Pharma Deutschland fordert Aussetzung der Kommunalabwasserrichtlinie

Kläranlagen sollen künftig mehr Mikroschadstoffe aus dem Abwasser entfernen. (Foto: © Avatar_023 – stock.adobe.com)

Pharma Deutschland, der nach eigenen Angaben mitgliederstärkste Branchenverband der Pharmaindustrie in Deutschland, appelliert an Bundesumweltminister Carsten Schneider, sich im Rat der EU-Umweltminister für die Aussetzung der derzeitigen Fassung der Kommunalabwasserrichtlinie (KARL) einzusetzen.

In einem offenen Brief an den Bundesumweltminister kritisieren die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes, Dorothee Brakmann, und der Vorstandsvorsitzende Jörg Wieczorek, dass die Richtlinie auf „nachweislich fehlerhaften Annahmen“ basiere. So werde in der Richtlinie angegeben, dass 66 Prozent der Mikroschadstoffe im Abwasser von Humanarzneimitteln stammen, tatsächlich lägen aber keine eindeutigen Daten über die reale Belastung kommunaler Abwässer hinsichtlich der Mikroschadstofffraktionen und deren Relation vor.

Neben den wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten weist der Branchenverband auch auf Fehleinschätzungen der durch die Abwasserrichtlinie entstehenden Kosten hin. Während die EU-Kommission 238 Millionen Euro jährlich für Deutschland veranschlagt, geht das Umweltbundesamt von mindestens einer Milliarde Euro aus.

„Arzneimittelversorgung nicht aufs Spiel setzen“

Pharma Deutschland weist in seinem Brief den Bundesumweltminister außerdem darauf hin, dass auch außerhalb der pharmazeutischen Industrie dringender Handlungsbedarf gesehen werde. So werde auch im Abschlusspapier des deutsch-französischen Ministerrats vom 29. August 2025 eine grundlegende Überarbeitung der Richtlinie eingefordert. Außerdem hätten die Gesundheitsministerkonferenz und die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder die Bundesregierung bereits im Juni 2025 aufgefordert, sich in Brüssel für eine Neufassung einzusetzen.

„Wir appellieren an Herrn Bundesminister Schneider, die erweiterte Herstellerverantwortung in dieser Form auszusetzen und eine unabhängige wissenschaftliche Neubewertung der KARL zu veranlassen“, erklärte der Branchenverband. „Nur eine Richtlinie, die auf korrekten Daten basiert und alle relevanten Branchen berücksichtigt, kann zugleich ökologische Wirksamkeit, wirtschaftliche Vernunft und Versorgungssicherheit gewährleisten.“

Verursacher der Belastung sollen sich an Reinigungskosten beteiligen

Bis Ende Juli 2027 müssen alle EU-Länder die neue KARL in nationales Recht übernehmen. Diese verpflichtet Kläranlagenbetreiber zur Einführung einer vierten Reinigungsstufe, um Mikroschadstoffe (Stoffe anthropogener Herkunft, die meist in sehr geringen Konzentrationen in Gewässern vorkommen, wie etwa Arzneimittelrückstände) und andere schwer abbaubare Substanzen zu entfernen.

Neben verschärften Anforderungen an die Kommunen und die Abwasserbehandlung zur Reduzierung der Nährstoffe Stickstoff und Phosphor etabliert die Richtlinie nach dem Verursacherprinzip erstmals auch eine finanzielle Beteiligung von Industriesektoren, die für einen Großteil der Stoffe verantwortlich sind, die über die neu eingeführte vierte Reinigungsstufe aus belastetem Abwasser entfernt werden müssen. Die erweiterte Herstellerverantwortung (EHV) soll zudem Anreize zur Reduzierung der Gewässerschädlichkeit von Produkten setzen.