Rezeptor mit „Gummiband“: Ansatzpunkt für neue Schmerz- und Krebs-Medikamente4. Dezember 2025 Der humane P2X4-Rezeptor (hier von oben gesehen) besteht aus drei Teilen. Bei Aktivierung öffnet sich eine Pore und Ionen strömen in die Zelle. PSB-0704 (bunt) verhindert das und blockiert so die Weiterleitung etwa von Schmerzsignalen. Abbildung: ©AG Müller/Hagelüken/Uni Bonn Der menschliche P2X4-Rezeptor spielt bei chronischen Schmerzen, Entzündungen und manchen Krebsarten eine zentrale Rolle. Bonner Forschende haben nun einen Mechanismus aufgeklärt, über den sich der Rezeptor hemmen lässt. Die in „Nature Communications“ publizierten Resultate ebnen den Weg zur Entwicklung neuer Medikamente. Der P2X4-Rezeptor sitzt in der Membran vieler Zellen, die sie wie ein dünnes Häutchen umgibt. Er fungiert dort als eine Art Tür, die im Normalfall geschlossen ist. Sie trägt aber an ihrer Außenseite eine Klinke, die sich nur von einem ganz bestimmten Molekül herunterdrücken lässt – dem ATP. Wenn das passiert, öffnet sie sich, so dass Kalzium- und Natrium-Ionen in die Zelle strömen können. Dadurch ändert diese ihr Verhalten. Bestimmte Immunzellen mit einem P2X4-Rezeptor werden beispielsweise durch ATP aktiviert und rufen dann andere Abwehrtruppen zur Hilfe. Die Folge ist dann eine Entzündung. Manche Nervenzellen dagegen erzeugen nach einer solchen Aktivierung Schmerzreize. Chronische Entzündung oder Schmerz − hyperaktiver Rezeptor „Bei chronischen Entzündungen oder chronischem Schmerz ist der Rezeptor häufig überaktiv“, erklärt Prof. Christa Müller, die an der Universität Bonn die Pharmazeutische und Medizinische Chemie leitet. „Ähnliches gilt für manche Tumorzellen – sie werden durch ATP verstärkt zur Teilung angeregt und können dann auch Metastasen bilden.“ Daher suchen Pharmafirmen weltweit nach Substanzen, mit denen sich der Rezeptor blockieren oder zumindest unempfindlicher machen lässt. Bislang gibt es aber erst sehr wenige Moleküle, die das können. Eines davon ist das Anthrachinon-Derivat PSB-0704 (PSB steht für Pharmaceutical Sciences Bonn), das von der Arbeitsgruppe Müller entwickelt worden war. „Wir wollten herausfinden, was es genau macht – auch, um mit diesem Wissen bessere Wirkstoffe herstellen zu können“, erklärt Müller, die auch den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRA) „Life & Health“, „Matter“ und „Sustainable Futures“ der Universität Bonn angehört. Schockgefrorene Moleküle Ihre Arbeitsgruppe hat dazu in den letzten Jahren strukturbiologische Methoden etabliert. Allerdings gelang es nicht, den Rezeptor gemeinsam mit dem Hemmstoff zu kristallisieren, um so die Struktur des Bindungs-Zustands aufzuklären, „Wir nutzten daher stattdessen eine spezielle Methode, die Kryo-EM genannt wird“, erklärt Erstautorin Dr. Jessica Nagel, die vor Kurzem eine Postdoktorandenstelle in den USA antrat. „Dabei wird eine Lösung aus dem P2X4-Rezeptor und dem Anthrachinon-Derivat PSB-0704 hergestellt und dann schockgefroren. Der entstehende Eisfilm enthält Millionen von Rezeptor-Molekülen, an die der Hemmstoff gebunden ist. Diese lassen sich mit dem Elektronenmikroskop betrachten.“ Zur Auswertung der Daten kooperierten Nagel und Müller mit Forschenden um PD Dr. Gregor Hagelüken vom Universitätsklinikum Bonn. Das dortige Institut für Strukturbiologie verfügt über sehr viel Erfahrung damit, die Interaktion zwischen Molekülen aufzuklären. Da die Molekül-Komplexe im Eis unterschiedlich liegen, sind unter dem Mikroskop verschiedene Seiten von ihnen zu sehen. „Diese Ansichten lassen sich mit Spezial-Software zu einem detaillierten 3D-Bild kombinieren“, erklärt Hagelüken. Die Arbeitsgruppen konnten auf diese Weise sichtbar machen, an welche Stelle des Rezeptors der Hemmstoff andockt und was das bewirkt. „Die Bindung führt dazu, dass sich Teile des P2X4-Moleküls verschieben, sodass der Ionenkanal nicht mehr geöffnet werden kann“, erklärt Nagel, die einen großen Teil der Arbeiten durchgeführt hat. Die Tür bleibt also verschlossen, auch wenn ATP an den Rezeptor andockt. Molekulares „Gummiband“ verkleinert die Bindungstasche PSB-0704 hemmt also die Öffnung von P2X4. Allerdings tut die Substanz das nicht sonderlich gut: Sie entfaltet ihren Effekt erst in relativ hohen Konzentrationen. Die Forschenden wissen nun auch, warum das so ist: Der Wirkstoff bindet an eine Tasche im Rezeptor. Diese ist aber ziemlich eng − das PSB-0704-Molekül passt also nicht sonderlich gut hinein. Das liegt an einer Art molekularem „Gummiband“, das die Tasche zusammenzieht. „Wir haben einen Rezeptor hergestellt, dem dieses Band fehlte“, sagt Nagel. „Der Hemmstoff PSB-0704 war dadurch fast 700-mal potenter.“ Aus diesem Resultat lassen sich Erkenntnisse für das Design besserer Wirkstoffe ableiten. „Wir können einerseits versuchen, diese so zu designen, dass sie das molekulare Gummiband vor ihrer Bindung an den P2X4-Rezeptor zerschneiden“, erklärt Müller. „Eine Alternative wäre die Suche nach kleineren Molekülen, die auch so problemlos in die Bindungstasche passen.“ Fahndung nach Hemmstoff läuft seit mehr als zehn Jahren Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich schon sehr lange mit diesem Thema: Bereits vor mehr als zehn Jahren hatte ihre damalige Mitarbeiterin Dr. Stephanie Weinhausen, unterstützt durch den Computer-Experten Dr. Vigneshwaran Namasivayam, mit der Fahndung nach einem Hemmstoff begonnen – und die Grundlagen für den aktuellen Erfolg gelegt. Die jetzt publizierten Resultate stimmen hoffnungsfroh, dass sich mittelfristig neue Medikamente herstellen lassen, die die Öffnung des P2X4-Rezeptors noch effektiver unterbinden. Bis dahin sei es noch ein weiter Weg, betont Müller. „Doch immerhin haben wir mit unserer Gemeinschafts-Studie die Basis dazu gelegt, dass das gelingen könnte.“ Beteiligte Institutionen und Förderung An der Studie waren neben Universität Bonn und Universitätsklinikum Bonn die LMU München sowie die Firma Cube Biotech in Monheim beteiligt. Die Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) sowie den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert.
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