„Recht auf Vergessenwerden“25. September 2024 Bild: ©momius – stock.adobe.com Stiftung und DGHO stellen neue Publikation zu Benachteiligungen junger Krebspatienten vor. Im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz haben die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs (DSfjEmK) und die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. (DGHO) den 22. Band der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO „Recht auf Vergessenwerden – Keine Benachteiligungen von jungen Erwachsenen mit Krebs mehr zulassen“ vorgestellt und auf die Bedeutung eines Endes von Diskriminierung gegenüber Krebsüberlebenden hingewiesen. Mit der neuen Publikation widmen sich die DSfjEmK und die DGHO nach den Themen „Krebs und Armut“ sowie „Krebs und Kinderwunsch“ erneut gemeinsam einem Bereich, der die sehr spezifischen Problemstellungen junger Erwachsener mit Krebs ins Bewusstsein der Laien- und Fachöffentlichkeit rücken soll. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 16.500 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 39 Jahren und etwa 2100 Kinder unter 18 Jahren an Krebs. Dank der Fortschritte in Diagnostik und Therapie von Blut- und Krebserkrankungen können heute mehr als 80 Prozent von ihnen geheilt werden. Diese medizinischen Innovationen führen zu einer steigenden Zahl von Langzeitüberlebenden („Survivors“). Neben den medizinischen Spät- und Langzeitfolgen rücken somit zunehmend auch soziale Aspekte in den Fokus. Denn obwohl die jungen Betroffenen nach wissenschaftlichen Standards längst als geheilt gelten, erfahren viele von ihnen auch Jahre später noch in vielerlei Hinsicht Benachteiligungen gegenüber Gleichaltrigen. Benachteiligungen gibt es u. a. beim Abschluss von Versicherungen, der Vergabe von Krediten, der Verbeamtung oder in Fragen der Adoption. Jungen Betroffenen werden Verbeamtungen, Versicherungsabschlüsse und somit auch Kreditaufnahmen, verwehrt, oder Versicherungen werden unangemessen und mit pauschal hohen Prämien angesetzt. „Mein Mann und ich wollten ein Haus bauen. Zur Absicherung des Kredits sollte ich eine Risikolebensversicherung abschließen. Aufgrund meiner mittlerweile fast 12 Jahre zurückliegenden Leukämieerkrankung sagte man mir, dass der Abschluss unmöglich sei“, erklärt Miriam. Die junge ehemalige Betroffene aus dem Ruhrgebiet engagiert sich seit vielen Jahren in der Stiftung. Auch Stefan betont in seinen Schilderungen die Absurdität der Nichtverjährung seiner zurückliegenden Krebserkrankung. Er war als 11-Jähriger an einem Sarkom erkrankt und muss nun, auch 20 Jahre nach der Diagnose, noch mit einem sozialen Stigma leben. „Obwohl ich mittlerweile promoviert bin, sehr viel Sport treibe und ein aktives und uneingeschränktes Leben führe, habe ich große Schwierigkeiten, meine Arbeitskraft durch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzusichern. Tatsächlich habe ich bereits viele Versuche über Versicherungsvertreter unternommen, anonyme Voranfragen unter Angabe meiner Krebsdiagnose für eine BU zu stellen. Bisher wurden alle abgelehnt.“ Umfrage unter den Betroffenen zeigt Benachteiligungen Dass dies längst keine Einzelfälle sind, hatte die DSfjEmK im Rahmen einer Online-Umfrage herausgefunden, die sie von Juni bis November 2023 durchgeführt hat. Hierdurch konnten über 250 Benachteiligungserfahrungen gesammelt werden. Mit 40 Prozent gab die deutliche Mehrheit der Befragten Benachteiligungen im Bereich ‚Versicherungen‘ an. So beklagten die Betroffenen beispielsweise, dass Abschlüsse einerseits gar nicht oder nur zu sehr schlechten Konditionen möglich seien. Weitere Benachteiligungen wurden beispielsweise im beruflichen Kontext genannt. So waren hier u.a. keine Verbeamtungen möglich. Ebenfalls wurden konkrete Benachteiligungen bei der Bewilligung von Krediten oder bei dem Wunsch nach einer Adoption angegeben. „Zwar ist der Rechtsrahmen für einen grundlegenden Schutz vor Diskriminierung und Benachteiligung über die EU-Verbraucherschutzrichtlinie hinaus durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention gegeben, dennoch bestehen in Deutschland weiterhin gesetzliche Schlupflöcher“, so Prof. Andreas Hochhaus, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Jena, und fährt fort: „Unser Bestreben muss es daher sein, Krebsüberlebende vor Benachteiligungen und Diskriminierungen nach der sogenannten ‚Heilungsbewährung‘ zu schützen.