Pilotprojekt NRW: Die ersten Konsequenzen der Krankenhausreform sind spür- und unabwendbar

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Wie geht es weiter mit der Krankenhausreform in der neuen Koalition? Und was bedeuten die Ablehnungsbescheide von O&U-Leistungsbereichen, die in Nordrhein-Westfalen verschickt wurden, für Kliniken und Ärzte? Diese Fragen wurden in einer DKOU-Session in Berlin erörtert.

Eingeladen zur Session hatte der vierköpfige Vorstand des Verbandes Leitender Orthopäden und Unfallchirurgen (VLOU). Der 1. Vorsitzende Prof. Michael Schädel-Höpfner hob hervor, dass man die Krankenhausreform aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten wolle, den Kliniken und ihren Mitarbeitenden, der ärztlichen Selbstverwaltung und der Justiz. Eines sei jedoch klar, das Thema gehe früher oder später alle an.

Von den Null-Bescheiden „total überrascht“

Dr. Marc K. Schuler, Chefarzt einer Klinik in Salzkotten berichtete von seiner ganz persönlichen Erfahrung, die er in NRW, dem Blaupausen-Land für die Krankenhausreform, gemacht hat. Als die Ablehnungsbescheide der Bezirksregierungen für die Leistungsgruppen Endoprothetik Hüfte, Knie und deren Revision sowie Wirbelsäuleneingriffe verschickt wurden, war er noch Chefarzt einer Klinik in Bergisch Gladbach, die seit zehn Jahren Endoprothetik anbot und zuletzt rund 500 Prothesen im Jahr einsetzte. Außerdem war man 2024 auf dem Weg, sich als Endoprothesenzentrum der Maximalversorgung zu bewerben und erfüllte alle dafür benötigten strukturellen und ärztlichen Qualitätskriterien, berichtete Schuler. „Dann kamen die Null-Bescheide für sämtliche Knie- und Hüfteingriffe, nur die Leistungsgruppe der Wirbelsäuleneingriffe wurden uns bewilligt. Das hat uns alle, auch die Geschäftsführung, total überrascht“, so Schuler. „

„Akzeptieren, wehren oder umziehen?“

Ich musste mir die Frage stellen, welche Konsequenzen dies für mich und meine Klinik hat: Akzeptieren, wehren oder umziehen? Ich hatte ja zum Beispiel auch alle Qualifikationen zur Weiterbildung, nur die Leistungsgruppen wurden mir weggestrichen, die Weiterbildungsermächtigung für die Klinik aber dennoch für ein weiteres Jahr verlängert.“ Diese Entwicklungen mit den vielen Ungereimtheiten der Klinikreform wie etwa auch bei den Fallzahlen bedeuteten für Schuler nur eines: sich einen neuen Job in einer anderen Klinik zu suchen. Viele, aber nicht alle seiner Mitarbeitenden, seien zwar geblieben und arbeiteten heute nur noch unfallchirurgisch, doch er gehe davon aus, dass die neue Situation im Land zu großer Unsicherheit geführt hat. Denn insgesamt erhielten rund die Hälfte aller Kliniken die eine O&U-Leistungsgruppe beantragt hatten, diese nicht (Knie -57 %, Hüfte -48 %, Wirbelsäule -50 %).

Aus dem Publikum bestätigte Prof. Sascha Flohé, ein Kollege Schulers aus einer Solinger Klinik, dessen Erfahrungen. Er habe den Verdacht, dass NRW bei seinen Ablehnungsbescheiden, nur über die Fläche geschaut habe, wo Überversorgung reduziert werden kann. Wo Qualität erbracht wurde, sei zweitrangig gewesen. „Die Politik hat unserer Zertifizierungsverfahren überhaupt nicht interessiert, 40 Prozent der Kliniken in NRW denen die Leistungsgruppen entzogen wurden, waren zertifizierte Endoprothetikzentren.

