Reform der Sterbehilfe: DGS-Vizepräsident sieht in Gesetzentwürfen noch offene Fragen4. Juli 2023 Foto: ©CameraCraft/stock.adobe.com Am Donnerstag will der Bundestag über zwei sehr unterschiedliche fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zur Reform der Sterbehilfe entscheiden. Der Palliativ- und Schmerzmediziner und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) Norbert Schürmann sieht in beiden Entwürfen die Patientenautonomie nicht in dem Maße berücksichtigt, wie das Bundesverfassungsgericht dies in seinem Urteil vom Februar 2020 vorgegeben habe. Am 26. Februar 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Der nun vorliegende Gesetzentwurf, der federführend von dem Bundestagsabgeordneten Dr. Lars Castellucci (SPD) eingebracht wurde, stellt den assistierten Suizid bis auf Ausnahmefälle unter Strafe. Damit entfällt das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Patienten hätten nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, einen assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, Ärzte müssten unter Umständen mit Freiheitsstrafen und Berufsverbot rechnen. „Es klingt daher schon ein wenig paradox, die Patientenautonomie als ein hohes Gut hervorzuheben und in einer entscheidenden Frage den kranken Menschen nicht entscheiden zu lassen, was er für richtig oder für falsch hält“, kritisiert Schürmann in einer Stellungnahme vom 30.06.2023. Laut einer Befragung der DGS zum ärztlich assistierten Suizid würden zurzeit 83 Prozent der Ärztinnen und Ärzte den assistierten Suizid bei palliativen Erkrankungen unterstützen, 60 Prozent bei Patienten mit chronischen Erkrankungen. Mehr als 75 Prozent der Ärztinnen und Ärzte sind von ihren Patienten mehr als dreimal gebeten worden, einen Suizid zu unterstützen, fast 20 Prozent häufiger als zehnmal. DGS-Vizepräsident Norbert Schürmann. Foto: ©DGS Die aktuelle Gesetzeslage sei nicht hinnehmbar, so Schürmann. Patienten und behandelnde Ärzte befinden sich ihm zufolge in einem ethischen, rechtlichen und standesrechtlichen Vakuum. „Dass nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil die Zahl der ärztlich assistierten Suizide nicht rasant angestiegen ist, lag nicht daran, dass der Bedarf fehlte, sondern an der rigorosen Haltung der Ärztekammern, die nur ‚in Ausnahmefällen‘ den ärztlich assistierten Suizid tolerieren und auch nur dann, wenn er sich nicht wiederholt und damit ‚nicht geschäftsmäßig‘ ist“, betont Schürmann. Das sei für einen Palliativmediziner „absurd“. „Ständig gelangen Ärzte in diese Konfliktsituation. Standesrechtlich droht dem Arzt, im Wiederholungsfall, der Verlust der Approbation, also Berufsverbot.“ Der jetzt gemeinsame Gesetzentwurf der Gruppen um die Abgeordneten Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Katrin Helling-Plahr (FDP) und Dr. Petra Sitte (Die Linke) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das außerhalb des Strafrechts zu regeln ist. „Jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen“, heißt es im Gesetzentwurf. Eine frühzeitige palliative Versorgung ist die beste Prävention, um einen Suizid zu vermeiden. Es sind in der Regel wenige Patienten, die sich durch die Therapiemöglichkeiten der Palliativmedizin nicht ausreichend gut behandeln lassen und deren Symptomatik weiter bestehen bleibt. Schürmann bringt die entscheidenden ethischen Fragen auf: „Was passiert, wenn wir mit der Palliativmedizin aber nicht dazu in der Lage sind, das Leiden des Patienten zu vermindern? Aus welchem Grund sollte ein schwer kranker Mensch nicht selbst über sein Lebensende entscheiden dürfen? Insbesondere dann, wenn unheilbares Leid sich nicht lindern lässt?“ Er weist darauf hin, dass selbst Entscheidungen, die Außenstehende vielleicht als falsch beurteilen, die aber den Willen des Patienten respektieren, laut Bundesverfassungsgericht Teil des Persönlichkeitsrechts sind. Wenn Ärzte hier assistierten, entstünde laut Schürmann keine Entfremdung und auch kein Vertrauensverlust. Das Gegenteil sei der Fall. „Der Patient weiß, dass auch in solchen schwierigen Phasen seines Lebens, bei allen Entscheidungen, die er trifft, der Arzt bei ihm ist und ihn weiter begleitet. Auch im unterstützten Suizid.“ Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat jeder Mensch, ob gesund oder krank, die gleichen Rechte auf die Hilfe durch Dritte. Schürmann hält dennoch Abstufungen entsprechend der Schwere einer Erkrankung für „dringend notwendig“. Weiterhin wirft er die Frage auf, wer bei dem assistierten Suizid unterstützen könne, wenn nicht die Ärzte. Seiner Ansicht nach gibt es vor der Abstimmung im Bundestag noch „viele offene Fragen“. „Leider werden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und die Patienten weitgehend aus der Diskussion herausgehalten.“ Er betont: „Patientenautonomie sehen wir [die DGS, Anm. d. Red.] als ein hohes und wichtiges Gut im täglichen Umgang mit unseren Patienten. Auch in der Sterbehilfe.“
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