Schlüsselmechanismus der Alzheimer-Erkrankung entdeckt1. September 2025 Foto: © peterschreiber.media – stock.adobe.com Wissenschaftler Universität Heidelberg haben gemeinsam mit Forschenden der Shandong-Universität in China einen molekularen Mechanismus aufgedeckt, der entscheidend zum Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit beiträgt. Unter der Leitung des Neurobiologen Prof. Hilmar Bading von der Universität Heidelberg wies das Team an einem Alzheimer-Mausmodell nach, dass ein neurotoxisch wirkender Protein-Protein-Komplex für das Absterben von Nervenzellen im Gehirn und den daraus resultierenden kognitiven Verfall verantwortlich ist. Diese Erkenntnis eröffnet nach Angaben der Wissenschaftler neue Perspektiven für die Entwicklung wirksamer Therapien. Der aus Vorgängerstudien bekannte Protein-Protein-Komplex besteht aus dem NMDA-Rezeptor und dem Ionenkanal TRPM4. Die NMDA-Rezeptoren, die für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen mitverantwortlich sind, befinden sich auf der Zelloberfläche und sind sowohl in den Synapsen als auch außerhalb dieser Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen vorhanden. Sie werden durch den Neurotransmitter Glutamat aktiviert. Diese Aktivierung ist entscheidend für das Überleben von Nervenzellen sowie für den Erhalt kognitiver Fähigkeiten. Außerhalb der Synapsen verleiht TRPM4 diesen Rezeptoren jedoch toxische Eigenschaften. Gemeinsam bilden sie einen „Todeskomplex“, der zu Schädigungen sowie zum Tod von Nervenzellen führen kann, erklärt Bading, der am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) der Universität Heidelberg das Institut für Neurobiologie leitet. Pharmakologischer Hemmstoff kann Todeskomplex auflösen Der neurotoxisch wirkende NMDAR/TRPM4-Komplex ist bei Alzheimer-Mäusen im Vergleich mit gesunden Tieren deutlich vermehrt zu finden, wie die Forschungen zeigen. Dass er eine Schlüsselrolle beim fortschreitenden kognitiven Verfall spielt, konnte das internationale Forschungsteam nun mithilfe eines neuartigen Wirkstoffprinzips nachweisen – einem sogenannten „TwinF Interface Inhibitor“ mit der Bezeichnung FP802, den Bading und sein Team am IZN in früheren Untersuchungen entdeckt haben. In den aktuellen Untersuchungen an einem Mausmodell ist es gelungen, den tödlichen Protein-Protein-Komplex mithilfe dieses neuroprotektiven Moleküls zu zerlegen. FP802 bindet dazu an die als „TwinF“ bezeichnete Kontaktfläche, über die TRPM4 mit den NMDA-Rezeptoren interagiert. Der pharmakologische Hemmstoff blockiert dadurch die physischen Interaktionen der beiden Proteine und löst den Komplex auf. „Bei Alzheimer-Mäusen, die mit dem Molekül behandelt wurden, konnte das Fortschreiten der Erkrankung deutlich verlangsamt werden“, sagt Dr. Jing Yan, Wissenschaftler im Team von Prof. Bading und nun tätig bei FundaMental Pharma, einer Biotech-Ausgründung des IZN-Instituts für Neurobiologie. Typische zelluläre Veränderungen aufgrund der Alzheimer-Erkrankung – darunter der Verlust von Synapsen sowie strukturelle und funktionelle Schädigungen der Mitochondrien, der „Kraftwerke“ der Zelle – traten nach Angaben der Forscher nicht oder nur in geringem Ausmaß auf. Auch kognitive Fähigkeiten wie Lernen und Gedächtnis blieben weitgehend erhalten. Zudem war die für Alzheimer charakteristische Bildung von Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn deutlich reduziert. Wirkstoffprinzip ist potenziell breiter anwendbar Dieser Ansatz unterscheidet sich nach Baldings Worten grundlegend von bisherigen Therapiestrategien für die Alzheimer-Erkrankung. „Statt auf die Entstehung oder Entfernung von Amyloid aus dem Gehirn zu zielen, blockieren wir mit dem NMDAR/TRPM4-Komplex einen nachgeordneten zellulären Mechanismus, der einerseits zum Absterben von Nervenzellen führen kann und andererseits – in einer krankheitsverstärkenden Rückkopplung – die Bildung von Amyloid-Ablagerungen befördert“, erklärt der Heidelberger Neurobiologe. In Vorgängerstudien konnte das Team vergleichbare neuroprotektive Effekte des „TwinF Interface Inhibitors“ FP802 für Krankheitsmodelle der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) nachweisen. Hier kommt ebenfalls der NMDAR/TRPM4-Komplex zum Tragen. Die Forscher vermuten daher, mit dem neuartigen Hemmstoff ein potenziell breit anwendbares Wirkstoffprinzip gefunden zu haben, dass das Fortschreiten neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und ALS verlangsamen oder sogar aufhalten könnte. Eine denkbare klinische Anwendung liegt jedoch noch in weiter Ferne, so Prof. Bading. „Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend im präklinischen Kontext; bis zu einer möglichen Anwendung beim Menschen sind jedoch umfangreiche pharmakologische Entwicklungsarbeiten, toxikologische Untersuchungen sowie klinische Studien erforderlich“, betont der Wissenschaftler. In enger Zusammenarbeit mit FundaMental Pharma soll das neuroprotektive Molekül FP802 dafür in den kommenden Jahren optimiert werden. Die Forschungsarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Europäischen Forschungsrat, dem damaligen Bundesministerium für Bildung und Forschung, der chinesischen Nationalen Stiftung für Naturwissenschaften sowie von der ostchinesischen Provinz Shandong gefördert. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ erschienen.
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