Überversorgung abbauen: ein klares Reformziel

Der Geschäftsführer Politik der Bundesärztekammer Ulrich Langenberg zeigte zunächst einmal ein Grundverständnis für die Bemühungen des Bundes zur Reform der deutschen Kliniklandschaft. Es sei allen klar gewesen, dass gerade in Ballungsgebieten eine Überversorgung in vielen Bereichen existiert und dort etwas unternommen werden muss. Die Krankenhausversorgung effizienter zu machen und die Behandlungsqualität zu sichern oder zu steigern, sei ja auch sinnvoll, aber was die Reform der Reform nun bringen werde und wann sie komme sei noch immer ungewiss.

Ungereimtheiten und weiterer Handlungsbedarf

Dass für O&U spezielle Leistungsgruppen außerhalb der Allgemeinen Chirurgie definiert wurden ist laut Langenberg deshalb geschehen, weil man sie aufgrund spezieller Annahmen oder Anforderungen besonders betrachten wollte. Nur wie die Leistungsgruppensystematik letztendlich funktioniere, auch da sah der BÄK-Vertreter einige Ungereimtheiten bei der Fallzuordnung, den Qualitätskriterien und der MD-Prüfung. „Wie werden die Fälle überhaupt gezählt, fragte Langenberg. Diese Frage sei nicht unwesentlich, da damit überhaupt entschieden werde, was überhaupt gesteuert wird. Jeder Fall werde aber nur einmal gezählt, obwohl er im Klinikaufenthalt unterschiedliche Leistungsgruppen berühren könne. „Die angegebenen Fallzahlen im Klinikatlas haben deshalb auch nichts mit der Realität zu tun.“ Man müsse sich auch die Frage stellen, ob es richtig war bei der Fallzuordnung nur elektive Hüften zu zählen, jedoch keine Hüftfrakturen. War das richtig? Und erst wenn die Fallzuordnungen überhaupt geklärt seien, ließen sich Qualitätskriterien sinnvoll definieren. Gleiches gelte für die MD-Prüfung, die sich an den diesen Kriterien orientieren müsse. Da die Fallzuordnung über den vom Institut für das Entgeltwesen in der Krankenhausbehandlung (InEK) zertifizierte Leistungsgruppen-Grouper erfolgt,hat dieser eine zentrale Bedeutung für die Fallzuordnung bei dem die BÄK großen Handlungsbedarf sieht. Laut Langenberg ist dieser nicht nur rein von einer Abrechnungslogik geprägt, sondern auch ein hochkomplexer Algorithmus, dessen Einsatz bei der Fallzuordnung nicht sinnvoll sei, weshalb auch der diesjährige Ärztetag es ablehnte, ihn bei der Umsetzung der Krankenhausreform zuzulassen.

Auch bei der Vorhaltevergütung und insbesondere der Weiterbildung sah der BÄK-Vertreter noch Handlungsbedarf. „Junge Ärzte werden während ihrer Weiterbildung die Standorte wechseln müssen“, so Langenberg. Denn die Weiterbildungsmöglichkeiten seien nach der Reform fragmentiert. „Schaffen Sie Weiterbildungsverbünde, um weiterhin eine strukturierte Weiterbildung für den Arztnachwuchs anbieten zu können“, forderte er auf.

Der BÄK-Vertreter stellte infrage, ob die Hauptziele der Krankenhausreform derzeit überhaupt erreicht seien. Eines ihrer Hauptziele, die Abnahme von Bürokratie, wird diese Reform aber sicher verfehlen, zeigte er sich überzeugt.

Ärzteschaft: Nur eine Stimme im Reformprozess

Warum die Bedenken der Ärzteschaft im Reformprozess nicht mehr Gehör finden, konnte Langenberg ebenfalls erklären. Denn im Leistungsgruppenausschuss habe die BÄK nur eine Stimme und vielen Playern, wie etwa der Krankenhausgesellschaft oder dem GKV-Spitzenverband. Und Letzterer könne im Ausschuss auch nicht überstimmt werden, so die ihm unverständliche Regelung.

