Rätsel um Proteine im Hirn gelöst: Erin Schuman erhält Körber-Preis5. September 2024 Körber-Preisträgerin Erin Schuman in ihrem Labor (Foto: Marcus Gloger/Körber-Stiftung) Prof. Erin Schuman, Direktorin am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, erhält den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft. Lange Zeit war es die Lehrmeinung in der Hirnforschung, dass Proteine im Zellkörper der Neuronen produziert werden. Bei anderen Zellen ist genau dies der Fall. Im Gehirn würde diese Form der Proteinsynthese jedoch zu einem Problem führen: „Wenn Proteine tatsächlich nur im Zellkörper produziert und dann zu den Synapsen transportiert würden, hätte das Gehirn ein riesiges Koordinationsproblem“, erklärt Edvard Moser, Nobelpreisträger für Physiologie und Medizin und Vorsitzender des Search Committee des Körber-Preises. Wenn etwa beim Lernen die Synapsen einer Nervenzelle verändert werden, müssten die Proteine exakt an diese Synapsen gelangen und dabei die vielen tausend anderen Synapsen der Zelle umgehen. „Angesichts der ungefähr 10.000 möglichen Synapsen pro Nervenzelle und Hunderttausender nötiger Proteine wäre der Sortier- und Transportaufwand astronomisch“, erklärt Moser. Die Proteinsynthese in den Neuronen, und damit die Grundlage für Hirnprozesse wie Lernen und Erinnern, erschien somit rätselhaft. Schumans Forschung spielte eine Schlüsselrolle bei der Lösung dieses Rätsels. In einer bahnbrechenden Studie zeigte sie, dass in Synapsen auch dann noch Proteine produziert werden, wenn die Synapsen physisch von ihrem Zellkörper getrennt wurden. Diese Erkenntnis war aufsehenerregend, da die hierfür nötigen Proteine nicht im Zellkörper, sondern lokal an den Synapsen hergestellt worden sein mussten – ein klarer Widerspruch zum Lehrbuchwissen der Hirnforschung. „Als ich diese Daten erstmals vorgestellt habe, nannten nicht wenige meiner Kollegen die Idee verrückt“, erinnert sich Schuman. Ihre Entdeckung kam einer Revolution in der Hirnforschung gleich. In der Folge trieb die Forscherin diese Revolution sogar noch weiter. Bezogen sich ihre Erkenntnisse bis dahin nur auf einige besonders wichtige Proteine, konnten sie und ihr Team aufzeigen, dass Tausende verschiedene Proteine an den Synapsen erzeugt werden können. Grundlagen für neue Heilmethoden Schumans Durchbruch in der Grundlagenforschung könnte zukünftig auch medizinisch entscheidend sein. „Es gibt zunehmend Hinweise, dass viele Hirnkrankheiten letztlich Erkrankungen der Synapsen sind“, erklärt Schuman. Beispiele sind das Fragile-X-Syndrom, die Huntington-Krankheit oder das Rett-Syndrom. Allesamt Krankheiten, die mit verminderter kognitiver Leistungsfähigkeit oder deren Verlust, mit Lernschwierigkeiten und verzögerter sprachlicher Entwicklung einhergehen. Mit den Mitteln des Körber-Preises möchte Schuman nun die bei diesen Erkrankungen auftretenden Veränderungen der Synapsen untersuchen. „Im Idealfall wird diese Arbeit nicht nur die Forschung voranbringen, sondern auch die Grundlage für neue Heilverfahren auf molekularer Ebene bereiten. Wenn wir erfolgreich sind, könnte den Betroffenen von Hirnkrankheiten in Zukunft besser geholfen werden.“ Die Forscherin Die 1963 geborene Erin Schuman ist seit 2009 Direktorin am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Seit 2015 ist sie zudem Professorin an der Frankfurter Goethe-Universität und seit 2021 Gastprofessorin an der Radboud Universität in den Niederlanden. Aufgewachsen im kalifornischen San Gabriel, absolvierte sie ein Psychologiestudium an der University of Southern California, bevor sie an der Princeton University in Neurowissenschaften promovierte. Es folgten Forschungsstationen an der Stanford University und dem California Institute of Technology, wo sie 1993 eine Assistenzprofessur und 2004 eine Professur erhielt. 1997 wurde sie in das Investigator Program des Howard Hughes Medical Institute aufgenommen. Sie ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der amerikanischen National Academy of Science und der Britischen Royal Society. 2023 erhielt sie den renommierten Brain Prize der dänischen Lundbeck Foundation. Neben ihrer Forschung engagiert sich die einundsechzigjährige Schuman für eine Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft und für die Förderung der Bildungschancen von Jugendlichen. Außerdem hat sie sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen intensiv dafür eingesetzt, die Geschichte ihres Instituts während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Der Körber-Preis Der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft wird Erin Schuman am 20. September 2024 im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses überreicht. Die mit einer Million Euro dotierte Auszeichnung zählt zu den weltweit höchstdotierten Forschungspreisen. Die Preissumme ist für Forschung und Wissenschaftskommunikation einzusetzen, zehn Prozent dürfen für persönliche Zwecke verwendet werden. Die Körber-Stiftung zeichnet mit dem Körber-Preis seit 1985 jährlich einen wichtigen Durchbruch in den Physical oder den Life Sciences in Europa aus. Prämiert werden exzellente und innovative Forschungsansätze mit hohem Anwendungspotenzial. Nach Verleihung des Körber-Preises erhielten bislang acht Preisträgerinnen und Preisträger den Nobelpreis.
Mehr erfahren zu: "Stiko empfiehlt Meningokokken-Impfung für Kinder ab zwölf Jahren" Stiko empfiehlt Meningokokken-Impfung für Kinder ab zwölf Jahren Meningokokken-Erkrankungen sind in Deutschland selten, aber potenziell lebensbedrohlich. Besonders Jugendliche sind betroffen – daher empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die Impfung nun auch für Kinder im Alter von 12 bis […]
Mehr erfahren zu: "Kardiovaskuläres Risiko bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes im Vergleich" Kardiovaskuläres Risiko bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes im Vergleich Neue Daten zum kardiovaskulären Risiko bei Diabetes sind nach Ansicht der Stiftung Diabetes/Herz/Gefäße (DHG) ein Weckruf für eine bessere Früherkennung und Behandlung.
Mehr erfahren zu: "Sterblichkeit der Männer 2024 in allen Altersgruppen höher als bei Frauen" Sterblichkeit der Männer 2024 in allen Altersgruppen höher als bei Frauen Zum Weltmännertag am 3. November weist das Statistische Bundesamt (Destatis) darauf hin, dass die Sterblichkeit von Männern in allen Altersgruppen weiterhin höher ist als die von Frauen. Männer haben eine […]