Reaktionen auf die Reformvorschläge der Regierungskommission zur Notfallversorgung14. Februar 2023 Foto: Matthias – stock.adobe.com Von Zuspruch bis Skepsis sind die ersten Reaktionen auf die am 13. Februar veröffentlichten Stellungnahme (wir berichteten) der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ geprägt. Ein Zentrales Element sind die Integrierten Notfallzentren (INZ). „Es ist gut, dass es jetzt auch bei der Reform der Notfallversorgung vorangeht, nachdem das Thema in der letzten Legislaturperiode nicht angepackt worden ist. Wichtig ist aus Sicht der AOK, dass die sektorale Trennung in diesem Bereich überwunden wird“, kommentierte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann. „Die Patientinnen und Patienten brauchen endlich eine zentrale Anlaufstelle und eine Notfallversorgung aus einer Hand. Mit der Schaffung von Integrierten Leitstellen und der Bündelung der Notfallversorgung in Integrierten Notfallzentren zeigt die Reformkommission den richtigen Weg auf“, zeigte sie sich überzeugt. Allerdings sollten laut Reimann Integrierten Notfallzentren als eigenständige Organisationseinheiten verankert werden, um die bisher stark fragmentierten Versorgungsstrukturen zu überwinden. „Es sollte darum gehen, dass ohne ökonomische Beeinflussung und nach medizinischen Kriterien die richtige Versorgungsebene angesteuert wird. Dazu gehört dann auch ein eigenständiges Budget mit einem neuen Entgeltsystem”, forderte sie. „Einige brauchbare Ansätze, aber Vieles erscheint unrealistisch“ „Mehr Schatten als Licht“, kommentierte in einer ersten Reaktion Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Empfehlungen der Regierungskommission. Zwar seien einige brauchbare Ansätze dabei, aber Vieles erscheine unrealistisch. „So sollen Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen in den Integrierten Notfallzentren mit werktäglichen Öffnungszeiten von 14 bis 22 Uhr tätig sein. Wann sollen die Kolleginnen und Kollegen dann noch in ihren eigenen Praxen arbeiten?“, fragte der KBV-Chef. „Das Ganze wirkt eher wie ein ‚Krankenhaus, wünsch dir was‘“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. „Tagsüber sind die Praxen ohnehin geöffnet und stemmen mit jährlich rund 600 Millionen Behandlungsfällen den Großteil der Patientenversorgung. Es lässt sich aber kaum eine Praxis betreiben, wenn man parallel noch regelhaft häufig Notdienste machen muss. Das wird den Nachwuchs endgültig abschrecken. Die Kommissionsvorschläge stellen nicht wirklich einen Beitrag dar, knappe Ressourcen optimal zu bündeln und zu integrieren“, zeigte er sich überzeugt. Beide Vorstände merkten zudem an, dass die Rolle des Patienten als Auslöser der Inanspruchnahme notärztlicher Leistungen komplett außen vor bleibe und überhaupt nicht beleuchtet werde. Auf dem richtigen Weg „Die Vorschläge der Kommission sind eine Bestätigung dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten an der Notfallversorgung in den letzten Jahren in die richtige Richtung weist. Wir sehen einen Großteil der Empfehlungen als bereits umgesetzt an. Der andere Teil befindet sich auf dem Wege dorthin“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried. Richtig sei, dass die beiden Rufnummern für die telefonische Steuerung und die jeweils damit verbundenen spezifischen Kompetenzen erhalten bleiben sollen. Während sich die digitale Fallübergabe bereits in der Erprobung und auf dem Pfad der Umsetzung befinde, brauche es für den gegenseitigen Austausch über die Rufnummern der Anrufenden und die unter Umständen bereits erfolgten Dispositionen eine entsprechende Rechtsgrundlage. Ebenfalls richtig sei, dass die INZ als gemeinsame Anlaufstellen der Akut- und Notfallversorgung auf Standorte der umfassenden und erweiterten Notfallversorgung begrenzt werden. Damit würde die Anzahl der heute bereits eingerichteten Bereitschaftspraxen reduziert. Auch für die dann verbleibenden Schwerpunktstandorte sollte eine Planung der Besetztzeiten von Bereitschaftspraxen von der Zahl der bisher dort behandelten Patientinnen und Patienten abhängig gemacht werden, zeigte sich von Stillfried überzeugt. „Ob es effizient ist, Bereitschaftspraxen während der Praxisöffnungszeiten zu besetzen, wird noch bewiesen werden müssen. Die Standortplanung wird vor diesem Hintergrund schon jetzt die sich perspektivisch ergebenden Personalengpässe in der ambulanten und stationären Versorgung berücksichtigen müssen“, sagte der Zi- Vorstandsvorsitzende. Um Überlastungen dieser Einrichtungen zu vermeiden, müsste bereits bei der Planung auch darauf geachtet werden, Sogeffekte gering zu