Rätselhafte Ringträger: Strukturgeheimnis der Ferline gelüftet

Kryo-EM-Aufnahme (l.) von Myoferlin-Partikeln (Kreis hebt einen Partikel hervor). 3D-Rekonstruktion der Myoferlin-Struktur (r.) mit kompakter, ring-ähnlicher Anordnung der Schlüsselabschnitte (farbig), die bei Membranbindung entstehen. Abbildung: constantin cretu/mbexc

Forschende haben die 3D-Struktur der Membranproteine Myoferlin und Dysferlin mittels hochauflösender Kryo-Elektronenmikroskopie aufgedeckt. Das ermöglicht neue Therapieansätze für Muskelschwund, Hörstörungen und bestimmte Krebserkrankungen.

Forschende des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) haben in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften einen bedeutenden Durchbruch in der Strukturbiologie erzielt: Erstmals konnten sie die hochaufgelöste dreidimensionale (3D)-Struktur der Membranproteine, Myoferlin und Dysferlin, aufklären. Diese Proteine gehören zur „Ferlin“-Familie und spielen eine zentrale Rolle bei der Reparatur von Zellmembranen – einem Prozess, der für die Muskelfunktion, Herzgesundheit und sogar Krebsentstehung entscheidend ist.

Ein Ring, sie alle zu binden

Mit modernster Kryo-Elektronenmikroskopie konnte das Forschungsteam die Struktur entschlüsseln. Dazu wurden die Membranproteine in einer Lösung schockgefroren und anschließend in einem Elektronenmikroskop bei minus 193 Grad Celsius untersucht. Die Forschenden nahmen am Mikroskop tausende Einzelbilder der Moleküle auf und errechneten anschließend mithilfe von Hochleistungsrechnern eine 3D-Struktur in fast atomarer Auflösung.

Tobias Moser Foto: umg/frank stefan kimmel

Anhand der Aufnahmen konnten sie zeigen, wie Ferline in Anwesenheit von Kalzium und Lipidmembranen eine kompakte Ringstruktur einnehmen. Dieser Strukturwandel ist kein bloßes Detail – er ist der Schlüssel dazu, wie Ferline die Membranumgestaltung beeinflussen, zum Beispiel das Annähern von Membranen zueinander, das Andocken und sogar das Verschmelzen. Solche Prozesse sind essenziell für die Reparatur verletzter Zellhüllen oder für die gezielte Freisetzung von Membranbläschen, sogenannter Vesikel, die auch für den Stofftransport über die Membran sorgen.

„Endlich sehen wir, wie Ferline wirklich aufgebaut sind – es ist wie der Sprung von einer unscharfen Skizze zu einem gestochen scharfen Porträt“, betont Prof. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der UMG und MBExC-Sprecher.

Großes Potenzial für gezielte Behandlungsmaßnahmen

Die Erkenntnisse bieten einen wichtigen Referenzrahmen für genetische Diagnostik: Viele krankheitsrelevante Punktmutationen im Erbgut verändern die Ferlinstruktur zwar nur geringfügig, aber mit gravierenden Folgen. „Nun können wir genau zuordnen, wo diese Mutationen angreifen – und welche Auswirkungen sie konkret haben“, erklärt Dr. Constantin Cretu, Leiter der Arbeitsgruppe „Dynamics and Structure of ferlins“ am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der UMG und Junior Fellow am MBExC.

Auch für die Entwicklung moderner Therapien hat diese Entdeckung großes Potenzial. Das neue Strukturwissen ermöglicht es, gezielt funktionale Mini-Ferline zu entwerfen. Diese kompakten Proteinmodule passen in virale Vektoren, die als Transportvehikel dienen, und so den Weg zu neuen Therapien bei Muskelschwund oder Hörstörungen ebnen. „Das ist Molekularbiologie mit Ingenieurskunst“, ergänzt Dr. Julia Preobraschenski, Leiterin der Arbeitsgruppe „Biochemistry of membrane dynamics“ am Institut für Auditorische Neurowissenschaften der UMG und Junior Fellow am MBExC. „Wir untersuchen nicht nur Proteine – wir überlegen auch, wie wir sie reparieren können.“

Die Bedeutung der Erkenntnisse reicht über seltene Krankheiten hinaus: Myoferlin wird in verschiedenen Tumorarten in erhöhtem Maß produziert, wo es Krebszellen hilft, zu wachsen und sich auszubreiten. Die neue Struktur liefert nun erstmals Ansatzpunkte für die Entwicklung gezielter wirkender Medikamente – etwa kleine Moleküle, die spezifische Ferlin-Funktionen hemmen.