Schlechte Stimmung und Klagewelle in NRW

Anknüpfend an seine beiden Vorredner berichtete Norbert Müller, Fachanwalt für Medizin-, Steuer- und Arbeitsrecht über das Stimmungsbild und Erkenntnisse, die sich aus den derzeit rund 95 Klageverfahren von 87 Krankenhäusern gegen die Feststellungsbescheide in NRW ergeben. Müller stellte klar, dass die Klagen keine aufschiebende Wirkung haben. Auch die derzeit 44 angestrebten Eilverfahren bringen den Klinken laut Müller nichts. Erstens würden Sie überwiegend abgelehnt und nur bei groben Verfahrensfehlern annulliert – und nur in solch offensichtlichen Fällen riet Müller zu klagen – und zweitens entschieden die zuständigen Verwaltungs- oder Sozialgerichte im Hauptverfahren oft erst nach zwei manchmal sogar vier Jahren. „Was bringt ihnen ein Urteil 2027, wenn der Bereich, um den es geht, längst tot ist, weil die Mitarbeitenden nach dem Eingang des Feststellungsbescheides mit den Füßen doch längst abgestimmt haben?“ Gerade in Grenzstandorten bietet es sich dem Rechtsanwalt zufolge geradezu an, dass die Mitarbeitenden aus NRW ins Nachbarbundesland wechselten. Kurz und drastisch drückte Müller den Umstand in NRW so aus: „Ist der negative Leistungsgruppenbescheid erst einmal verschickt, dann ist ihre Abteilungen unwiderruflich weg.“

Konsequenzen für die Weiterbildung „nicht mitbedacht“

Unverständlich ist laut Müller auch, warum Null-Bescheide an Kliniken verschickt werden, die zuvor noch die volle Weiterbildungserlaubnis für fünf Jahre erhalten haben. „Das sind wohl überlappende Kollateralschäden.“ Die Auswirkungen auf die Weiterbildung werden dem Anwalt zufolge so oder so aber massiv sein. Denn mit beschränkten Leistungsgruppen werde auch der Umfang der Weiterbildungsbefugnis beschränkt. „Für die Weiterzubildenden wird in diesen Fällen der Wechsel in andere Weiterbildungsstätten notwendig sein. Sämtliche arbeitsrechtlichen Konsequenzen, die damit verbunden sind, hat die Politik nicht mitbedacht“, kritisierte er. Das hätten alle Beteiligten aber wissen müssen.

Eine weitere Folge: Weniger qualifizierte Ärzte in einer Klinik machen nach Angaben Müllers in der Regel wieder einen fachübergreifenden Bereitschaftsdienst notwendig. „Ich rate ihnen lassen sie das“, so der Rechtanwalt und begründete dies wie folgt: Sollte in diesem Rahmen ein fachfremder Assistenzarzt untätig sein oder Fehler begehen wird der für den Patienten zuständige Chefarzt zur Verantwortung gezogen, erläuterte er. Deshalb riet er Chefärzten, sobald Klinikträger einen facherübergreifenden Bereitschaftsdienst planten, deren Geschäftsführer schriftlich darauf hinzuweisen, dass sie persönlich wegen eines Organisationsverschuldens haftbar sind und sowohl zivil- als auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, so Müller.

Auf die lange Bank – nicht im Sinne des Reformvorhabens

Dank der Reform, so der Rechtsanwalt, würden Kliniken und ihre Ärzte mehr zu ausführenden Organen, die nur noch wenig mitbestimmen könnten. Dass die Klinken und Ärzte in NRW als Pilotprojekt nun die ersten Konsequenzen tragen müssen ist seiner Meinung nach unabwendbar. „Doch dass der Bund mit der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken nun den Eindruck erweckt, dass die Reform noch einmal auf die lange Bank geschoben werden kann, das ist absolut nicht im Sinne des Reformvorhabens“, konstatierte Müller.

(hr/BIERMANN)