Placebos mit Nebenwirkungen sind effektiver als ohne16. September 2024 “Keine Wirkung ohne Nebenwirkung” – im umgedrehten Sinn könnte dieses Sprichwort die Behandlungserwartung von Patienten womöglich positiv beeinflussen. (Symbolfoto: ©Prazis Images/stock.adobe.com) Normalerweise werden sie als der böse Bruder der gewünschten Arzneimittelwirkung angesehen: Die Nebenwirkungen. Dass sie aber auch einen positiven Einfluss auf eine Behandlung haben könnten, zeigen Forscher aus Hamburg, die dafür jüngst mit einem Augenzwinkern prämiert wurden. Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel und Benommenheit, Müdigkeit und Erschöpfung, Hautausschläge und Juckreiz, um nur einige zu nennen. Die Liste von Nebenwirkungen, die bei der Einnahme von Medikamenten auftreten können, ist lang. Doch was in der Fachsprache als unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bezeichnet wird, sollte möglicherweise nicht ausschließlich als unerwünscht betrachtet werden. Das legen Studienergebnisse der Forschungsgruppe Systemische Neurowissenschaften, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), unter Institutsleiter Prof. Christian Büchel nahe, die kürzlich im Fachmagazin „Brain“ veröffentlicht wurden. An Experimenten mit 77 gesunden Probanden zeigen Büchel, Erstautor Dr. Lieven A. Schenk und Tahmine Fadai, dass milde Nebenwirkungen als Signal für eine wirksame Behandlung dienen können und so die Behandlungserwartungen und -ergebnisse beeinflussen. Vermittelt wird dieser Effekt ihren Erkenntnissen zufolge durch das absteigende schmerzmodulierende System. „Die Nutzung dieser Mechanismen in der klinischen Praxis könnte eine effiziente Möglichkeit zur Optimierung der Behandlungsergebnisse darstellen“, so ihr Studienfazit. In ihren Ergebnissen sehen sie aber auch ein Problem für placebokontrollierte Studien: Im Vergleich einer aktiven Behandlung mit potentiellen Nebenwirkungen und einer Placebobehandlung ohne Nebenwirkungen könnte der beobachtete Effekt einen potentiellen Störfaktor darstellen. Placebo mit Nebenwirkungen getestet Die Hamburger Wissenschaftler wählten einen Versuchsaufbau, in dem Teilnehmern suggeriert wurde, ein schmerzstillendes Fentanyl-Nasenspray zu erhalten, bevor man sie in einer kontrollierten Versuchsanordnung Hitzereizen aussetzte. Die Nasensprays enthielten jedoch kein Fentanyl, sondern entweder Capsaicin, um eine Nebenwirkung (leichtes Brennen) auszulösen, oder einfache Kochsalzlösung (inert). Nach der ersten Sitzung wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt und einer funktionellen magnetresonanztomographischen (fMRT) Untersuchung unterzogen. Eine Gruppe glaubte weiterhin, dass die Nasensprays Fentanyl enthalten könnten, während die andere Gruppe ausdrücklich darüber informiert wurde, dass kein Fentanyl enthalten war. Auf diese Weise konnten die drei Forscher die Nebenwirkungen und die Erwartung der Schmerzlinderung bei den Probanden unabhängig voneinander beeinflussen. Im Ergebnis führten Nasensprays mit einer vermeintlichen Nebenwirkung zu geringeren Schmerzen als inerte Nasensprays ohne die Nebenwirkung. Der Einfluss der Nebenwirkungen auf den Schmerz war den Autoren zufolge bedingt von den individuellen Überzeugungen darüber, wie die Nebenwirkungen mit dem Behandlungsergebnis zusammenhängen, sowie von den Erwartungen an die erhaltene Behandlung. Anhand der erhobenen fMRT-Daten gehen die Forscher von einer Beteiligung des absteigenden schmerzmodulierenden Systems – einschließlich des anterioren cingulären Cortex und des periaquäduktalen Graus – bei Schmerzen nach der Erfahrung mit einem Nasenspray mit Nebenwirkungen aus. Satirische Auszeichnung mit dem Ig-Nobelpreis Für den Nachweis, dass Placebos, die schmerzhafte Nebenwirkungen verursachen, wirksamer sein können als Placebos ohne schmerzhafte Nebenwirkungen, wurden die drei Studienautoren am 12. September mit dem Ig-Nobelpreis in der Kategorie Medizin ausgezeichnet. Die Verleihung des satirischen Alternativpreises fand am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) statt. Mit den undotierten Ig-Nobelpreisen möchten die Veranstalter laut eigenen Angaben Leistungen würdigen, „die so überraschend sind, dass sie die Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen“. Die Preise sollen „das Ungewöhnliche feiern, den Einfallsreichtum ehren – und das Interesse der Menschen an Wissenschaft, Medizin und Technologie wecken“. (ah)
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