Rekord-Teilnehmerzahl auf dem DVG-Vet-Congress 2023 in Berlin

Miss Marple und Hugo gemeinsam auf Schnüffeltour auf dem DVG-Vet-Congress. Foto: © Sigrun Grombacher

Vom 22. bis 25. November fand der DVG-Vet-Congress erstmals wieder als reine Präsenz-Veranstaltung im Estrel Congress Center in Berlin statt. Dies nahmen 2650 Teilnehmer zum Anlass, der Hauptstadt einen Besuch abzustatten. Wie immer in tierischer Begleitung.

Schlief wie ein Backstein: Französische Bulldogge Kiwi. Foto: © SG

In 16 parallelen Tagungen ging es um Kleintiere, Pferde, Bienen, Tierzahnheilkunde, Chirurgie, Tierernährung, Verhaltensmedizin, Anästhesie, Antibiotikaresistenz, Versuchstierkunde, Forensische Veterinärmedizin, Geschichte und Naturheilverfahren. Mit dem Tagungs- und Seminarangebot hat die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) als Veranstalter offenbar ein glückliches Händchen bewiesen, denn der Kongress konnte einen Besucherrekord verbuchen. Bereits am Donnerstag fand der Thementag „Gastroenterologie bei Hund und Katze“ regen Anklang bei mehreren Hundert Teilnehmenden.

Der DVG gehören über 6.100 Mitglieder an, die in 41 Fachgruppen organisiert sind und sich mit allen Gebieten der Tiermedizin befassen. Sie fördert insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Festrednerin Prof. Renate Weller, Calgary Foto: © Carmen Körner, Cynthia Ruf

DVG-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. mult. (Bursa, Torun, Stara Zagora) Martin Kramer begrüßte die anwesenden Kolleginnen und Kollegen am Donnerstag im Rahmen der offiziellen Eröffnungsfeier. Festrednerin war die mehrfach ausgezeichnete Veterinärmedizinerin Prof. Dr. Renate Weller (Calgary), die einen inspirierenden Vortrag über den gesellschaftlichen Wandel und seine Auswirkungen auf die veterinärmedizinische Ausbildung und Berufstätigkeit hielt. Sie plädierte für mehr Teamwork von Praktikern und Universitäten und für die „Entrümpelung der Vorlesungen“, um die Lehrpläne schneller an das rasant wachsende Wissen und die Bedürfnisse der jungen Generation anzupassen. Der KI steht sie positiv gegenüber: Sie sieht darin mehr Chancen als Risiken. Weller ermutigte die versammelten Veterinärmediziner, die sich durch die KI für die Tiermedizin ergebenden Möglichkeiten für Wissenschaft, Forschung und Praxis bestmöglich zu nutzen.

Im Lauf des Abends erhielt Prof. Dr. Michael Fehr (Hannover) mit der Richard-Völker-Medaille die höchste Ehrung der Fachgruppe „Deutsche Gesellschaft für Kleintiermedizin (DGK-DVG)“. Die Tierärztinnen PD Dr. Mirja Nolff (Zürich) und Dr. Kerstin von Pückler (Gießen) wurden mit dem Förderpreis der DGK-DVG ausgezeichnet. Mit der „Berliner Sause“ klang der Abend aus.

Pia Radix (re.) mit ehemaligen Kommilitoninnen beim Wiedersehen Foto: © SG

Am Freitag begeisterten Prof. Dr. Renate Weller und Prof. Holger Volk in ihrem Vortrag mit dem Titel „Resilienz fördern: Die Lösung aller Sorgen?“. Gemeinsam motivierten sie das Publikum zu mehr Achtsamkeit gegenüber eigenen Bedürfnissen. Anzustreben sei ein Leben im Eustress, d. h. die Anforderungen in unserem Leben sollten ungefähr unserer(realistischen) Leistungsfähigkeit entsprechen und sollten uns beflügeln zu kreativem Denken, rationaler Problemlösung, Fortschritt und Zufriedenheit. Sowohl Unter-, als auch Überstimulation führen über kurz oder lang zu negativem Stress, der im Verlauf in Erschöpfung, Krankheit und niedrigem Selbstwert münden kann. Dies auszuloten sei nicht immer einfach. Im Anschluss zeigte Michael Fitzke von der Mars GmbH in einem kurzweiligen Abriss den „Weg zur VetGPT“ auf. Er untermauerte einzelne Meilensteine der KI-Entwicklung optisch mit authentischen Bildern, die unweigerlich Erinnerungen an die schrulligen Achtziger und Co. wachriefen. Fitzke‘s Ausführungen war zu entnehmen, dass die Zusammenarbeit zwischen IT-Spezialisten und Tiermedizinern sich nicht immer unkompliziert gestalte, da zwei recht von sich selbst und ihrem Tun überzeugte Fachschaften aufeinander träfen. Dennoch erweise sich der Prozess als äußerst fruchtbar und zielführend. Am Nachmittag sprach Prof. Peter Böttcher von der FU Berlin über 3D Druck in der Orthopädie. Er machte deutlich, dass die neuen Verfahren eine große Chance auch für die Veterinärmedizin seien und man sich nicht gleich einen 3D-Drucker anschaffen müsse, um sich der Technik zu bedienen. Prof. Sabine Kästner widmete sich in ihrem Vortrag der palliativen Schmerztherapie.

