Pigment-Folien: Neuartige Netzhaut-Implantate werden denkbar13. April 2022 Mini-Solarzellen. Foto: © Lunghammer-TU Graz Ein internationales Forschungsteam hat eine Technik entwickelt und erfolgreich getestet, bei der Nervenzellen mit Lichtpulsen stimuliert werden. Diese Technologie liefert den Wissenschaftlern zufolge “erhebliche Vorteile für die Medizin” und könnte eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Beispielsweise ermögliche sie vollkommen neue Arten von Implantaten – so auch auf dem Gebiet der Netzhautprothetik. Entwickelt wurde diese Technologie in einer Gemeinschaftsleistung von Forschenden der TU Graz, der Med Uni Graz, der Universität Zagreb und dem Central European Institute of Technology (CEITEC). Die Basis bilden Farbpigmente aus der Lebensmittelindustrie, wie sie beispielsweise auch in organischen Solarzellen verwendet werden. Diese Pigmente werden zu einer nur wenige Nanometer dünnen Schicht aufgedampft und wandeln – wie in organischen Solarzellen – Licht in elektrische Ladung um. Die anheftenden Nervenzellen, welche zuvor auf die Folie pipettiert werden, reagieren auf diese Aufladung und feuern ihrerseits elektrische Impulse, mit denen sie andere Nervenzellen anregen.Diesen Prozess, so die TU Graz weiter, konnten die Forschenden nun erstmals in zellbiologischen Experimenten nachweisen. Gezüchtete Nervenzellen, die direkt auf der Folie wuchsen, wurden durch mehrere jeweils wenige Millisekunden kurze Lichtblitze mit einer Wellenlänge von 660 Nanometern (rotes Licht) angeregt und reagierten wie erhofft: Sie erzeugten sogenannte Aktionspotenziale, die wesentlich sind für die Kommunikation zwischen Nervenzellen.ParadigmenwechselDie Korrespondierende Autorin Theresa Rienmüller vom Institut für Health Care Engineering der TU Graz spricht von einem Paradigmenwechsel: „Im Gegensatz zur derzeit gängigen Elektrostimulation mittels Metallelektroden stellen unsere Pigmentfolien eine vollkommen neue Möglichkeit dar, Nervenzellen anzuregen.“ Die Folien seien so dünn, dass sie leicht implantiert werden könnten. Während der Behandlung würden die Nervenzellen mit rotem Licht bestrahlt, das ohne Schaden tief in den Körper dringen könne. „Wir denken, dass kurzfristige Behandlungen zu therapeutischen Langzeiteffekten führen können. Diese Experimente werden jetzt gerade erforscht“, gibt Rainer Schindl Elektrophysiologe am Lehrstuhl für Biophysik der Med Uni Graz und Supervisor im Projekt einen Ausblick. Zukünftig bräuchte es also keine aufwendige Verkabelung mehr, was nach invasiven Eingriffen wiederum die Infektionsgefahr reduziere. Dank ihrer organischen Beschaffenheit seien die Pigmentfolien ausgesprochen gut verträglich, sowohl für menschliche als auch für tierische Zellen.Vielfältige EinsatzgebieteAnwendungsmöglichkeiten sehen die Forschenden bei schweren Hirnverletzungen. Hier kann die Stimulation von Nervenzellen den Heilungsprozess beschleunigen und Komplikationen vorbeugen, indem sie „ein Absterben der Nervenzellen verhindert“, so Erstautor Tony Schmidt vom Lehrstuhl für Biophysik der Med Uni Graz. Potenzial sehen die Forschenden auch bei anderen neurologischen Verletzungen oder in der Schmerztherapie. Außerdem könne die Technologie eingesetzt werden, um neuartige Netzhaut-Implantate zu erzeugen.Bis die Pigmentfolie den Weg in die klinische Anwendung findet, ist noch weitere Forschung nötig. Diese erfolgt unter anderem im Rahmen eines derzeit laufenden und vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Zukunftskollegs (Titel: LOGOS-TBI: Light-controlled OrGanic semicOnductor implantS for improved regeneration after Traumatic Brain Injury). Rienmüller, Schindl und Schmidt geben sich zuversichtlich, dass „schon in den nächsten beiden Jahren erste Pigmentfolien implantiert werden könnten.“ Publikation:Schmidt, T., Jakešová, M., Đerek, V., Kornmueller, K., Tiapko, O., Bischof, H., Burgstaller, S., Waldherr, L., Nowakowska, M., Baumgartner, C., M. Üçal, , Leitinger, G., Scheruebel, S., Patz, S., Malli, R., Głowacki, E. D., Rienmüller, T., Schindl, R., Light Stimulation of Neurons on Organic Photocapacitors Induces Action Potentials with Millisecond Precision. Adv. Mater. Technol. 2022, 2101159.https://doi.org/10.1002/admt.202101159
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