Pyramidenzellen: Informationsverarbeitung im Standby-Modus21. November 2022 Pyramidenzellen im Hippocampus (grün): Bei der linken Zelle entspringt das Axon (pink) direkt am Zellkörper, bei der rechten Zelle an den Dendriten. Foto.©Universitätsklinikum Heidelberg Forschende aus Heidelberg, Linz und Tübingen beschreiben in Science einen neuen Mechanismus der Signalweitergabe im Hippocampus, dem Erinnerungszentrum des Gehirns. Reize über die Antennen empfangen, im Zellkörper verrechnen, dann über die Ausgangsleitung weiterreichen: Nicht alle Nervenzellen im Gehirn halten sich an diesen in Lehrbüchern beschriebenen Ablauf der Signalweitergabe, wie Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) sowie der Universitäten Linz und Tübingen aktuell in der Fachzeitschrift „Science“ berichten. Rund die Hälfte der Nervenzellen im Hippocampus, umgehen ihren vom neuronalen Netzwerk verordneten Aktivitätsrhythmus durch einen „Signal-Kurzschluss“. Die eingehenden Signale passieren gar nicht erst den Zellkörper, sondern gelangen auf direktem Weg von den Antennen in die Ausgangsleitung. Damit bleiben sie auch dann aktiv, wenn alle anderen Nervenzellen vom Netzwerk gehemmt werden und eine Zwangspause einlegen. Noch ist unklar, welche Auswirkungen dieser Mechanismus auf den Gesamtorganismus hat. Möglicherweise stellt das Gehirn auf diese Weise sicher, dass wichtige Informationen nicht verloren gehen. Die „Standard-Nervenzelle“ besteht aus den fein verästelten Dendriten, dem Zellkörper und dem Axon. Über das Axon werden Signale an die nachfolgenden Nervenzellen weitergeleitet. An den Dendriten und dem Zellkörper empfängt die Nervenzelle aktivierende und hemmende Signale, die im Bereich des Zellkörpers miteinander verrechnet werden. Nur wenn die Erregung die Hemmung überwiegt, werden Signale über das Axon weitergegeben. Auf diese Weise schützt sich das Hirn vor Überlastung. Ein Team von Wissenschaftlern um Privatdozent Dr. Martin Both, Arbeitsgruppenleiter in der Abteilung für Neuro- und Sinnesphysiologie am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der MFHD, untersuchte bestimmte Zellen im Hippocampus, die in ihrer Anatomie von diesem klassischen Muster abweichen: Bei ungefähr der Hälfte dieser „Pyramidenzellen“ – das zeigte die Gruppe bereits in vorangegangenen Arbeiten – entspringt das ableitende Axon direkt an einem Antennenast der Dendriten und nicht am Zellkörper. „Wir haben uns gefragt, ob sich diese Pyramidenzellen durch ihre Anatomie hemmenden Reizen, die am Zellkörper ansetzen, entziehen“, erläutert Dr. Both. Die direkte Hemmung des Zellkörpers spielt zum Beispiel in Form regelmäßig ausgelöster Ruhephasen eine wichtige Rolle in der Synchronisation der Signalverarbeitung und -weitergabe zwischen den Hirnarealen. Versuche an Mäusen, Gewebeschnitten aus Mausgehirnen sowie Simulationen in mathematischen Modellen zeigten, dass die Pyramidenzellen mit der Umgehungsleitung, trotz Hemmung beziehungsweise Standby-Modus des Netzwerks, häufiger Signale weitergaben als die „normal“ aufgebauten Zellen. „Der Mechanismus scheint umso bedeutender zu sein, je stärker die Hemmung der Pyramidenzellen ist. Denn dann sind nur noch diese speziellen Zellen mit der Dendrit-Axon-Weiterleitung aktiv, während ihre Kollegen schlafen“, so Both. „Welche Informationen so wichtig sind, dass sie trotz Ruhephase über diese speziellen Nervenzellen weitergegeben werden, wissen wir noch nicht.“ Die Hippocampi sind sowohl für das Wissens- wie für das Ortsgedächtnis zuständig und spielen eine wichtige Rolle bei der Überführung von Erinnerungen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis. Dazu übertragen sie Informationen in die Großhirnrinde, den sogenannten Neokortex. Wie die beiden Hippocampi ihre Aktivität synchronisieren, ist nicht vollständig geklärt. „Möglicherweise sind die von uns untersuchten Zellen dafür zuständig, die Kommunikation zwischen den Hirnhälften aufrechtzuerhalten. Aber das muss die weitere Forschung zeigen“, fügt der Neurophysiologe hinzu.
Mehr erfahren zu: "Kommen E-Patientenakten jetzt voll auf Touren?" Kommen E-Patientenakten jetzt voll auf Touren? Die allermeisten Versicherten haben inzwischen einen digitalen Speicher für Gesundheitsdaten – und Ärztinnen und Ärzte müssen sie in wenigen Tagen auch immer befüllen. Wird das dann rasch zum Alltag?
Mehr erfahren zu: "Fake-Tipps auf Tiktok: Ärzte warnen vor gefährlichen Trends" Fake-Tipps auf Tiktok: Ärzte warnen vor gefährlichen Trends Wie gefährlich können Gesundheits-Influencer sein? Experten warnen vor Desinformation und fordern strengere Regeln auf Instagram und Tiktok.
Mehr erfahren zu: "Keine Auszeit für Krebszellen" Keine Auszeit für Krebszellen Eine von Max-Planck-Chemikern entwickelte neuartige Substanz stört die Stressbewältigung von Krebszellen.