halten. Insbesondere der fahrende Bereitschaftsdienst und telemedizinische Angebote müssten hier Berücksichtigung finden, forderte von Stillfried. „Sinnvoll ist, dass die Bereitschaftspraxen zur Diagnostik auf die vom Krankenhaus vorgehaltenen technischen Einrichtungen zurückgreifen können. Insofern ist zu begrüßen, dass die Kommission auch ein einheitliches Terminbuchungssystem fordert, das auch für INZ und für die Weiterleitung von Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen soll. Auch hierzu sind die Arbeiten auf Seiten der Kassenärztlichen Vereinigungen bereits deutlich vorangeschritten“, so von Stillfried weiter und erläuterte: „Der Gedanke, dass Versicherte 24/7 im Akutfall auf ein telefonisches, digitales und telemedizinisches Beratungsangebot mit einer Vermittlung eines angemessenen Versorgungsangebotes zurückgreifen können, ist noch relativ neu. In die Praxis umgesetzt wurde dies erstmalig im Pandemiejahr 2020. Bis heute sind durch die Fachkräfte der 116117 rund vier Millionen strukturierte telefonische Ersteinschätzungen vorgenommen worden, 1,6 Millionen davon allein in den letzten zwölf Monaten. Das sind rund 150.000 pro Monat, Tendenz steigend. Ein digitales Angebot zur Ersteinschätzung mit Terminvermittlung wird aktuell ergänzt. Auf diesen Grundlagen kann jetzt aufgesetzt werden.“ Deshalb sei es auch erfreulich, dass die Kommission anerkenne, dass die Vorhaltekosten für ein niedrigschwelliges Steuerungsangebot, das Hilfesuchenden mit dringlichen Gesundheitsanliegen rund um die Uhr einen telefonischen oder digitalen Erstkontakt mit dem Versorgungssystem biete, ebenso von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten wie Aufwendungen zur Einrichtung und zum Betrieb von Bereitschaftspraxen in den INZ, so von Stillfried. „Hausarztpraxen spielen in dem Gutachten de facto keine Rolle” Der Hausärzteverband reagierte mit Kritik auf die Reformvorschläge zur Notfallversorgung. „Ein sehr großer Teil der Notfallversorgung findet in den Hausarztpraxen statt, gleichzeitig spielen diese in dem Gutachten de facto keine Rolle”, monierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Dr. Markus Beier gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland einen Tag nach der Vorstellung der Vorschläge der Regierungskommission. Beier zufolge dränge sich der Eindruck auf, dass die Pläne aus der Sicht der Krankenhäuser und nicht aus Sicht der Patienten geschrieben worden seien. Guter Aufschlag mit Potenzial, die Notfallversorgung deutlich zu verbessern Dazu passt die überaus positive Reaktion der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), die die Pläne der Regierungskommission begrüßt. Das Konzept zur Neuordnung der Notfallversorgung benenne deutlich die Herausforderungen und zeig, dass Probleme der Notaufnahmen nicht hausgemacht seien, wie es von manchen Akteuren behauptet werde, sondern das Resultat jahrzehntelanger Fehlsteuerung von Patientinnen und Patienten sind, erklärte die DKG. Nach Ansicht der Gesellschaft haben die Überlegungen das Potenzial, die Notfallversorgung der Patienten deutlich zu verbessern. Integrierte Leitstellen (ILS) und INZ zu etablieren, seien Schritte in die richtige Richtung. Besonders positiv hervorzuheben ist der DKG zufolge das Ziel der Kommission, durch gestufte Angebote der ILS, von der telemedizinischen Beratung, über die direkte Vermittlung von Arztterminen bis hin zum Hausbesuch durch den KV-Bereitschaftsdienst den hilfesuchenden Patienten adäquate Angebote zu machen. So könnten die Notaufnahmen der Krankenhäuser und die dort angesiedelten INZ wesentlich entlastet werden. „Wir brauchen die von der Kommission beschriebenen gestuften Angebote, sodass am Ende nur die Patientinnen und Patienten im INZ ankommen, die ansonsten nicht adäquat versorgt werden können“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Dr. Gerald Gaß. Bei den Planungen müsse es aber darum gehen, realistische Mindeststandards festzulegen. Eine flächendeckende Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung müsse gewährleistet sein. Deshalb sei es richtig, dabei auch in Richtungen zu denken, die hochqualifizierte Pflegekräfte und Gesundheitsfachberufe jenseits der Mediziner verantwortlich beteiligten betonte die DKG. „Diese Notfallreform ist die große Chance, wirklich neu zu denken. Das gilt für innovative digitale Angebote und Vernetzung ebenso wie für einen innovativen Personaleinsatz, der Verantwortung neu zuordnet. Denn auch die Krankenhäuser sehen die Notwendigkeit einer engeren Vernetzung mit den KVen im Bereich der ambulanten Notfallversorgung. Vielerorts arbeiten