Sauerstoffmangel während der Geburt: Von schädlichen zu heilenden Immunzellen

Dreidimensionale Aufnahme eines Mausgehirns mittels Lichtblattmikroskopie. Dargestellt sind neutrophile Granulozyten (magenta), die aus den Blutgefäßen (cyan) in das hypoxisch-ischämische Gewebe (rechts) eingewandert sind. Quelle: Mathis Richter/Eva Diesterbeck. Copyright: Mathis Richter/Eva Diesterbeck

Neutrophile Granulozyten richten nach einem Sauerstoffmangel im Gehirn von Neugeborenen nicht nur Schaden an, sondern tragen zu einem späteren Zeitpunkt auch zur Heilung bei, so eine neue Studie.

Kommt es um den Zeitpunkt der Geburt zu einem Sauerstoffmangel, kann das Gehirn eines Neugeborenen schweren Schaden nehmen. Etwa sechs bis neun von 1000 Babys sind betroffen. Die Folge kann eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) sein. Bisher gibt es nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit: die Kühlungstherapie. Diese muss jedoch innerhalb der ersten sechs Lebensstunden begonnen werden und hilft nicht allen Kindern.

Die Entwicklung zusätzlicher Therapieansätze benötigt ein besseres Verständnis des Krankheitsverlaufs, betont ein Forscherteam der Universitätsmedizin Essen, der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Universität Münster in einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichte wurde.

Bereits bekannt ist, dass direkt nach der Schädigung des Gehirns neutrophile Granulozyten in das betroffene Gebiet einwandern und dort z.B. durch aggressive Sauerstoffradikale weiteres Hirngewebe schädigen. Das entspricht ihrer bekannten Rolle als „entzündliche“ Zellen, so die Autoren.

Rollenwechsel im Krankheitsverlauf

In der nun veröffentlichten Studie zeigte sich laut den Wissenschaftlern ein überraschender Effekt. „Unsere Ergebnisse belegen, dass Neutrophile zu einem späteren Zeitpunkt erneut einwandern und dann helfen, die unterbrochenen Entwicklungsprozesse wiederherzustellen. Somit eröffnen sich neue Perspektiven für therapeutische Ansätze, zusätzlich zur Kühlung der Kinder“, berichtet Letztautorin PD Dr. Josephine Herz.

Die Forschenden haben im Mausmodell sowohl die frühe als auch die späte Krankheitsphase eingehend untersucht. Wurden Neutrophile in der akuten Phase entfernt, starben weniger Nervenzellen ab und die Tiere zeigten weniger neurologische Auffälligkeiten. Wurden die Neutrophilen im späteren Krankheitsverlauf entfernt, heilte das Gehirn deutlich schlechter. Es entstanden weniger neue Blutgefäße und die Entwicklung der schützenden Markscheiden der Nervenzellen war gestört. Die betroffenen Tiere zeigten außerdem langfristig schlechtere neurologische Fähigkeiten, heißt es weiter in der Pressemitteilung der Universitätsklinikum Essen.