Renales Angiomyolipom: Natürlicher Verlauf spricht für Überwachung als ersten Ansatz

Beim renalen Angiomyolipom reicht zunächst Überwachung als Behandlungsstrategie. Foto: Jan Becke/eyetronic – stock.adobe.com

Traditionell wird bei Angiomyolipomen (AML) >4 cm wegen des Risikos einer hämorrhagischen Blutung eine Intervention empfohlen. Eine aktuelle Studie aus Kanada widerlegt den Sinn dieser Praxis.

Ziel war es, den natürlichen Verlauf von AML, einschließlich Wachstumsraten und Interventionsbedarf, darzustellen. Dazu führten Erstautor Gregory J. Nason und Kollegen eine retrospektive Überprüfung einer AML-Serie von 2002 bis 2013 durch, die bis 2018 prospektiv weitergeführt wurde. Sie definierten die Läsionsgröße anhand des maximalen axialen Durchmessers und kategorisierten die Läsionsgröße zu Studienbeginn.

Insgesamt wurden 458 Patienten mit 593 AML mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 65,2 Monaten identifiziert. Bei Diagnose waren 534 (90,1 %) Läsionen ≤4 cm groß. Bei 34 (5,7 %) AML wurden insgesamt 43 Eingriffe durchgeführt: 30 AML wurden mit Embolisation behandelt, 7 operiert, 2 mit Radiofrequenzablation (RFA), 3 mit mTOR-Inhibitoren und 1 mit Nivolumab (bestätigtes epitheloides AML) therapiert. Die mediane Größe bei der Intervention betrug 4,9 cm (Bereich 1,1–29).

Die meisten (94 %) der Läsionen wuchsen im Beobachtungszeitraum langsam (Wachstumsrate <0,25 cm/Jahr). Die Anzahl der AML <4 cm, die zur prophylaktischen Behandlung zur Verhinderung einer auftretenden Blutung erforderlich waren (number needed to treat, NNT), hätte 136 betragen. Die prophylaktische NNT zur Verhinderung einer einzigen Bluttransfusion läge bei 205, die NNT zur Verhinderung jeglicher elektiven Intervention betrüge 82. Bei der multivariaten Analyse gab es signifikante Unterschiede in den Interventionsraten basierend auf dem Vorliegen eines Tuberöse-Sklerose-Komplexes, der AML-Größe bei Vorstellung und der klinischen Präsentation.

„Diese große aktualisierte Serie von renalen AML an einer einzigen Institution zeigt, dass unabhängig vom traditionellen Cut-off von 4 cm keine frühzeitige Intervention erforderlich ist“, schließen die Autoren. Die überwiegende Mehrheit der AML bestehe aus indolenten Läsionen, die meist asymptomatisch seien und langsam wüchsen. Die Nachsorge sollte nicht häufiger als jährlich erfolgen, raten sie.

Zweifelhaftes Dogma

Prof. Michael Stöckle, Herausgeber von Kompakt Urologie, findet es “mehr als lobenswert”, dass sich die Autoren dieses Themas nochmals angenommen haben, denn es habe sich “das jahrzehntealte Dogma, Angiomyolipome mit einer Größe von mehr als 4 cm müssten behandelt werden, auch in den Leitlinien festgesetzt”. Stöckle erinnert daran, “dass dieses Dogma auf einen Autor zurückgeht, der später unehrenhaft entlassen worden war, weil ihm die Publikation frei erfundener Daten nachgewiesen werden konnte”. Stöckle hält eine Beobachtungsstrategie “für völlig adäquat” und berichtet, innerhalb von Jahrzehnten nur 2-3 Komplikationen eines Angiomyolipoms gesehen zu haben. “Keine davon war in irgendeiner Weise lebensbedrohlich, alle ließen sich problemlos in der Notfallsituation operativ versorgen.”

(ms)