KVen und Krankenhäuser schon jetzt eng zusammen. Dies sollte zukünftig flächendeckend stattfinden“, so Gaß weiter. Für alle Akteure in diesem Gesamtsystem sei es unabdingbar, dass die geforderten Leistungen und Vorhaltungen in vollem Umfang refinanziert werden. Pläne, INZ nur noch an Krankenhäusern der Notfallstufen zwei und drei und, wo regional erforderlich, auch an Kliniken mit Basis-Notfallversorgung einzurichten, müssten vor Ort mit Blick auf die regionale Versorgungslage beurteilt werden, erklärte die Dachgesellschaft weiter und begrüßte in dem Zusammenhang, dass auch weitere Krankenhausstandorte der Basisnotfallstufe mit INZ ausgestattet werden sollen, wenn ansonsten die Wege für die Patienten zu weit oder die einzelnen Einheiten zu groß werden. „Trotz aller offenen Fragen sehen wir viele gute Ansatzpunkte, die Notfallversorgung nachhaltig und zielführend zu reformieren. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, denn die eigentlich in den niedergelassenen Praxen angesiedelte Notfallversorgung ist vielerorts nur noch Theorie”, befand Gaß. Klar sei aber auch, dass eine Notfallreform ohne adäquate Vergütung nicht auskomme und Verbesserungen nicht durch bloße Umverteilung im System erreichbar sei, erklärte er weiter. Ärzteschaft sektorenübergreifend in Gesetzgebungsprozess einbeziehen Trotz einiger Kritikpunkte sieht die Bundesärztekammer (BÄK) die Kommissionsvorschläge prinzipiell als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer sinnvollen Reform. BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt: „Wir sprechen seit mehr als zehn Jahren über eine Reform der Notfallversorgung in Deutschland. Geschehen ist bisher nichts. Deshalb ist die wichtigste Nachricht des Tages, dass mit den Empfehlungen der Regierungskommission für eine Neuordnung der Akut- und Notfallversorgung endlich Bewegung in den festgefahrenen Reformprozess kommt. Viele Vorschläge sind nicht neu und decken sich teilweise mit unseren Konzepten bzw. waren bereits Bestandteil des von der Vorgängerregierung vorgelegten Referentenentwurfs aus dem Jahr 2020. Die Schwierigkeiten liegen bei der konkreten Umsetzung im Detail. Diese Reform wird nur gelingen, wenn die Kompetenzen derjenigen einbezogen werden, die über ärztliche Erfahrung in der Notfallversorgung verfügen. Zudem muss die sektorenübergreifende Expertise der Ärztekammern unbedingt in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden.” Reinhardt zufolge kann die Zusammenführung der Notrufnummern 112 und 116117 zu einer integrierten Leitstelle helfen, die Ressourcen effizienter einzusetzen und die Inanspruchnahme der Notfallversorgungsstrukturen sinnvoll zu steuern. Dabei gelte es der Bevölkerung rechtzeitig zum Beispiel mithilfe von mehrsprachigen Aufklärungs- und Informationsangeboten ein besseres Verständnis über Funktionen und Abläufe einer Notaufnahme zu vermitteln. „Wenn nach einer Abklärung über die Leitstelle eine persönliche Vorstellung im Notdienst erforderlich ist, brauchen wir dafür eine von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern gemeinsam und kooperativ verantwortete Struktur. Die Vorschläge der Regierungskommission für die gemeinsamen Leitstellen und Integrierten Notfallzentren (INZ) können ein Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung sein. Es ist gut, dass die Kommission in beiden Bereichen auf die Vernetzung und Kooperation vorhandener Strukturen setzt. Das ist grundlegend, damit eine echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe gelebt werden kann”, befand Reinhardt weiter. Notdienstpraxen auch zu den normalen Sprechstundenzeiten zu öffnen, sei – auch vor dem Hintergrund knapper personeller Ressourcen – aber der falsche Ansatz. „Das ist auch nicht erforderlich, weil Notfallpatienten während der Sprechstundenzeiten selbstverständlich in den haus- und fachärztlichen Praxen versorgt werden können”, so Reinhardt. Die ambulanten Strukturen für diese wichtigen Aufgaben weiter zu stärken, sollte nach Ansicht des BÄK-Präsidenten daher ebenfalls Bestandteil eines umfassenden Reformkonzeptes sein. Schließlich ist es Reinhardt zufolge auch wenig hilfreich, die Etablierung einer Facharztbezeichnung Notfallmedizin zu fordern, die perspektivisch Voraussetzung für die Leitung von INZ sein soll, obwohl für die Leitung der INZ natürlich eine entsprechende fachliche Qualifikation erforderlich sei. Deshalb habe die BÄK und die beteiligten Fachgesellschaften auch bereits im Jahr 2018 die Zusatzqualifikation Klinische Akut- und Notfallmedizin etabliert. (hr)
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