Retinitis pigmentosa: Hoffnung auf einen neuen Therapieansatz

Retinitis pigmentosa. Foto.©BVA/ Busse

Retinitis pigmentosa ist eine degenerative genetische Erkrankung des Auges, welche durch fortschreitenden Sehverlust gekennzeichnet ist und in der Regel zur Erblindung führt. Ein von der Universität Genf (UNIGE) geleitetes Team hat einen molekularen Mechanismus identifiziert, der die Degeneration der Photorezeptoren des Auges verursacht.

Zuvor konnten bereits bei einigen Patienten strukturelle Defekte in den Photorezeptorzellen beobachtet werden, aber die beteiligten molekularen Mechanismen waren bislang nicht verstanden. Wissenschaftler der Universität Genf haben in Zusammenarbeit mit der Universität Lausanne (UNIL) die Funktion eines molekularen Reißverschlusses aus vier Proteinen erkannt. Denn das Fehlen dieses Reißverschlusses führt in Netzhautzellen zum Zelltod. Diese Entdeckung könnte zur Entwicklung von neuen Therapieansätzen für Retinitis pigmentosa führen.

Mit einer Prävalenz von einem von 4.000 Menschen weltweit ist Retinitis pigmentosa die häufigste erbliche Netzhauterkrankung beim Menschen. Die ersten Symptome treten meist zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr mit einem Verlust des Nachtsehens auf. Danach verengt sich das Gesichtsfeld zu einem „Tunnelblick“, der schließlich um das 40. Lebensjahr zur Erblindung führt. Gekennzeichnet ist diese Krankheit durch eine Degeneration der lichtempfindlichen Zellen, der Photorezeptoren.

Diese spezialisierten Nervenzellen der Netzhaut sind für die Umwandlung von Licht in ein Nervensignal verantwortlich. Das äußere Segment der Zelle besteht aus Stapeln von Scheiben, auf denen sich die lichtempfindlichen Pigmente befinden. Das innere Segment enthält alle für das Funktionieren der Zelle wesentlichen Stoffwechselmaschinen und ist durch Zilien mit dem äußeren Segment verbunden.

Molekularer Reißverschluss
Mutationen in den Genen von vier Proteinen, die sich in diesem verbindenden Cilium befinden, sind alle mit retinalen Pathologien verbunden, die eine Degeneration von Photorezeptoren hervorrufen. Diese vier Proteine ​​wurden vom Labor von Paul Guichard und Virginie Hamel vom Department of Molecular and Cellular Biology der Faculty of Science identifiziert. Sie befinden sich in Zentriolen, zylindrischen Strukturen aus Mikrotubuli, die in allen tierischen Zellen vorhanden sind.

„In der Zentriole sorgen diese Proteine ​​für den Zusammenhalt der verschiedenen Mikrotubuli, indem sie wie ein Reißverschluss funktionieren. Wir haben uns gefragt, ob sie nicht dieselbe Rolle in den röhrenförmigen Strukturen der verbindenden Flimmerhärchen spielen“, erklärt Virginie Hamel, Letztautorin der Studie, welche im Journal „PLOS Biology“ veröffentlicht wurde.

Beobachtungen mit beispielloser Präzision
Durch eine optimierte Technik der Expansionsmikroskopie, die es ermöglicht, Zellen aufzublähen, ohne sie zu verformen, konnten die Wissenschaftler Netzhautgewebe mit einer nie erreichten Auflösung beobachten. Die Biologen konzentrierten sich auf die Struktur der verbindenden Zilien von Mäusen, die eine Mutation im Gen für eines der vier Proteine ​​oder eben keine Mutation aufwiesen. Diese Beobachtungen wurden in verschiedenen Lebensstadien durchgeführt. „Ohne die Mutation stellten wir fest, dass diese Proteine, genau wie wir es zuvor in Zentriolen gesehen hatten, den Zusammenhalt zwischen Mikrotubuli gewährleisten, indem sie einen Reißverschluss bilden, der sich mit fortschreitender Entwicklung schließt“, erörterte Olivier Mercey, Forscher in der Abteilung für Molekulare und Zellbiologe und Erstautor der Studie.

Wenn das Gen für eines dieser Proteine mutiert ist, obwohl die Struktur der Mikrotubuli in den ersten Tagen normal erscheint, haften die Mikrotubuli allmählich immer weniger aneinander. Im Erwachsenenalter haben dann die betroffenen Mäuse Mikrotubuli, die überhaupt nicht mehr „zusammengezippt“ sind und schließlich kollabieren, was zum Zelltod der Photorezeptoren führt.

Zelltod verhindern
Diese vom European Research Council (ERC) und der Pro Visu Foundation unterstützte Arbeit hat zu einem besseren Verständnis der Retinitis pigmentosa auf molekularer und struktureller Ebene geführt. Diese Erkenntnisse ermöglichen es, eine therapeutische Behandlung in Betracht zu ziehen, die der Zelldegeneration vorgeschaltet ist.

„Durch die Injektion des Proteins bei Patienten, die an bestimmten Arten von Retinitis pigmentosa leiden, können wir uns vorstellen, dass der molekulare Reißverschluss wiederhergestellt werden könnte, um die strukturelle Integrität der Mikrotubuli der verbindenden Zilien sicherzustellen und so das Absterben von Photorezeptorzellen zu verhindern. Wir evaluieren diesen Ansatz in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen von der UNIL und dem Jules-Gonin Ophthalmic Hospital, Yvan Arsenijevic und Corinne Kostic“, schließt Paul Guichard, Co-Autor der Studie.

Originalpublikation:
Mercey O et al. The connecting cilium inner scaffold provides a structural foundation that protects against retinal degeneration. PLoS Biology 2022.
https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001649