René Dörfelt von der LMU sprach über das Notfalllabor. Foto: © SG

Dr. René Dörfelt von der LMU München erläuterte die Triagierung und gab einen Überblick über die wichtigsten Parameter im Notfalllabor. Dr. Jan Schreyer (Chemnitz), Diplomate of the European Veterinary Dental College, beschäftigte sich im Anschluss mit Zahnfrakturen, -luxationen und -avulsionen.

Am Samstag brachte Dr. Christine Peppler, JLU Gießen, die Tierärzteschaft auf den neuesten Stand in Sachen Magendrehung. Ihr Hinweis, dass die Infusionstherapie heutzutage andere Maßstäbe setze als im vergangenen Jahrhundert, in dem den tierischen Patienten noch Unmengen an Flüssigkeit verabreicht wurden, amüsierte so manches ältere Semester. Das Legen einer Nasenschlundsonde verschaffe dem Patienten und dem Tierarzt Zeit, den Eingriff zu planen, eine Gastrotomie solle nur im alleräußersten Notfall durchgeführt werden. Mit der abschließenden Kontrolle der Milz und der Rezidivprophylaxe durch eine Gastropexie ging es dann auch über in den zweiten Vortrag, der die Milzblutung und ihre Ursachen zum Thema hatte. Eine sehr große Milz ohne freie Flüssigkeit erweise sich häufig als benigne (70 %). Je größer die Milz, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Zubildung gutartig sei, so ihr persönliches Credo. Auch das Feedback durch zwei Veterinärpathologen aus dem Publikum ging dahin, das bei Weitem nicht immer vom Schlimmsten (Hämangiosarkom) ausgegangen

Kai Rickmann mit einigen Simulatoren aus dem Vetiqo-Sortiment. Foto: © SG

werden müsse/dürfe, beide sähen von den vielen zur Untersuchung eingesandten Milzen eher mehr gutartige als bösartige Veränderungen. Auch ein Hämoabdomen sollte nicht zum vorschnellen Verdacht eines malignen Tumors führen.

Die Industrieausstellung war mit 105 Ausstellenden auf über 1.300 Quadratmetern Ausstellungsfläche Anziehungspunkt. So freute sich Kai Rickmann von Vetiqo über den regen Zulauf an interessierten Tierärzten sehr. „Studenten, Professoren und Praktiker waren gleichermaßen von den Simulatoren angetan. Mit den lebensechten Modellen kann man spielerisch z.B. chirurgische Nahttechniken oder auch das Anlegen eines Venenkatheters trainieren.“

Herr Müller von MLT mit dem 4Wave+ Laser mit 4 Wellenlängen und 27 Watt-Power Foto: © SG

Am Nachmittag sprach Prof. Jan Suchodolski von der Texas A&M University, USA, über das Darmmikrobiom bei Hund und Katze. Er wies darauf hin, dass Bakterienkulturen nur sinnvoll zum Nachweis spezifischer Pathogene wie etwa Salmonella oder Campylobacter jejuni seien mit anschließendem Antibiogramm, sie seien jedoch nicht geeignet, um ganze Kotproben zu untersuchen, die unbekannte Bakterien enthalten. In einer Studie waren Kotproben zu 3 kommerziellen Laboren eingeschickt worden zur Kulturuntersuchung und gesunde Hunde hatten häufiger ein abnormales Ergebnis als erkrankte. Außerdem ergab sich eine extreme Variation zwischen den Laboren, da Unklarheiten bestünden, welche Kriterien für Dysbiose anzuwenden seien. Die Quantitative PCR sei hingegen sehr gut reproduzierbar, sofern gleiche Kotmengen verwendet werden, sie erlaube auch die Bestimmung von Referenzintervallen. Nachteil sei, dass nur bestimmte Bakteriengruppen bestimmbar seien. Mittels Shotgun-Sequencing wurde das Core-Mikrobiom von Hunden ermittelt: Die wichtigste Arten resp. Gattungen sind einer Untersuchung zufolge Clostridium hiranonsis, Blautia und Faecalibacterium. Um mikrobielle Veränderungen bei chronischen entzündlichen Darmerkrankungen zu erfassen, kann der Dysbiose Index (DI) eingesetzt werden.

Dr. Kamlage (re.) aus Odenthal im Gespräch mit Kollegin Jessica Müller. Foto: © SG

Der DI stellt den derzeit einzigen validierten Test zur Beurteilung des fäkalen Mikrobioms dar und wurde in verschiedenen veröffentlichten klinischen Studien eingesetzt. Im Fall einer Dysbiose sinkt der Gehalt an den drei genannten wichtigen Bakteriengruppen Clostridium hiranonsis, Blautia und Faecalibacterium, aber auch jener an Turicibacter und Fusobacterium, während schädigende Keime wie Streptococcen und E.coli ansteigen. 

In den Pausen konnte man sich in der Industrieausstellung einen superleckeren Orangensaft schmecken lassen oder mit dem Vierbeiner eine Runde drehen. So auch Dr. Kamlage, Tierärztin in eigener Praxis in Odenthal, NRW, die mit mehreren Teammitgliedern in bester Stimmung angereist war. Sie fand insbesondere die Vorträge zur Zahnheilkunde gut. Ob Rüde Hugo (8 Jahre) das auch so sah, war nicht aus ihm rauszulocken. (sg)