Princeton-Forscher entdecken den “Optimismus” von E. coli-Bakterien

Escherichia coli (Illustration: © Kateryna_Kon/Fotolia)

Ein Forscherteam von der Princeton University hat analysiert, wie Escherichia-coli-Bakterien reagieren, wenn ihnen drei Schlüsselnährstoffe fehlen: Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor.

Die Wissenschaftler machten die überraschende Entdeckung, dass die Bakterien unterschiedliche Strategien im Umgang mit verschiedenen Nährstoffrestriktionen verfolgen. Noch überraschender war für die Forscher, dass E. coli auf eine Begrenzung des Kohlenstoffangebotes damit reagierte, dass es seine Infrastruktur für die Proteinproduktion ausbaute – gewissermaßen in Vorbereitung auf den Tag, wenn Kohlenstoff wieder verfügbar ist.

“E. coli besitzt diesen lebenswichtigen Optimismus – es erwartet, dass es in Zukunft Zugang zu mehr Kohlenstoff haben wird”, erklärt der Biologe Zemer Gitai, Hauptautor der Studie.

Es könne helfen, die Zelle als eine Spielzeugfabrik zu betrachten, die mit Fertigungsstraßen (Ribosomen) ausgestattet ist, auf denen Spielwaren (Proteine) produziert werden, erläuterte Gitai. Kohlenstoff und Stickstoff seien Schlüsselkomponenten der Spielzeuge, und Phosphor sei für die Montagestraßen unerlässlich.

“Wenn die Ressourcen knapp werden, muss die Zelle eine Entscheidung treffen”, sagt Gitai. “Wie die Materialien richtig verwenden mit den verfügbaren Ressourcen? Setze ich die Ressourcen für die Einrichtung von noch mehr Fertigungsstraßen ein oder für die Produktion von mehr Spielzeug? “

Die “Spielzeuge”, Proteine, sind die grundlegenden Bausteine, die es den Zellen ermöglichen zu wachsen, sich zu teilen oder an Masse zuzunehmen. Je schneller eine Zelle Proteine produziert, desto schneller wächst sie. Wissenschaftler wissen seit Jahrzehnten, dass es bei E. coli eine direkte, lineare Beziehung zwischen der Anzahl der Ribosomen (Montagestraßen) und der Proteinproduktionsrate (Spielzeug) gibt. Dies hat zu der allgemein akzeptierten Theorie geführt, dass jede dieser Montagelinien “optimiert” ist und konstant mit maximaler Effizienz arbeitet, um Proteine so schnell wie möglich zu produzieren.

“Überraschenderweise ändert die aktuelle Studie diese Perspektive radikal”, sagt der Mikrobiologe Ned Wingreen vom Lewis-Sigler Institute for Integrative Genomics (LSI), der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Das Forscherteam entdeckte, dass die Zellen, wenn sie nur begrenzt Kohlenstoff und Stickstoff zur Verfügung haben (wichtige Komponenten für die “Spielzeuge”), langsam, aber stetig wuchsen, wobei sie außerdem immer mehr Fertigungsstraßen bauten, die ungenutzt blieben.

“Unter extremer Kohlenstofflimitierung funktionieren etwa die Hälfte der Ribosomen – die Hälfte der Fließbänder – gar nicht”, sagt Gitai. “Das scheint widersinnig, verschwenderisch. Warum eine Fabrik so bauen, dass man doppelt so viele Montagestraßen hat wie nötig, um dann nur die Hälfte davon laufen zu lassen?
Wir postulierten, dass das günstig für das Hochfahren der Produktion sein kann, wenn die Zeiten sich ändern. Tatsächlich ist es genau das, was wir beobachtet haben.”

Diese Bakterien leben in einer Umgebung, die von Fastenzeiten oder Überfluss geprägt ist – dem menschlichen Darm. Hier kann eine lange Fastenzeit mit dem plötzlichen Eintreffen eines Cheeseburgers enden. “Wenn all diese neuen Nährstoffe hereinkommen, kann man schneller produzieren”, erläutert Gitai. “Alle Fertigungsstraßen sind bereits installiert. Jetzt sind sie bereit, man kann starten und seine Mitbewerber schlagen. Man muss nicht erst in die ganze Infrastruktur investieren und all diese Fertigungsstraßen erst aufbauen. Sie sind bereits da.”

Dies habe interessante Auswirkungen auf die Wettbewerbsstrategien von E. coli, wie Erstautorin Hsin-Jung Sophia Li erklärt. “Vielleicht ist es nicht das Ziel des Bakteriums, sein aktuelles Wachstum zu maximieren”, sagt sie. “Es bereitet sich vielleicht auf bessere Zeiten vor und ist mehr zukunftsorientiert.”

“Insgesamt bietet diese Arbeit eine neue Sicht auf Bakterien sowie potenziell andere Organismen. Es scheint, dass sie sich nicht nur mit den aktuellen Bedingungen, sondern auch mit dem Leben in einer sich verändernden Umgebung auseinandersetzen”, sagt Wingreen.

E. coli verwendet unterschiedliche Strategien, wenn verschiedene Nährstoffe nur begrenzt verfügbar sind, fanden die Forscher heraus. “Zellen mit einem begrenzten Angebot von Kohlenstoff erzeugen eine große Anzahl inaktiver Montagestraßen”, sagt Li. “Stickstoff-limitierte Zellen produzieren Produkte langsamer. Zellen aber, denen nur begrenzt Phosphor zur Verfügung steht – das war der interessante Teil – setzen nur halb so viele Fertigungsstraßen ein, um die gleiche Anzahl von Spielzeugen zu erzeugen.”

Die Ribosomen-Fertigungsstraßen sind abhängig von RNA, die reich an Phosphor ist. Indem sie die Verfügbarkeit von Phosphor einschränkten, boten die Forscher die Spielzeugbestandteile gewissermaßen billig an, machten aber die Erstellung von Montagestraßen sehr teuer.

“Die erste Überraschung war, dass es hier um eine nährstoffspezifische Sache geht; wir erreichten dieselbe Wachstumsrate auf drei verschiedene Weisen”, sagt Gitai. “Aber die wirkliche Überraschung war der Phosphor. Wir haben festgestellt, dass, wenn wir die Fertigungsstraßen teurer machten, diese mit derselben Rate Spielzeuge herstellten, wobei sie nur die Hälfte der Montagelinien benutzten. Das sagt uns, dass diese Fertigungsstraßen unter Kohlenstoff- und Stickstoff-armen Bedingungen nicht so schnell produzieren, wie sie eigentlich könnten.”

Diese Erkenntnis warf das lang gehegte Modell des optimierten Ribosoms um und veranlasste die Forscher, die Mechanismen in den Ribosomen näher zu untersuchen. Dafür wendeten sie eine Kombination quantitativer Experimente an.

Die enormen Mengen biologischer Daten in eine klare Theorie umzuwandeln illustriere den „Charme“ der Datenwissenschaft, sagt Zhiyuan Li – nämlich die Verarbeitung der Messdaten zu „einzelnen Perlen, die man dann mittels mathematischer Modelle zu einer schönen Halskette zusammenfügt, die dann wiederum die zugrunde liegenden Verbindungen enthüllt.”

“Diese Studie gibt uns einen besseren Einblick darin, wie Zellen Entscheidungen darüber treffen, welche Ressourcen sie wo einsetzen. Dies könnte für die biotechnologische Produktion von Mehrwertchemikalien relevant sein”, fasst Ron Milo, Leiter der Abteilung für Pflanzen- und Umweltwissenschaften am Weizmann Institute of Science, zusammen. Milo war an den Untersuchungen nicht beteiligt.

Die Studie werfe außerdem eine neue Frage auf, ergänzt Gitai: „Bedienen sich viele Bakterienarten dieser Strategie? Man könnte sich vorstellen, dass es in einer Bakteriengemeinschaft einige Arten gibt, die Optimisten sind, und andere, die Pessimisten sind. … Die Vorstellung ist interessant, dass es dieser “ewige Optimismus” von E. coli ist, der es ihm sozusagen zwischen einem unmittelbaren und einem langfristigen Nutzen abzuwägen erlaubt. In schlechten Zeiten sagt es sich: “Okay, jetzt gerade betreibe ich nicht viel Aufwand für ein bestmögliches Ergebnis, sondern bereite mich auf bessere Zeiten vor.”

Eine der größten Überraschungen der vorliegenden Studie war den Autoren zufolge, dass selbst Bakterien, die gründlich untersucht zu sein scheinen, immer noch ein Ass oder einen Trick in ihrem mikroskopisch kleinen Ärmel haben können, formuliert Zhiyuan Li. “Sogar E. coli, wohl der am besten verstandene Organismus, kann uns immer noch überraschen und uns interessante biologische Zusammenhänge zeigen, von denen wir lernen können.”