Reihenfolge entschlüsselt, in der Neuronen feuern15. April 2025 Prof. Florian Mormann und Dr. Stefanie Liebe prüfen etablierte Theorie der Verarbeitung von Reizen in Nervenzellen beim Erinnern. (Quelle: © Dr. Inka Väth | Universitätsklinikum Bonn) Wie behält das Gehirn die Abfolge von Ereignissen im Gedächtnis? Das wollten Forschende aus Bonn und Tübingen herausfinden. Sie konnten durch eine besondere Messmethode mit implantierten Elektroden im menschlichen Gehirn zum ersten Mal eine gängige Theorie zu Gedächtnisprozessen prüfen – und widerlegen. Wenn man kurz hintereinander vier Bilder gezeigt bekommt und sich die Reihenfolge dieser merken müsste, um sie anschließend wiederzuerkennen – wie behält das Gehirn dann die Reihenfolge im Gedächtnis? Naheliegend wäre, dass die Neuronen im Gehirn nacheinander feuern, so wie die Bilder auch gesehen wurden. Das war lange auch die gängige Theorie in der Neurowissenschaft. Ein Forschungsteam um Prof. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie am UKB, der auch ein Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn ist, hat diese Theorie untersucht, indem es eine Besonderheit der Therapie von Epilepsie am UKB genutzt hat. Menschen mit besonders schwer behandelbarer Epilepsie werden dort zur Behandlung Elektroden im Gehirn implantiert. Damit soll der Ursprung der epileptischen Anfälle genau bestimmt werden, um bessere chirurgische Ergebnisse zu erzielen. Durch diese Elektroden kann aber auch die menschliche Gehirnaktivität von einzelnen Zellen aufgezeichnet werden. „Wir haben das Glück, einen so außergewöhnlich seltenen Datensatz von Einzelzellaufzeichnungen verwenden zu können. So eine genaue Messung ist in anderen Versuchen nicht der Fall. Deshalb war zuvor eine Überprüfung der Theorie nicht möglich“, erklärt Mormann, Letztautor der Studie und Leiter des Labors für Kognitive und Klinische Neurophysiologie. In der Studie lösten die Teilnehmenden mit Epilepsie eine Merkaufgabe, während ihre Neuronenaktivität gemessen wurde. Während der Aufzeichnung sollten sie die Reihenfolge von Bildern, die ihnen auf einem Bildschirm gezeigt wurden, im Gedächtnis behalten und anschließend wiedererkennen. Ergebnisse mithilfe von KI-Methoden weiter untersucht Anders als zuvor gedacht ist es so, dass die genaue Abfolge der Zellantworten im Gehirn nicht mit der Abfolge der Ereignisse übereinstimmt. „Zunächst war das Ergebnis auch für uns überraschend, denn schließlich widersprachen unsere Daten einer sehr klassischen und bekannten Theorie darüber wie das Gehirn sich eine Reihenfolge von Ereignissen merkt“, berichtet Dr. Stefanie Liebe, Erstautorin der Studie und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Mormann. Jetzt ist sie als Wissenschaftlerin und Ärztin in Weiterbildung in der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt für Epileptologie des Universitätsklinikums Tübingen tätig. Um den Ergebnissen auf den Grund zu gehen, kooperierten sie mit Matthijs Pals und Prof. Jakob Macke vom Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen: Neue Perspektiven für die Wissenschaft“ der Universität Tübingen. Mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) trainierten sie ein im Computer nachgebautes neuronales Netzwerk in den gleichen Gedächtnisaufgaben, die auch die Menschen durchführen sollten. „Um die Aufgabe erfolgreich zu meistern, zeigte das Computer-Modell interessanterweise hierbei ähnliche Aktivitätsmuster wie die von uns aufgezeichnete Gehirnaktivität“, erklärt Liebe. Durch die Modellsimulation entdeckten die Forschenden zusätzlich einen alternativen Mechanismus der Erinnerung von Reihenfolgen, der aus einem zeitlich-dynamischen Zusammenspiel der Bildpräsentationen, ablaufenden Hirnschwingungen und Signalen von einzelnen Zellen entsteht. „Mit dem Computer-Modell konnten wir weitere Hypothesen generieren und überprüfen. Jetzt haben wir ein neuartiges Verständnis darüber, wie Erinnerungen im Gehirn organisiert werden“, erklärt Macke. „Unsere Studie zeigt somit auch das enorme Potenzial der Kombination aus neuronalen Aufzeichnungen und KI auf, um komplexe Gehirnfunktionen im Menschen zu erforschen.“
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