Postoperatives Delir: Vermeidbare Komplikation mit schwerwiegenden Folgen

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Eine neue groß angelegte Studie beleuchtet das postoperative Delir als vermeidbare und schwerwiegende Komplikation, die durch kostengünstige, evidenzbasierte Maßnahmen abgemildert werden kann.

Früher hielt man das postoperative Delir für eine nicht gravierende und spontan abklingende Erkrankung. Heute bringt man es mit schwerwiegenden Folgen in Zusammenhang, darunter ein langfristiger Rückgang der kognitiven Fähigkeiten und die Notwendigkeit einer Betreuung im Pflegeheim. In den USA werden die jährlichen Kosten für das Gesundheitswesen durch postoperative Delirien auf 26 bis 42 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Zwar tritt der Zustand besonders häufig bei älteren Erwachsenen auf, insgesamt unterscheiden sich die gemeldeten Raten je nach Operation und Vorgehen des Krankenhauses allerdings deutlich: Sie werden zwischen weniger als einem und bis zu 50 Prozent der Operierten angegeben.

Studie untersucht Inzidenz und Folgen des postoperativen Delirs

Ein genaueres Bild zur Variabilität der Inzidenz des postoperativen Delirs in 3169 US-Krankenhäusern und der damit einhergehenden unerwünschten Ergebnisse machten sich nun Wissenschaftler unter Leitung der University of Rochester School of Medicine (NY, USA). Sie sehen in ihren Ergebnissen – veröffentlicht in „JAMA Network Open“ – einen Aufruf an Ärzte, Gesundheitssysteme, Patienten und Familien, der Gesundheit des Gehirns während der gesamten perioperativen Versorgung Priorität einzuräumen.

„Das postoperative Delir ist keine geringfügige Komplikation – es ist vergleichbar mit einem akuten Hirnversagen – einem medizinischen Notfall, der erkannt und behandelt werden muss“, sagt Dr. Laurent Glance, Professor für Anästhesiologie und perioperative Medizin am University of Rochester Medical Center (URMC) und leitender Autor der Studie. „Unsere Analyse zeigt, dass postoperatives Delir etwa einen von 30 älteren Patienten betrifft und ihr Risiko für schlechte Ergebnisse erheblich erhöht.“ Die mit der Erkrankung verbundenen Folgekosten und Leiden lassen sich ihm zufolge jedoch durch einfache und kostengünstige Strategien eindämmen.

Delir-Rate unterscheidet sich zwischen Krankenhäusern

Anhand von Medicare-Abrechnungsdaten aus den Jahren 2017 bis 2020 analysierten die Forscher mehr als 5,5 Millionen Krankenhausaufenthalte von Erwachsenen im Alter von 65 Jahren und älter (Durchschnittsalter 74 Jahre; 57,2 % weiblich), die sich einer größeren nicht kardialen Operation unter Vollnarkose unterzogen hatten. Sie stellten in 3,6 Prozent der Fälle ein postoperatives Delir fest.

Im Vergleich zu Patienten ohne Delir hatten die Betroffenen:

  • eine 3,5-mal höhere Wahrscheinlichkeit für Tod oder schwerwiegende Komplikationen
  • eine 2,8-mal höhere Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 30 Tagen zu sterben
  • eine 4-mal höhere Wahrscheinlichkeit, in eine Pflegeeinrichtung statt nach Hause entlassen zu werden.

Faktoren wie Gebrechlichkeit, Begleiterkrankungen, Schweregrad der Erkrankung und Komplexität der Operation standen in Zusammenhang mit einer höheren Inzidenz von postoperativem Delir. Zudem variierte die Wahrscheinlichkeit für ein postoperatives Delir erheblich zwischen den Krankenhäusern. So war – nach Bereinigung für Risikofaktoren der Patienten – die Wahrscheinlichkeit für ein postoperatives Delir bei Patienten, die in Krankenhäusern mit einer höheren Delir-Rate operiert wurden, 1,5-mal höher als bei Patienten in Krankenhäusern mit einer niedrigeren Inzidenz.

Maßnahmen zur Delir-Reduktion

Daraus leiten die Forscher ab, dass es sich bei einem postoperativen Delir um eine vermeidbare Komplikation handelt. „Mit den richtigen Ressourcen, Schulungen und systematischen Arbeitsabläufen können Gesundheitseinrichtungen die Lebensqualität und die patientenzentrierten Ergebnisse verbessern und gleichzeitig die Aufenthaltsdauer, Komplikationen, Todesfälle und die finanzielle Belastung reduzieren“, betont Erstautorin Dr. Heather Lander.

Maßnahmen, die die Autoren für sinnvoll und leicht umzusetzen erachten, sind unter anderem:

  • Schlafhygiene: Bündelung von Vitalparametern/Laborwerten und Medikamenten, um nächtliche Störungen während des Krankenhausaufenthalts zu minimieren.
  • Sensorische Unterstützung: Sicherstellung, dass Patienten Brillen und Hörgeräte (mit zusätzlichen Batterien) haben und verwenden, um ihre Orientierung aufrechtzuerhalten.
  • Hochrisikopatienten im Operationsplan als erstes einplanen: Operationen am frühen Morgen sollen längere Fastenzeiten und Störungen des Tagesrhythmus verkürzen.
  • Frühzeitige geriatrische oder krankenhausmedizinische Mitbehandlung: Einbeziehung von Spezialisten zur Optimierung des medizinischen und funktionellen Status vor und nach der Operation.

Die Autoren betonen auch die Notwendigkeit, Patienten und Familien besser über Delir-Risiken und Präventionsmaßnahmen aufzuklären – wie z. B. die Aufrechterhaltung einer vertrauten Umgebung und die Beibehaltung normaler Schlafmuster –, damit sie Warnzeichen erkennen und sich für eine frühzeitige Intervention einsetzen können.

(ah/BIERMANN)