Schnellere Diagnose für Erreger der nekrotisierenden Fasziitis30. August 2019 Streptococcus-Arten können die nekrotisierende Fasziitis auslösen HZI/Manfred Rohde HZI-Forscher identifizieren potenzielle Biomarker für Einzelerreger und Mischinfektionen Schwere Infektionen durch „fleischfressende“ Bakterien machen zunehmend Schlagzeilen. Dahinter steckt das Krankheitsbild der nekrotisierenden Fasziitis (necrotizing soft tissue infections). Diese seltenen Infektionskrankheiten verursachen dramatische Gewebezerstörungen. Den Patienten müssen oft Gliedmaßen amputiert werden oder sie versterben, bevor eine passende Therapie gefunden wird. Der rasante Krankheitsverlauf, verschiedene bakterielle Erreger und deren zunehmende Antibiotikaresistenz machen eine Schnelldiagnostik nötig. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) erlangten jetzt mithilfe modernster Methoden erstmals Einblicke in die Zusammensetzung der Erreger der oft durch bakterielle Mischinfektionen verursachten Krankheit. Zudem konnten sie die am Infektionsort ablaufenden Infektionsprozesse besser charakterisieren und Unterschiede in der Wirtsantwort in Abhängigkeit vom Erregerspektrum beobachten. Damit gelang es, potenzielle Biomarker für die durch Einzelerreger wie Streptococcus pyogenes oder bakterielle Mischinfektionen verursachte nekrotisierende Fasziitis zu identifizieren. Diese neuen Biomarker könnten zukünftig in der klinischen Anwendung eine schnellere Diagnostik der Erreger und damit eine zugeschnittene Therapie ermöglichen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher jetzt im renommierten Fachjournal Nature Communications. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Die unauffälligen grippeähnlichen Anfangssymptome der nekrotisierenden Fasziitis (NF) sind für Ärzte schwer zu diagnostizieren. Völlig gesunde Menschen können daran erkranken, aber vor allem immungeschwächte Menschen. Den Patienten bleiben nur drei bis vier Tage für eine Rettung. Die Sterberate liegt bei 30 Prozent und steigt auf 70 Prozent an, wenn die richtige klinische Diagnose fehlt. Zudem ist eine schnelle Identifizierung der Erreger dringend nötig, um die Patienten mit einer zugeschnittenen Therapie behandeln zu können. Dies ist auch besonders bedeutsam vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen vieler Bakterienarten. Lange war nicht bekannt, welche unterschiedlichen Erreger überhaupt bei der nekrotisierenden Fasziitis involviert sind. Im Rahmen des EU-Projektes INFECT wurde für diese Grundlagenforschung die weltweit größte Patienten-Kohorte zur nekrotisierenden Fasziitis angelegt. Für die Analysen standen humane Gewebeproben von insgesamt 150 Patienten zur Verfügung, die von Klinikern aus Norwegen, Dänemark und Schweden in einer Biobank gesammelt wurden. „Die nekrotisierende Fasziitis ist derzeit vermehrt in den Medien, da sie auch durch im Meerwasser lebende Vibrio-Arten hervorgerufen werden kann, wie in diesem Jahr in der Ostsee. Deutlich häufiger sind jedoch Infektionen mit dem bekannten Pathogen Streptococcus pyogenes“, sagt Prof. Dietmar Pieper, Mikrobiologe und Leiter der Forschungsgruppe „Mikrobielle Interaktionen und Prozesse“, der das Projekt des Begründers Prof. Singh Chhatwal am HZI weiterführt. „Sehr oft sind die Infektionen jedoch bakterielle Mischinfektionen aus einem breiten Spektrum verschiedener Erreger.“ Über die Zusammensetzung und Aktivität dieser polymikrobiellen Gemeinschaften ist bisher noch sehr wenig bekannt. In einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Teams von Pieper und Prof. Eva Medina konnten die Forscher über ein mikrobielles Profiling durch 16S-rRNA-Analysen zeigen, welche Erreger an den Mischinfektionen beteiligt sind. „Wir konnten die Bakterienarten Prevotella, Fusobakterium, Parvimonas und Porphyromonas immer wieder in einer ähnlichen Zusammensetzung nachweisen“, sagt Pieper. „Bisher war noch nicht bekannt, wie Gemeinschaften von eigentlich harmlosen Bakterien Infektionen verursachen können, die die gleiche Sterblichkeitsrate und das zerstörerische Potenzial wie ‚professionelle Pathogene‘ haben, wie zum Beispiel das gut untersuchte Bakterium Streptococcus pyogenes.“ Diese polymikrobiellen Infektionen, hervorgerufen durch normale Besiedler unseres Darms, der Haut oder des Mundes, wären noch viel zu wenig untersucht, weil sich die Forschung bisher auf Infektionen, die durch ein typisches Pathogen hervorgerufen werden, konzentrierte. Um die Infektionsmechanismen der einzelnen Erreger und Mischinfektionen besser zu verstehen, führten die Forscher neben dem mikrobiellen Profiling eine sogenannte duale RNA-Sequenzierung an den Gewebeproben durch, die eine Aussage über die Aktivität der Pathogene und der Wirtsantwort direkt am Infektionsort erlaubte. „Während die krankheitserregenden Mechanismen von Pathogenen gut untersucht sind, gibt es kaum Informationen, wie eigentlich harmlose Bakterien die Gewebezerstörung vorantreiben“, sagt HZI-Wissenschaftler Dr. Robert Thänert, der die Arbeiten koordinierte. „Wir konnten jetzt zeigen, dass Einzelerreger wie Streptococcus und die Bakterien, die man in Mischinfektionen findet, völlig verschiedene Mechanismen nutzen, was zu unterschiedlichen Prozessen der Gewebezerstörung führt.“ Die mikrobielle Besiedelung rufe im Wirt unterschiedliche Antworten im infizierten Gewebe hervor, die auch im Blutserum nachweisbar sind. Die HZI-Forscher konnten feststellen, dass sich die Bakterienarten, die man in Mischinfektionen antrifft, die Arbeit aufteilen. „Wie in einem Orchester arbeiten sie zusammen und sind damit in der Lage, das Wirtsgewebe zu kolonisieren und hier eine zerstörerische entzündliche Immunantwort zu verstärken“, sagt Medina, Leiterin der HZI-Forschungsgruppe „Infektionsimmunologie“. Feine Unterschiede in der Wirtsantwort auf die Infektion können die Forscher nun als diagnostische Biomarker nutzen, damit Ärzte schnell über den Erreger informiert sind und eine passende Therapie ableiten können. Die Forschungsarbeiten eröffnen eine völlig neue Sichtweise auf das unterschiedliche Infektionsgeschehen bei mono- und polymikrobiellen Infektionen, die eine nekrotisierende Fasziitis verursachen können. Zukünftige Studien müssen die neuen Biomarker nun validieren, damit diese als Diagnostik-Tools einsetzbar werden.
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