Schlaganfall: Frühzeitige Risikobestimmung durch Tränenflüssigkeit, Mitochondrien und KI-basierte Daten

Olga Golubnitschaja.Foto.©UKB/R. Müller

Prof. Olga Golubnitschaja, Leiterin der Forschungsgruppe für 3P(prädiktive, präventive und personalisierte)-Medizin des Universitätsklinikums Bonn hat zusammen mit der Universität Bonn und weiteren Autoren von 25 Institutionen aus elf Ländern einen ganzheitlichen Ansatz erarbeitet, um das Schlaganfall-Risiko frühzeitig bestimmen zu können.

Pro Jahr erleiden global über 100 Millionen Menschen einen Schlaganfall. Am häufigsten tritt der ischämische Schlaganfall auf, welcher jedoch auch „im Stillen“ verlaufen kann und damit oft unentdeckt bleibt. Die Folge können schwere Erkrankungen wie Demenz, Depression oder sogar Suizid sein. Die Zahl der Schlaganfälle hat in den letzten Jahren global zugenommen. „Alarmierend sind vor allem die Zahlen bei den jüngeren Menschen unter 50.“, erklärt Golubnitschaja. „Hier hat sich die Zahl innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Hinzu kommen außerdem die unentdeckten Fälle. Schätzungen besagen, dass der Anteil in der Bevölkerung etwa 14-Mal größer ist als der Anteil der diagnostizierten Fälle, auf die reaktive medizinische Maßnahmen angewendet werden.“

Paradigmenwechsel von „reaktiver“ zu „prädiktiver“ Medizin gefordert

Die Forscher haben deshalb ein innovatives Konzept erarbeitet, das zur Verhinderung von Schlaganfällen beitragen soll und auf „prädiktive“ – anstelle der „reaktiven“ Medizin setzt. Es geht darum, die Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen vorherzusagen. Darauf basierend sollen Maßnahmen getroffen werden, um das Krankheitsrisiko zu verringern, anstatt auf eine bereits etablierte Krankheit zu reagieren. „Die Entwicklung von einer Prädisposition zum klinisch nachgewiesenen Schlaganfall oder auch zum Herzstillstand passiert nicht von heute auf morgen, sondern über Jahre. Daher ist die Zeit für eine gezielte Prävention geräumig und soll zu Gunsten der anfälligen Bevölkerungsgruppen kosteneffektiv genutzt werden. Es gibt verschiedene Risikofaktoren und Parameter, die darauf hinweisen und welche vorab untersucht werden können“, erörtert Golubnitschaja. Gemeinsam mit ihrer 3PM-Forschungsgruppe der Universität Bonn und dem internationalen 3PM-Konsortium (European Association for Predictive, Preventive and Personalsed Medicine, EPMA) hat sie einen nichtinvasiven, schmerzfreien Ansatz entwickelt, der eine Gesundheitsrisikobewertung durch Tränenflüssigkeit, Mitochondrien als lebenswichtigen Biosensor und eine KI-gestützte Dateninterpretation nutzt.

Mitochondrien dienen als natürlicher Biosensor

„Mitochondrien sind in jeder Zelle unseres Körpers vorhanden und fungieren als lebenswichtiger Partner und strenger Beobachter, ob mit unserer Gesundheit alles stimmt“, erläutert Golubnitschaja und fügt hinzu: „Wenn etwas nicht in Ordnung ist, melden sich die Mitochondrien durch Mitophagie und signalisieren an alle Systeme, dass wir ein gesundheitliches Problem haben. Diese Signale sind objektiv anhand von Flüssigbiopsien messbar.“ Durch die nichtinvasive und für den Betroffenen schmerzfreie Entnahme der Tränenflüssigkeit, könne somit ein individuelles Profil des Patienten erstellt werden.

Ergänzt durch zusätzliche routinemäßige Befragungen bei regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, zum Beispiel über familiäre Veranlagungen, Lebensgewohnheiten oder auch Schlaf- und Ernährungsverhalten, würden eine Reihe von Parametern für eine individualisierte Risikobewertung entstehen. Aufgrund der Vielzahl an Hilfsgrößen setzen die Wissenschaftler auf künstliche Intelligenz (KI), um Algorithmen zu entwickeln. Diese könnten eine präzise, prädiktive Diagnose und damit das Ausarbeiten von gezielten Vorsorgemaßnahmen ermöglichen.

„Die Umsetzung der 3PM-Innovation spart sowohl menschliche als auch finanzielle Ressourcen“, resümiert Golubnitschaja. „Die geschätzte weltweite wirtschaftliche Belastung durch Schlaganfälle beträgt über 891 Milliarden US-Dollar jedes Jahr. Das ist ein wirtschaftliches Desaster, dem wir durch prädiktive Medizin entgegenwirken wollen, indem wir durch unseren ganzheitlichen Ansatz Schlaganfällen entgegenwirken können, bevor sie entstehen.“