Review: Mangelernährung und damit assoziierte Immundefizienz können als Hauptauslöser der Tuberkulose-Pandemie gelten

Untersuchung eines Kindes in einem Flüchtlings-Camp zur Feststellung einer Mangelernährung. (Foto: © Mohammad Bash/stock.adobe.com)

Das ernährungsbedingt erworbene Immundefizienzsyndrom (N-AIDS) als Schlüsselfaktor und Komorbidität der Tuberkulose anzuerkennen, bietet laut den Verfassern eines aktuellen Reviews Chancen für erfolgreichere Maßnahmen zur Eliminierung der Infektionskrankheit.

Die Tuberkulose ist mit 10,6 Millionen Erkrankten und 1,6 Millionen damit assoziierten Todesfällen allein im Jahr 2021 weltweit die häufigste Infektionskrankheit. Jeder fünfte Tuberkulosefall war laut Autoren der neuen Studie auf Mangelernährung zurückzuführen – mehr als doppelt so viele wie auf HIV/AIDS.

Mangelernährung ist wie HIV/AIDS eine Ursache für eine sekundäre Immunschwäche, die als ernährungsbedingt erworbenes Immundefizienzsyndrom (N-AIDS) bezeichnet wird. Im Vergleich zu HIV/AIDS werde N-AIDS aber bei den weltweiten Bemühungen zur Beseitigung der Tuberkulose immer weniger stark berücksichtigt.

In einem Review, den die Forscher der Chobanian & Avedisian School of Medicine der Boston University zusammen mit Mitarbeitern der Cornell University, der University of Virginia (alle USA) und der International Union Against Tuberculosis & Lung Disease sowie dem Jawaharlal Institute of Postgraduate Medical Education (Indien) verfassten, wurden Daten aus Jahrzehnten ausgewertet. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass N-AIDS ebenso wie HIV/AIDS besondere Berücksichtigung bei den Bemühungen zur Eliminierung von Tuberkulose verdient.

„Obwohl es wichtige technologische Fortschritte bei der Erkennung und Behandlung von Tuberkulose gegeben hat, interpretieren wir die vorhandene Literatur so, dass wir ohne Maßnahmen gegen Unterernährung keine wesentlichen Änderungen bei der Tuberkulose-Inzidenz und -Mortalität bewirken können“, erklärt der korrespondierende Autor Dr. Pranay Sinha, Assistenzprofessor an der Chobanian & Avedisian School of Medicine der Boston University.

Nach der Lektüre von mehr als 75 Artikeln zu Ernährung und Tuberkulose beschrieben die Forschenden kurz die Auswirkungen der Maßnahmen gegen HIV auf die globale Tuberkulose-Pandemie. Sie weisen darauf hin, dass Mangelernährung weltweit die häufigste Ursache für Immunschwäche ist. „Menschen mit schwerer Unterernährung, wie Menschen mit HIV, haben ein erhöhtes Risiko dafür, an Tuberkulose zu erkranken. Wir können das, was wir bereits über Mangelernährung wissen, nutzen, um Tuberkulose zu erkennen, zu behandeln und zu verhindern“, sagt Sinha, der auch als Infektiologe am Boston Medical Center tätig ist.

Während die Forscher es für dringend notwendig halten, weiterhin innovative Werkzeuge zu entwickeln, sollten die Ansätze ihrer Auffassung nach nicht auf den biomedizinischen Bereich beschränkt bleiben. Beispielsweise ergab eine in ihrem Bericht enthaltene Studie, dass die Tuberkulose-Inzidenz bei Haushaltskontakten von Personen mit Tuberkulose durch die Bereitstellung eines preiswerten Lebensmittelangebotes um 40 Prozent gesenkt werden konnte. „Für Laien ist es wichtig zu verstehen, dass Tuberkulose keine bloße medizinische, sondern eine gesellschaftliche Erkrankung ist, und dies müssen wir bei unseren Bemühungen um die Eliminierung der Krankheit berücksichtigen“, fügt Sinha hinzu.

Den Forschenden zufolge hätten Maßnahmen zur Bekämpfung der Mangelernährung auch über die Tuberkulose hinaus eine Reihe von Vorteilen. In ihrer Arbeit bewerteten sie, wie Ernährungsinterventionen dazu genutzt werden könnten, Tuberkulose wirksamer zu erkennen, zu verhindern und zu behandeln. Die Studienautoren sind überzeugt, dass ihre Publikation verantwortlichen Entscheidungsträgern, Medizinern und der Öffentlichkeit dabei helfen wird, anders über den Umgang mit Tuberkulosepatienten sowie über die erforderlichen globalen Gesundheitsinvestitionen zu Ausrottung der Erkrankung nachzudenken.