Sanktioniert die wissenschaftliche Gemeinschaft sexuelles Fehlverhalten?22. September 2025 Symbolbild: KI-generiert, Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb Wissenschaftliches Fehlverhalten oder gar Betrug schaden der Reputation von Forschenden. Aber wie wirken sich Verstöße aus, die nicht die Forschungsintegrität betreffen? Eine aktuelle Studie hat sexuelles Fehlverhalten im Fokus. Die Wissenschaft strebt danach, verlässliches Wissen zu produzieren, unser Verständnis der Welt zu erweitern und den Fortschritt voranzutreiben. Dieses Streben hängt nicht nur von individueller Exzellenz, sondern auch von Zusammenarbeit, Austausch und Unterstützung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft ab. Während die Veröffentlichung fehlerhafter oder betrügerischer Forschung oft zu Reputationsschäden führt, war bisher unklar, ob auch Fehlverhalten, das nicht die Forschungsintegrität betrifft, aber der Gemeinschaft schadet, ähnliche Folgen hat. Eine Studie liefert nun wichtige Erkenntnisse für den Umgang mit sexuellem Fehlverhalten und die Stärkung von Normen in der Wissenschaft. Die in „The Review of Economics and Statistics“ erschienene Studie von Rainer Widmann, Michael E. Rose und Marina Chugunova ist der Frage nachgegangen, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht nur „schlechte Wissenschaft“, sondern auch „schlechtes Sozialverhalten“ sanktioniert. Werden die Veröffentlichungen mutmaßlicher Täter weiterhin zitiert? Die Forschenden haben sich dabei auf sexuelles Fehlverhalten konzentriert, das in der Wissenschaft ebenso vorkommt wie in anderen Bereichen. Die vorgestellte Untersuchung ist die erste, die systematische und kausale Erkenntnisse über die Folgen sexuellen Fehlverhaltens für die Täter liefert. Dazu erstellten die Forschenden einen Datensatz von 210 Wissenschaftlern aus allen Disziplinen an forschungsintensiven Universitäten in den USA, gegen die zwischen 1998 und 2019 Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens öffentlich wurden. In ihrer Analyse verfolgen sie die Zitierungen von wissenschaftlichen Artikeln mutmaßlicher Täter, die vor Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens veröffentlicht wurden, und vergleichen sie mit den Zitierungen anderer Artikel aus derselben Zeitschriftenausgabe. Um die Folgen der Vorwürfe für die Beschuldigten zu untersuchen, wurden diese mit einer Gruppe von Forschenden verglichen, die ihnen in Bezug auf verschiedene Beobachtungsmerkmale ähnlich waren. Fachkultur prägt Reaktionen auf Fehlverhalten Das Forschungsteam stellte fest, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft frühere Arbeiten mutmaßlicher Täter nach dem Bekanntwerden der Anschuldigungen seltener zitiert. Netzwerke spielen eine Rolle bei der Verbreitung der Information über das Fehlverhalten und beeinflussen die Reaktion anderer Forschender: Forschende, die dem Täter im Rahmen eines Koautoren-Netzwerks sehr nahestehen (wie ehemalige Koautoren), reagieren am stärksten und reduzieren ihre Zitierungen am deutlichsten. Der Effekt ist bei engen männlichen Peers besonders ausgeprägt. In stärker männlich dominierten Disziplinen fällt der Effekt hingegen schwächer aus, was darauf hindeutet, dass die Fachkultur die Reaktionen auf Fehlverhalten prägt. Vergleicht man die Ergebnisse der neuen Studie mit Zitationsstrafen für wissenschaftliches Fehlverhalten, zeigen sich ähnliche Größenordnungen. Darüber hinaus dokumentiert die Studie, dass mutmaßliche Täter mit erheblichen Konsequenzen für ihre Karriere zu rechnen haben: Sie veröffentlichen weniger, kooperieren weniger mit anderen und verlassen die akademische Forschung mit größerer Wahrscheinlichkeit. Sexuelles Fehlverhalten bleibt nicht folgenlos Die Ergebnisse machen deutlich, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft auf sexuelles Fehlverhalten reagiert und dieses nicht folgenlos bleibt – auch wenn es nicht unmittelbar die Qualität der Forschung betrifft. Damit liefert die Studie wichtige Impulse für die Diskussion über den Umgang mit Fehlverhalten und die Stärkung professioneller Normen in der Wissenschaft. Die Ergebnisse sind besonders wichtig, da die moderne Forschung zunehmend auf Zusammenarbeit und soziale Interaktion ausgerichtet ist. Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse für Fachorganisationen, die wissenschaftliche und soziale Normen stärken möchten.
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