Reizverarbeitung: Was passiert, nachdem ein Signal auf seinen Rezeptor gestoßen ist?

Illustration der Vorgänge an der Zellinnen- und -außenseite bei Auftreffen eines Signals. Bild: Berlin Institute of Health (BIH)

Wissenschaftlern des Berlin Institute of Health (BIH) ist es gelungen, Empfängermoleküle dabei zu beobachten, wie sie Signale in das Zellinnere übertragen.

Körpereigene Botenstoffe, aber auch Medikamente, entfalten ihre Wirkung oft über Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen. Zwei Gastwissenschaftler am BIH konnten nun gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern erstmals die initialen Schritte beobachten, wie der Rezeptor auf der Zellinnenseite sogenannte G-Proteine bindet und so das Signal gezielt in die Zelle überträgt. Das gelang ihnen, indem sie ihre Expertisen in der Strukturbiologie beziehungsweise in High-performance-Computermethoden kombinierten. Ihre Erkenntnisse haben die Wissenschaftler in der Zeitschrift Cell veröffentlicht. Beide BIH-Visiting-Professoren werden von der Stiftung Charité gefördert.

Signale spielen im Körper eine entscheidende Rolle: Licht wird in der Retina unseres Auges durch lichtempfindliche Rezeptoren in körpereigene Signale umgewandelt, die im Gehirn zu dem zusammengefügt werden, was wir sehen. Das Stresshormon Adrenalin signalisiert Gefahr und sorgt für erhöhte Pulsschlag- und Atemfrequenz. Botenstoffe wie Serotonin sorgen dafür, dass Nervenzellen in bestimmten Gehirnarealen aktiviert werden und so etwa Glücksgefühle entstehen. Bei all diesen Vorgängen spielen spezielle Antennen auf der Zelloberfläche, G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR), eine alles entscheidende Rolle: Sie empfangen die Signale, leiten sie weiter und können damit eine bestimmte Antwort auslösen.

Peter Hildebrand hat eine Professur für biophysikalische Computersimulationen an der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und beschäftigt sich mit der Computersimulation krankheitsrelevanter Eiweißmoleküle im Körper. „Wir interessieren uns seit vielen Jahren dafür, was passiert, nachdem das Signal auf seinen Rezeptor an der Zelloberfläche gestoßen ist“, erzählt Hildebrand, der am BIH Visiting-Professor ist. „Wir wollen wissen, wie der Rezeptor das Signal in die Zelle hineinreicht und wie es dann innerhalb der Zelle weitergeht: Diese ersten Schritte entscheiden, welches Programm in der Zelle im Anschluss abläuft und welche Antwort die Zelle darauf liefert.“ Für Antworten auf genau diese Fragen hat der Strukturbiologe Brian Kobilka von der Universität Stanford im Jahr 2012 den Nobelpreis für Chemie erhalten. “Und deshalb ist es für uns auch so ein großes Glück, dass wir mit Brian Kobilka ,der am BIH als BIH-Einstein-Visiting-Professor tätig ist, hier in Berlin zusammenarbeiten können“, freut sich Hildebrand.

Schnappschüsse vom Moment der Bindung
„Brian Kobilka hat Schnappschüsse von Rezeptoren im Moment der Bindung des von außen kommenden Botenstoffs und ebenfalls im Moment der Bindung an die G-Proteine innerhalb der Zelle aufgenommen“, erklärt Hildebrand. „Wir konnten die Bewegungen dieser Moleküle in ihrer natürlichen Umgebung simulieren.“ Der Biophysiker Hildebrand tat sich daraufhin in Berlin mit dem Strukturbiologen und Mediziner Kobilka zusammen: „Wir wollten genau verstehen, was unter der Zelloberfläche bei der Signalübertragung passiert. Die entscheidenden Bewegungen laufen dabei in sehr kurzer Zeit, also wenigen Bruchteilen von Sekunden ab“, beschreibt Hildebrand das Problem. „Wir konnten nur zusammen herausfinden, wovon es abhängt, ob ein Signal weitergereicht wird und ob es in die eine oder in die andere Richtung weitergeleitet wird.“ Dazu haben sie die Bewegungen des Rezeptors am Computer simuliert und anschließend im Labor mit strukturbiologischen Methoden überprüft, ob die Simulation die Vorgänge korrekt widerspiegelte.

Die mikroskopisch kleinen ultraschnellen Bewegungen, die Kobilka und Hildebrand nun erstmals beobachten konnten, entscheiden zu einem wesentlichen Teil darüber, welche Wirkung ein natürliches oder körpereigenes Signal entfaltet: Auch ein Drittel der Medikamente wirkt über diese Rezeptoren, etwa Herzmedikamente, Psychopharmaka oder Schmerzmittel. „Und da kommt es auf die speziellen Bewegungen an, die das Medikament bewirkt, wenn es an den Rezeptor bindet“, erklärt Hildebrand. „Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt, um in Zukunft abzuschätzen zu können, ob ein Medikament Nebenwirkungen hervorrufen wird, weil es nicht nur einen, sondern mehrere oder den falschen Signalweg in der Zelle aktiviert,“ ordnet Hildebrand die aktuelle Veröffentlichung ein.

Originalpublikation:
Liu et al. Structural Insights into the Process of GPCR-G Protein Complex Formation, Cell (2019).
https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.04.021


Quelle:
Berliner Institut für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH)