Pramstaller: „Die Ärzte müssen die Leadership im System zurückgewinnen“

DOG-Keynote-Lecturer Prof. Peter Pramstaller: Bildquelle: Pramstaller (privat)

Wie können die ärztlichen Werte mit den heutigen ökonomischen Vorgaben zusammengebracht werden? Dieser Fokus-Frage des DOG-Kongresses 2020 ging auch Prof. Peter Pramstaller (Bozen) in seiner Keynote „Rettet die Medizin“ nach und rief die Ärzte dazu auf, die Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen nicht länger passiv über sich ergehen zu lassen. Gemeinsames Ziel müsse es sein, in einer Graswurzelbewegung die verloren gegangene „Ärzte-Leadership“ im System zurückzugewinnen.

Pramstaller identifizierte zu Beginn seiner Keynote vier „fundamentale Treiber“, die seiner Auffassung nach in den zurückliegenden 40 Jahren das Medizin- und Gesundheitswesen und damit auch die Rolle und Identität des Arztes verändert haben: die Globalisierung (weltweiter Medizin-Wettbewerb und Ärzte-Migration), der demografische Wandel, die Industrialisierung, Ökonomisierung und Digitalisierung der Medizin sowie die fehlende Sozialisierung der drei Hauptakteure Management/Verwaltung, Ärzteschaft und Pflege.

Historische Paradigmenwechsel
Hiermit verbunden, so Pramstaller, hätten „drei historische Paradigmenwechsel“ stattgefunden: der Wechsel von einer vorwiegend krankheitsorientierten hin zu einer gesundheitszentrierten Medizin und Forschung („from sick to health“), der Wechsel von einer intuitiven Heilkunst hin zu einer wissenschaftsbasierten Präzisionsmedizin („from art to science“) sowie der Wechsel von einem gut überschaubaren, sehr menschenzentrierten Medizin-Handwerksbetrieb hin zu einer schnell wachsenden, effizienzorientieren Gesundheitsindustrie, in welcher den Ärzten eher die Rolle von Fließband- als von Wissensarbeitern zukomme („from craft to industry“).

Veränderungen ohne Beteiligung der Ärzte
Diese Veränderungen wiederum seien katalysiert worden durch das Ziel einer Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medizin. So habe ab den 1980er-Jahren eine „Invasion von Berufsmanagern“ stattgefunden und es seien medizinfremde Kosten- und Organisationsmodelle meist ohne Beteiligung der Ärzte implementiert worden. Ähnliches sei nun im Bereich der Digitalisierung zu beobachten, meinte Pramstaller. Mehr und mehr IT-Unternehmer mit unterschiedlichsten Geschäftsideen drängten in den lukrativen Gesundheitsmarkt – und auch dies geschehe wieder ohne einen ausreichenden, nachhaltigen Austausch mit den Ärzten.

Parallelwelten im Gesundheitssystem
Heute, so Pramstaller, hätten sich die Bereiche der drei Hauptakteure Management/Verwaltung, Ärzteschaft und Pflege zu Parallelwelten entwickelt; vor allem zwischen Ärzteschaft und Management gebe es keine gemeinsame Sprache mehr, spitzte er zu. Zwischen Ärzteschaft und Pflege sei die gemeinsame Arbeit am Patienten das Bindeglied, aber bei diesen beiden Akteuren hätten sich die „Trendlinien“ gegenläufig entwickelt: die der Ärzte nach unten, durch eine auch selbstverschuldete „Opferrolle“, die ein Vakuum hinterlassen habe, und die der Pflege nach oben, da sie wesentliche Teile dieses Vakuums mithilfe des Managements ausgefüllt habe. So habe sich ein Status der „equalized workforce“ herausgebildet, bei dem althergebrachte Hierarchie- und Organisationsmodelle nicht mehr funktionierten.

All das, so Pramstallers Fazit, mache es nötig, neue Management- und Leadership-Modelle im Gesundheitswesen zu schaffen. Dafür aber brauche es die Ärzte. Die Manager beherrschten das „Wie“ perfekt, räumte er ein, wenn es aber um das „Warum“ gehe, um die strategische Neuorientierung der Medizin, dann müssten die Ärzte das Steuer wieder in die Hand nehmen.

Projekt re-imagine-medicine.de
Pramstaller appellierte an die Ärzte, in einer Graswurzelbewegung über alle Disziplinen und Standesvertretungen hinweg einen Dialog nach innen zu führen, und zitierte aus Dürrenmatts „Die Physiker“: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Hierzu stellte Pramstaller das Projekt re-imagine-medicine.de vor, das als crossmediale Kommunikationsplattform gedacht sei, um „die Intelligenz und Kreativität der Vielen“ zu nutzen. An die DOG-Mitglieder gewandt meinte er: „Es wäre großartig, wenn auch die DOG dazustoßen würde.“
Nicht nur Patienten, auch Ärzte müssten und wollten sprechen, unterstrich Pramstaller. Gerade viele junge Ärzte, so seine Erfahrung, zeigten Engagement, vom Teil des Problems zum Teil der Lösung zu werden. Der erste Schritt sei, dass sich auch die Ärzte für die Umgestaltung des Gesundheitssystems mitverantwortlich fühlten, denn Ärzte-Leadership und Patientenwohl seien untrennbar miteinander verbunden. Die aktuelle Pandemie habe klar gezeigt, was Medizin könne, wenn vor allem Ärzte führten und Orientierung gäben. Dieses Pandemie-Ereignis könnte „eine Art Fanal“ sein, um den Medizin-Fußabdruck im System nachhaltig zu hinterlassen. Die Ärzteschaft, so schloss Pramstaller, habe die Wahl, die ihr aufgezwungenen Veränderungen zu akzeptieren oder zu versuchen, die Richtung der Veränderung zu bestimmen. (dk)

Prof. Peter Pramstaller ist Facharzt für Neurologie und unter anderem Leiter des Institutes für Biomedizin an der Europäischen Akademie in Bozen, Südtirol/Italien. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen insbesondere die translationale Medizin sowie die Optimierung der Schnittstellen von Medizin, Wissenschaft und Management mit dem Ziel der Implementierung neuer Leadership- und Managementmodelle in Wissenschaft und Gesundheitswesen.

Pramstaller: „Die Ärzte müssen die Leadership im System zurückgewinnen“

DOG-Keynote-Lecturer Prof. Peter Pramstaller: Bildquelle: Pramstaller (privat)

Wie können die ärztlichen Werte mit den heutigen ökonomischen Vorgaben zusammengebracht werden? Dieser Fokus-Frage des DOG-Kongresses 2020 ging auch Prof. Peter Pramstaller (Bozen) in seiner Keynote „Rettet die Medizin“ nach und rief die Ärzte dazu auf, die Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen nicht länger passiv über sich ergehen zu lassen. Gemeinsames Ziel müsse es sein, in einer Graswurzelbewegung die verloren gegangene „Ärzte-Leadership“ im System zurückzugewinnen.

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