, so Bröhl, dass sie durch das Primärarztsystem weniger Patienten hätten und damit Verdienstausfälle hätten. „Dann muss man natürlich im Weiteren über das Vergütungssystem sprechen“, so Bröhl. „Natürlich sollte jede Facharztgruppe auskömmlich ausgestattet werden“, beteuerte er. „Uns eint das Ziel, dass am Ende für den Patienten und den Arzt ein optimales System resultiert.“

Zweifel am (berufs)politischen Willen

Ist eine Patientensteuerung aber überhaupt politisch gewollt? Dr. Sven Schellberg, niedergelassener Allgemeinmediziner in Berlin und damit einer der designierten Primärärzte, bezweifelte dies. „Fragliche Bedarfe werden geweckt und grenzenlos ermöglicht“, klagte Schellberg. Beim Patienten anzusetzen, Eigenverantwortung einzufordern und bei Fehlinanspruchnahme gegebenenfalls auch Sanktionen zu verhängen, sei unpopulär. Die Politik scheue sich aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen, den Zugang zu begrenzen. Dabei machen andere Länder es vor, wie etwa Dänemark, wo Schellberg eine Zeit lang lebte: Hier bekommt man eine Karte, auf dem ein Arzt vermerkt ist, welcher der einzige ist, den man konsultieren darf.

Doch auch wenn der politische Wille begrenzt zu sein scheint – der Berliner Hausarzt ließ keinen Zweifel: „Patientensteuerung ist die sinnvolle Nutzung begrenzter Ressourcen.“ Daher sei „ein wirkstarkes Primärarztsystem“ erforderlich, aber „nicht so butterweich wie im Koalitionsvertag“.

Doch auch berufspolitisch muss es gewollt sein, betonte Schellberg und wandte sich an die Vertreter der Berufspolitik im Saal. „Der hausärztliche Primärarzt darf nicht als Bedrohung, sondern muss als Chance gesehen werden“, betonte er und forderte: „Die Berufsverbände müssen über eine Klippe springen.“ Zudem kritisierte er die Fachärzte, sie hätten gerne den Hausarzt-Vermittlungsfall, weil sie damit mehr abrechnen könnten, aber „ich hätte auch gerne mal den Arztbrief dazu“. Auch müssten die Fachärzte Ressourcen bereitstellen, damit ein Termin nicht erst in vier Monaten stattfinde. Seine eigene Zunft verschonte er indes nicht mit seiner Kritik: Die Hausärzte müssten überkommene Hausarzt-Dogmen aufgeben und nicht länger so tun, als könnten sie alles.

Selektivvertrag als Vorlage

Als Vorlage dafür, wie eine Patientensteuerung in der Praxis aussehen könnte, führte Dr. Michael Rug, niedergelassener Urologe in Karlsruhe, die Haus- und Facharztverträge in Baden-Württemberg an, die dort mit der AOK BW und der Bosch BKK geschlossen wurden. Denn der Clou ist, dass Patienten nur dann in den Genuss der „besonderen Versorgung“ nach §140a SGB V kommen können, wenn sie auch an der hausarztzentrierten Vesorgung nach §73b SGB V teilnehmen. „Diese Verknüpfung ist wichtig, betonte Rug.

Vorteile gibt es laut dem Urologen für alle drei Seiten. Der Selektivvertrag beinhalte eine „umfassende ambulante Komplettversorgung für die eingeschrieben Patienten“. Ein Termin soll im Regelfall 14 Tage nach Überweisung stattfinden, wobei er einschränkend zugab, man sei hier „auf gutem Weg“. Auswertungen von Selektivverträgen haben Rug zufolge ergeben, dass Patienten in Selektivverträgen ein besseres Outcome, weniger Einweisungen, weniger Komplikationen und eine geringere Morbidität hätten. Die Abrechnungslogik sei durch Pauschalierung gegenüber dem Kollektivvertrag vereinfacht, trotzdem seien für die Kassen die Kosten nachweislich geringer. Die Fallwerte liegen ca. 20 Euro höher als in Selektivverträgen, und auch der Wegfall der Selbstzahlerleistung PSA-Bestimmung – sie ist in den Vertragsleistungen integriert – würden mehr als kompensiert, führte der Urologe aus. „Die AOK wollte, dass wir keinen Anreiz haben, PSA-Tests zu verkaufen“, berichtete er. Dem eingeschriebenen Urologen winken im Selektivvertrag ein planbares Honorar, leistungsadäquate Vergütung, keine Budgets und Entbürokratisierung – insgesamt „mehr Zeit für das Wesentliche“.

(ms)