Reproduktion: Von der Eizelle bis zum Jungtier19. April 2022 Rotes Trio: Während diese drei kleinen Kater vermutlich denselben Vater haben, sind bei Katzen und Hunden durchaus unterschiedliche Vatertiere in einem Wurf möglich. Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Was tun, wenn die Stute nicht trächtig wird, die Katze nur einen Welpen austrägt oder die Hündin Komplikationen bei der Geburt hat? In den veterinärmedizinischen Disziplinen Reproduktion und Geburtshilfe begleiten TiermedizinerInnen und WissenschafterInnen den Weg von der Eizelle bis zum Jungtier. Sie assistieren mit Hightech-Methoden für erfolgreiche Trächtigkeiten und leisten Geburtshilfe, wenn es notwendig ist. Ein Beitrag aus dem VetMed Magazin der Vetmeduni in Wien berichtet über den wohl schönsten Bereich der Tiermedizin – mit der größtmöglichen Verantwortung für den Tierarzt. In 40 Tagen ließ Jules Verne den englischen Gentleman Phileas Fogg um die halbe Welt reisen. In der gleichen Zeit umrundet der Mond mehr als einmal die Erde und ein Spross des Riesenbambus wächst in Asien mehrere Meter in die Höhe. 40 Tage lang warten manche PferdebesitzerInnen aber auch auf die angekündigte Ankunft des Nachwuchses. Denn dieser Zeitraum entspricht der normalen Schwankungsbreite bei der Trächtigkeitsdauer einer Stute. Zwischen 320 und 360 Tage dauert es, bis ein – hoffentlich gesundes – Fohlen das Licht der Welt erblickt. Gesundheitscheck: Verhält sich ein Jungtier auffällig, gilt es schnellstmöglich eine tiermedizinische Untersuchung durchführen zu lassen. Augen, Ohren und Maul sollten auch von BesitzerInnen regelmäßig überprüft werden. Fotos: © Thomas Suchanek/Vetmeduni So vielfältig wie die Tierwelt ist, so vielfältig und trickreich sind auch die Fortpflanzungsarten, Trächtigkeitsdauern, der Geburtsvorgang und die Jungenaufzucht. Australische Wallabys besitzen zum Beispiel zwei voneinander getrennte Gebärmütter und können dadurch dauerhaft trächtig sein. Amerikanische Nordopossums weisen mit 11 bis 13 Tagen die kürzeste Trächtigkeitsdauer auf, bis sich bis zu 20 winzige Junge auf den Weg in den Beutel der Mutter machen. Bei afrikanischen Elefanten sind es hingegen ganze 22 Monate, bis ein etwa 100 Kilogramm schweres Kalb das Licht der Welt erblickt und kurz danach stehen und laufen kann. Hündin und Katze bringen im Mittel nach 63 bzw. 67 Tagen einen Wurf von einem bis zu 22 Welpen zur Welt: Blind und nur fähig, zum Gesäuge der Mutter zu krabbeln, bis sich nach 12 bis 14 Tagen die Augen öffnen. Ganz schön anstrengend, so ein Tierarztbesuch. Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Wie selbstständig ein neu geborenes Jungtier ist, hat eine hohe Varianz. „Fohlen werden so weit entwickelt geboren, dass sie bereits eine Stunde nach der Geburt stehen und wenige Stunden später traben und galoppieren können. Beim Fluchttier eine lebensnotwendige Fähigkeit, um Raubtieren zu entkommen“, sagt Christine Aurich, Leiterin der Plattform Besamung und Embryotransfer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Als Professorin und weltweit anerkannte Expertin in der assistierten Reproduktion sieht sie jeden Tag unterschiedlichste Entwicklungsstadien von Jungtieren – von der Eizelle im Bauch bis zum frisch geborenen Nachwuchs. Läuft etwas schief oder klappt eine Befruchtung gar nicht, bietet die Tiermedizin inzwischen umfangreiche Lösungen. Von Samenentnahme über künstliche Befruchtung bis hin zu Leihmutterschaft reicht das Spektrum an Reproduktionstechniken. Assistierte Reproduktion bei Tieren Weltweit tauschen sich Forschende über neue Reproduktionsmechanismen aus. Eines der größten Projekte im Zusammenhang mit der assistierten Reproduktion ist der sogenannte „Frozen Zoo“ in der Forschungseinrichtung des Zoos in San Diego, USA. Eingefrorene Zellen von mehr als eintausend unterschiedlichen Spezies werden dort gelagert. Unter ihnen Gorillas, seltene Vogelspezies oder das vom Aussterben bedrohte Nördliche Breitmaulnashorn (Northern White Rhino), dessen Rettung seit dem Tod des letzten männlichen Tiers „Sudan“ im März 2018 weltweit für Schlagzeilen sorgte. WissenschafterInnen des „Frozen Zoo“ verwalten seit den 1970er-Jahren die tiefgefrorenen Proben von inzwischen über zehntausend Tieren. Viele der Proben bestehen aus Eizellen, Spermien oder anderen Zellen von Reproduktionsorganen, um die Zucht oder den Erhalt seltener Spezies langfristig sowie zeit- und ortsunabhängig zu ermöglichen. Faktor Zeit: Im Durchschnitt werden Fohlen nach 340 Tagen Trächtigkeit geboren. In Extremfällen waren es schon mehr als 400 Tage. Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Assistierte Reproduktion ist wie ein Puzzle mit vielen Teilen. So spielen bei der erfolgreichen Produktion von Nachkommen auch unter natürlichen Bedingungen Faktoren wie Zykluslänge oder für die Reproduktion relevante Hormone eine wichtige Rolle. „Um diese Verfahren erfolgreich einsetzen zu können, ist es häufig notwendig, den weiblichen Zyklus medikamentell zu beeinflussen, um so den optimalen Zeitpunkt für die Besamung zu bestimmen, den Zyklus bzw. die Brunst mehrerer weiblicher Tiere zu synchronisieren oder die Zahl der gleichzeitig zur Ovulation kommenden Follikel zu steigern“, erklärt Reproduktionsmedizinerin Aurich. Für die Bestimmung des Zyklus können TiermedizinerInnen auch auf Kotproben zurückgreifen. Dies kommt vor allem bei Wild- oder Zootieren zum Einsatz. Eine weitere Hürde: Jede Tierart weist Besonderheiten auf, Erkenntnisse lassen sich daher nicht zwingend auf andere Spezies übertragen. Während bei einer Tierart Eizellen schwer zu gewinnen oder einzufrieren und weiterzuverwenden sind, bereitet bei einer anderen der Schritt der künstlichen Befruchtung den WissenschafterInnen Kopfzerbrechen. Beim Menschen werden die Eizelle betreffende assistierte Reproduktionstechnologien seit den 1980er-Jahren eingesetzt – im Tierreich wurde schon 1890 der erste Embryotransfer bei Kaninchen und 1951 der erste Embryotransfer beim Rind durchgeführt und diese Technologien anhand neuer Erkenntnisse immer weiter ausgebaut. Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Insbesondere in der Nutztiermedizin werden etwa Verfahren zur Geschlechtsbestimmung eingesetzt, um das Geschlecht der Nachkommen in die eine oder andere Richtung zu verschieben. „So sind zum Beispiel bei Milchviehrassen weibliche Nachkommen zu bevorzugen, weil sie später selbst wieder Milch produzieren können, während die männlichen Kälber nur für die Aufzucht als potenzielle spätere Zuchtbullen interessant sind, aber häufig eine schlechte Mastleistung aufweisen“, fügt Christine Aurich hinzu. Dabei werden entweder Spermien vor der Besamung nach jenen mit X- oder Y-Chromosomen sortiert, sodass von vorherein nur männliche oder weibliche Nachkommen durch Besamung erzeugt werden. Oder es wird im Embryonalstadium mittels DNA-Sequenzierung das Geschlecht ermittelt und nur Embryonen des gewünschten Geschlechts übertragen. Komplikationen bei der Geburt Auch das Fachgebiet der Geburtshilfe entwickelt sich stetig weiter, angepasst an neue Herausforderungen. Während bei Pferden Zwillingsträchtigkeiten unerwünscht sind, da nur in Ausnahmefällen zwei lebensfähige Fohlen geboren werden, sind bei Hunden und Katzen unabhängig von der Rasse Trächtigkeiten mit nur einem oder zwei Welpen ein Problem: „Die Welpen sind überdurchschnittlich groß, sodass es oft zu Geburtsschwierigkeiten kommt, die meist nur durch einen Kaiserschnitt gelöst werden können“, erklärt Aurich die Notwendigkeit für medizinische Unterstützung. Auch spezielle Rassen mit großen Köpfen können Schwierigkeiten beim Geburtsvorgang verursachen. Ein vier Wochen alter Katzenwelpe bei einer Routinekontrolle. Die Untersuchung schließt ein gründliches Auskultieren ein. Den wahren Tiger erkennt man schon. Fotos: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Ist die Geburt erfolgreich gemeistert, gilt es auf die Aufnahme von Erstmilch (Kolostralmilch) in den ersten Stunden, auf die Gesundheit und das Wachstum des Jungtiers zu achten. Je nach Spezies gibt es unterschiedliche Faustregeln, um wie viel sich das Gewicht erhöht: Beim Fohlen etwa ein bis eineinhalb Kilo pro Tag, beim Hundewelpen verdoppelt sich das Geburtsgewicht in den ersten acht bis zehn Lebenstagen. Einen Rat haben die VeterinärmedizinerInnen jedoch für alle Fälle: Sobald etwas nicht stimmt, sofort tiermedizinische Hilfe aufsuchen, denn insbesondere bei Jungtieren gilt es schnell zu handeln. Seine beiden Brüder sind mit von der Partie. Foto: © Thomas Suchanek/Vetmeduni Text: Stephanie Scholz Fotos: Thomas Suchanek Dieser Artikel erschien in VETMED Magazin 01/2022
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