“ „Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie fordern daher ein ‚Recht auf Vergessenwerden‘ auch für Deutschland. In der Praxis muss dies bedeuten, dass Versicherungen oder Banken nach einer gewissen Zeit der Heilungsbewährung (in der Regel 5 Jahre) die frühere Krebserkrankung nicht mehr berücksichtigen dürfen. Ähnliche Regelungen müssen auch im Bereich der Verbeamtung und Adoption geschaffen werden“, erklärt Prof. Inken Hilgendorf, Kuratoriumsvorsitzende der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und Sektionsleiterin für Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Jena. Recht auf Vergessenwerden – was ist das überhaupt? Das „Recht auf Vergessenwerden“, international als „right to be forgotten“ bezeichnet, bezieht sich im Kern darauf, dass digitale Informationen mit Personenbezug nicht dauerhaft gespeichert, sondern nach einer bestimmten Zeit gelöscht werden sollten. Mit der EU-Verbraucherkreditrichtlinie wurde 2023 erstmals eine gesetzliche Bestimmung geschaffen. Diese Regelung verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, die Verwendung von Gesundheitsdaten in Bezug auf Krebserkrankungen nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr zuzulassen. Dies gilt beispielsweise für Versicherungen, die im Zusammenhang mit Verbraucherkreditvereinbarungen abgeschlossen werden. Bei der Umsetzung in nationales Recht hängt Deutschland jedoch massiv hinterher. Große Fortschritte in europäischen Nachbarländern – Keine Bewegung in Deutschland „Wir haben die Chance, eine umfangreiche Regelung auch in Deutschland zu schaffen und müssen dabei nichts neu erfinden. Wir können die Erfahrungen der anderen europäischen Staaten auf diesem Gebiet nutzen. In Frankreich wissen wir zum Beispiel, dass das Gesetz zum Recht auf Vergessenwerden praktisch keine Auswirkungen auf die Versicherungsgesellschaften hatte. Ganz im Gegenteil, die Versicherer haben dadurch neue Kunden gewonnen“, sagt Sebastian Rohde, Gründer der Advocacy und Public Affairs Agentur RPP, die sich auf EU-Ebene seit vielen Jahren für ein Ende der Diskriminierung von ehemals betroffenen Krebspatienten einsetzt. Bereits acht europäische Staaten (Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal, Rumänien, Spanien und Zypern) haben ein Recht auf Vergessenwerden auf nationaler Ebene umgesetzt. Mit Slowenien befindet sich ein neuntes EU-Mitglied aktuell im Gesetzgebungsprozess. Darüber hinaus haben fünf weitere Staaten (Dänemark, Griechenland, Irland, Luxemburg und Tschechien) sogenannte ‚Codes of Conducts‘ erarbeitet. Diese nichtlegislativen Rahmenbedingungen nehmen die Form von Selbstregulierungsgesetzen an. CoCs beinhalten eine freiwillige Verpflichtung der Versicherer, ein „Recht auf Vergessenwerden“ in der Praxis umzusetzen. Es sind keine gesetzlich festgeschriebenen Regelungen. „In Deutschland muss es unser klares Ziel sein, eine umfängliche gesetzliche Regelung zu schaffen. Mit Blick auf die steigende Zahl an Langzeitüberlebenden muss den Betroffenen auch eine Perspektive gegeben werden“, so Hochhaus abschließend. Gesundheitspolitische Schriftenreihe – Ein Überblick Der 22. Band der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO gibt einen ersten umfassenden Überblick über die Thematik der Benachteiligungen junger Betroffener. Neben der detaillierten Darstellung der Umfrageergebnisse erfolgt eine juristische Einordnung, eine europäische Kontextualisierung und abschließend eine Ableitung von Forderungen. „Unser Ziel ist es, sowohl die Laien- als auch die Fachöffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, den notwendigen gesundheitspolitischen Diskurs anzustoßen und damit die leider immer noch bestehenden Benachteiligungen von jungen Erwachsenen mit Krebs abzubauen“, betont Hilgendorf.
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