Reform der Notfallversorgung: DGN und DSG fordern Nachbesserungen1. Juli 2024 Foto: © zimmytws – stock.adobe.com Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) befürchten, dass die aktuellen Vorschläge zur Reform der Notfallversorgung wesentliche Ziele verfehlen und keine Verbesserung der neurologischen Notfallversorgung herbeiführen. In einer gemeinsamen Stellungnahme legen die beiden Fachgesellschaften ihre Kritikpunkte am Referentenentwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung (Fassung vom 03.06.2024) dar. DGN und DSG befürchten, dass die nun vorgelegten Vorschläge zur dringend benötigten Reform der Notfallversorgung wesentliche Ziele verfehlen und so die Chance für eine erhebliche Verbesserung der neurologischen Notfallversorgung, insbesondere der Schlaganfallversorgung, nicht genutzt wird. Der Gesetzesentwurf müsse daher dringend nachgebessert werden, um bereits bestehenden Versorgungsengpässen und Qualitätseinbußen entgegenzuwirken und mögliche neue Fehlentwicklungen zu vermeiden, fordern die Fachgesellschaften. Konkret bemängeln DGN und DSG wesentliche Punkte bei den im Gesetzesentwurf formulierten Kernvorhaben. So sei eine Vernetzung der kassenärztlichen Notfallversorgung und des Rettungsdienstes lediglich auf Antrag des Rettungsdienstes vorgesehen. Damit würden bundesweit uneinheitliche und aus Patientensicht verwirrende Doppelstrukturen aufrechterhalten, anstatt eine Verschlankung und Effizienzsteigerung zu erreichen. Die im Gesetzesvorhaben avisierte Verlagerung zusätzlicher Versorgungsaufgaben in den kassenärztlichen Bereich werde bestehende Engpässe eher verstärken, fürchten DGN und DSG. Vor allem aber bemängeln die neurologischen Fachgesellschaften Qualitätsaspekte. So werden ihrer Ansicht nach im Gesetzesentwurf keinerlei Vorgaben für die erforderliche notfallmedizinische Qualifikation einer zu etablierenden Akutleitstelle der Kassenärztlichen Vereinigung gemacht. Es sei daher zu befürchten, dass neurologische Erkrankungen, deren Differenzialdiagnostik oft komplex ist, nicht korrekt eingeordnet und falsch oder zu spät behandelt werden. „Das kann im Einzelfall Menschenleben kosten“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. Denn die im Gesetzesentwurf vorgesehenen, bundesweit einzusetzenden qualifizierten ambulanten Ersteinschätzungsinstrumente seien bislang nicht ausreichend wissenschaftlich evaluiert, insbesondere nicht im Hinblick auf neurologische Notfallsymptome wie Kopfschmerzen oder Verwirrtheit, die aufgrund ihrer Heterogenität besonders schwer zu interpretieren seien. „Bei der Ersteinschätzung werden Fachexpertise, ein geschulter diagnostischer Blick und klinische Erfahrung benötigt, was Algorithmen allein kaum leisten können. Und das Vorhaben, hier qualifiziertes Pflegepersonal ergänzend einzusetzen, wird nicht umsetzbar sein, da in kaum einer anderen Berufsgruppe ein so gravierender Fachkräftemängel besteht wie in der Pflege.“ Die beiden Fachgesellschaften begrüßen den Vorschlag, die Leitung der geplanten integrierten Notfallzentren in die Hände der Kliniken zu legen, halten es aber für bedenklich, wenn im Gesetzesvorhaben auf Instrumente zur Ersteinschätzung im integrierten Notfallzentrum verwiesen wird, die bislang nicht in validierter Form existieren, aber dennoch die fachärztliche Expertise ersetzen sollen. „Es spricht nichts dagegen, solche Tools ergänzend zu testen, um sie dann nach einer entsprechenden Evaluation und Validierung einzusetzen; aber leider sind diese Instrumente für den regelhaften Einsatz im Gesundheitswesen bislang nicht entwickelt. Sie ohne belastbare wissenschaftliche Überprüfung auch für neurologische Leitsymptome einzuführen, ist in etwa so, als würde man sich auf einen Lotsen verlassen, dessen zuverlässige Ortskenntnis nie überprüft worden ist“, erklärt Prof. Helge Topka, Sprecher der Kommission Notfallversorgung der DGN und Mitglied im Vorstand der DSG. Auch besteht die Sorge, dass die vorgesehenen Reformen der Krankenhausstrukturen und der Notfallversorgung die Schlaganfallversorgung verschlechtern könnten. „Ohne eine enge Abstimmung und Schaffung zusätzlicher Strukturen ist die Einhaltung der im Gesetzesvorhaben genannten zeitlichen Vorgaben von 30 Fahrzeitminuten für mindestens 95 Prozent der zu versorgenden Schlaganfallbetroffenen nicht zu sichern“, erklärt Prof. Stefan Schwab, 1. Vorsitzender der DSG. „Modellrechnungen zeigen, dass sich die Situation bei Umsetzung der geplanten Krankenhausreform eher verschlechtert.“ Wie der Experte betont, müsse alles darangesetzt werden, jede Verzögerung des Therapiebeginns beim Schlaganfall zu verhindern. „Bei 270.000 Schlaganfällen pro Jahr in Deutschland kann ein enges Versorgungsnetz, das die schnelle Einleitung der optimalen Behandlung sicherstellt, die hohen Folgekosten für Therapie, Rehabilitation und Pflege der Betroffenen immens senken. Wir hoffen hier auf den Weitblick der Politik, bei allem Sparzwang an den richtigen Stellen zu investieren“, fährt der DSG-Vorsitzende fort. Beide Fachgesellschaften bieten dem Bundesgesundheitsministerium ihre Expertise und Beratung an, um die Reformvorhaben umzusetzen, ohne zulasten der Versorgungsqualität neurologischer Patienten zu gehen. „Aus unserer Sicht sind Nachbesserungen am Gesetzesentwurf unbedingt erforderlich“, betonen Berlit und Schwab.
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