Placebo-Effekt – Spuren im Körper8. Oktober 2020 Bild: SZ Photos, AdobeStock Die molekularen Grundlagen des Placebo-Effekts sind bislang nur unzureichend verstanden. Ein Team um LMU-Forscherin Karin Meißner untersuchte das Phänomen bei Übelkeit im Labor und wies nach, dass daran tatsächlich bestimmte Proteine beteiligt sind. Der Placebo-Effekt wurde bislang vor allem im Zusammenhang mit Schmerzen erforscht, Wissenschaftler untersuchten dabei vorwiegend Hirnaktivitäten. Die physiologischen Mechanismen hinter dem Phänomen sind bislang aber nur unzureichend verstanden. Nun hat ein Team vom LMU-Institut für Medizinische Psychologie in Zusammenarbeit mit Forschern des Helmholtz-Zentrums München den Placebo-Effekt bei Übelkeit erstmals im Labor auf molekulare Mechanismen hin untersucht. Die Forscher bestätigten dabei nicht nur Symptomeffekte einer Placebo-Behandlung, sondern fanden physiologische Spuren im Blut, die sogar den Effekt selbst erklären können. „Es ist die erste Studie überhaupt, die die Methode der Proteomik, also der Erforschung aller im Körper vorkommenden Proteine, im Kontext der Placebo-Forschung eingesetzt hat“, sagt Meißner. „Proteomik bietet einen unvoreingenommenen Blick auf den Placeboeffekt.“ Übelkeit spielt nicht nur beim Reisen, sondern auch als Symptom im medizinischen Kontext eine wichtige Rolle, etwa als Nebenwirkung von Medikamenten und Narkosen oder in der Schwangerschaft. Bislang untersuchten Wissenschaftler vor allem den Placeboeffekt auf Schmerzen, vergleichsweise wenige Studien gibt es bislang zur Übelkeit. „Für mich ist das Symptom der Übelkeit besonders spannend, weil es mit messbaren Änderungen der Magenaktivität einhergeht“, sagt Meißner. Damit lasse sich sozusagen der Phantom-Effekt auf körperlicher Ebene unmittelbar untersuchen.Die Wissenschaftler setzten zunächst hundert Testpersonen gezielt einem Übelkeitsreiz aus. Sie verwendeten dabei einen visuellen Reiz: Schwarz-weiße Streifen zogen auf einem halbrunden Bildschirm 30 Zentimeter vor den Probanden vorbei. Anschließend erfassten die Forscher die Reaktion auf diesen sogenannten Vektionsreiz. Sie befragten die Probanden nach Symptomen, maßen die Magenaktivität und entnahmen Blutproben für die Proteomik-Analyse. Am Tag darauf testete das Team dann in verschiedenen Studiengruppen, wie die Probanden auf eine Placebo-Behandlung im Vergleich zu keiner und echter Behandlung reagierten. Bei einer echten Behandlung gegen Übelkeit stimuliert ein sogenanntes TENS-Gerät mit leichtem Strom bestimmte Akupunkturpunkte. Bei einer Placebo-Behandlung wird ein „Placebo-Punkt“ entweder nur oberflächlich behandelt oder das Gerät erst gar nicht eingeschaltet.Die Ergebnisse waren umso erstaunlicher, als sie einige Hypothesen der Literatur zum Placebo-Effekt zu bestätigen scheinen, so Meißner. So konnten die Wissenschaftler bei ihrer Proteomik-Analyse spezifische Proteine finden, die mit einer schnellen Immunantwort bei Auftreten von Übelkeit in Verbindung stehen. „Offenbar unterdrückt die Placebo-Behandlung diese schnelle Immun-Antwort“, sagt Meißner. Zudem gebe es Hinweise, dass Proteine wie Neurexin oder Reelin, die für empathisches Verhalten und Bindung eine wichtige Rolle spielen, mit dem Placeboeffekt auf Übelkeit assoziiert waren. Bindungshormone können offenbar den Placebo-Effekt verstärken. Das Phänomen könnte also auch eine evolutionäre Wurzel haben. „Lausen in der Gruppe stärkt im Tierreich die Bindung“, sagt Meißner. Die soziale Körperpflege – so könnte man im weiteren Sinn auch die Placebo-Behandlung beschreiben – könne zu einem Anstieg bestimmter Hormone führen und damit den Effekt verstärken.Generell konnte die entdeckte Proteinsignatur im Blutplasma mit erstaunlich hoher Genauigkeit vorhersagen, welcher Proband einen großen Placebo-Effekt entwickeln würde, so Meißner. Eine Überraschung gab es bei einem anderen physiologischen Marker, der Magenaktivität von Männern und Frauen. Übelkeit führt zu einer messbaren Veränderung der Magenaktivität. Bei Frauen normalisierte sich die Aktivität durch die Placebo-Behandlung, bei Männern nicht. „Die Gründe für diesen Geschlechterunterschied sind noch nicht bekannt“, sagt Meißner. „Sie hängen aber möglicherweise mit einer unterschiedlichen körperlichen Anpassung der Geschlechter an Stressreize zusammen.“ Das Forscherteam sieht seine Studie insgesamt als ersten Schritt, der das große Potential des Proteomik-Ansatzes für die klinische Forschung bestätige.Original-Publikation:Meissner K, Lutter D, von Toerne C et al. Molecular classification of the placebo effect in nausea. PLOS ONE, 2020.
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