Schwere Herzinsuffizienz: Den Defi nicht vergessen!14. April 2023 Die medikamentöse Behandlung und der Defibrillator sind keine Konkurrenten, sondern zwei Teile einer lebensverlängernden Therapie bei schwerer Herzinsuffizienz. Foto: ©izzuan/stock.adobe.com Die fortgeschrittene, lebensverlängernde Behandlung der Herzinsuffizienz macht den implantierbaren Defibrillator (ICD) mittlerweile überflüssig? Ein Trugschluss, wie PD Dr. Carsten Israel auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim erläuterte. „Wir haben in der Kardiologie immer bessere Möglichkeiten, eine schwere Herzinsuffizienz zu therapieren und sind insbesondere mit der interventionellen und medikamentösen Behandlung in den letzten Jahren sehr erfolgreich geworden“, betonte der Leiter der Ausbildungsstätte für Spezielle Rhythmologie – Aktive Herzrhythmusimplantate am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Mit Blick auf diese positiven Wandlungen in der Herzinsuffizienz-Behandlung würden sich manche fragen, ob ICDs als weitere Therapieoption überhaupt noch benötigt werden. Studie aus 2017 führt aufs Glatteis Hintergrund für die Zweifel ist vor allem ein 2017 im „New Negland Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlichtes einflussreiches Paper, wie Israel erklärte. Darin fassen die Autoren die wichtigsten Studien aus den Jahren 1995 bis 2015 zusammen und veranschaulichen in einer Grafik, wie viele Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten in der jeweiligen Studie an einem Plötzlichen Herztod (SCD) gestorben sind. Über die Zeit können sie einen sukzessiv abnehmenden Verlauf feststellen. Mithilfe einer Ausgleichsgerade berechneten die Autoren, dass das Risiko für einen SCD pro Jahrzehnt um 1,2 Prozent sinke, bis es irgendwann so niedrig sei, dass man es vernachlässigen könne. Sie gelangen zu dem Schluss, dass der SCD bei Herzinsuffizienz-Erkrankten inzwischen so selten sei und seltener werde, dass eine Therapie mit ICD nicht mehr notwendig sei, bzw. gegenüber einer medikamentösen Therapie keinen weiteren Vorteil bringe. „Das ist deshalb brisant, weil in den Leitlinien eine prophylaktische Indikation für einen ICD bei Patient:innen mit Herzschwäche und einer Ejektionsrate von unter 35% angezeigt wird“, hob der Rhythmologe hervor. „Die Autoren des Papers im NEJM legen damit den Schluss nahe, dass die Leitlinien entsprechend angepasst werden müssten. Aktuell erleben wir, dass diese Ansicht Schule macht. Ich halte das für eine Fehleinschätzung“, monierte der Experte. Jährliches SCD-Risiko stagniert bei 2,7 Prozent Gemeinsam mit Francisco Leyva von der Aston Medical School in Birmingham (Großbritannien) und Jagmeet Singh von der Harvard Medical School in Boston (USA) legte Israel in einem kürzlich veröffentlichten Artikel in „Circulation“ seine Kritik dar. In der Analyse im NEJM von 2017 werde vor allem die RALES-Studie von 1999 (Studienbeginn 1995), in der praktisch alle eingeschlossenen Patientinnen und Patienten eine sehr schwere Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse III (ca. 70%) oder sogar IV (ca. 30%) hatten, mit der PARADIGM-HF-Studie von 2014 verglichen, in der die Patientinnen und Patienten ein wesentlich weniger schweres Stadium I (ca. 5%), II (ca. 70%) und nur selten III (ca. 25%), gar nicht Stadium IV aufwiesen. Dies allein könne schon die beobachtete geringere SCD-Sterblichkeit in PARADIGM-HF erklären, stellte Israel auf dem DGK klar. Weiterhin seien Studien in die Analyse eingeschlossen worden, die nichts mit dem Thema zu tun haben, etwa 2 Untersuchungen zu Statinen, während man andere wichtige Studien ausgelassen habe. „Unterm Strich muss man sich also fragen, wie aussagekräftig die Folgerung der Autoren tatsächlich ist“, so Israel. Weiter erklärt er: „Wenn man die Studien etwas genauer analysiert, kann man erkennen, dass das Risiko für einen SCD bei Herzschwäche-Patient:innen zwar geringer geworden ist – in den 1980er Jahren lag die jährliche Mortalitätsrate bei rund neun Prozent. Durch die neuen verbesserten Therapien ist sie auf 2,7 Prozent gesunken, allerdings stagniert der Wert dort seit Jahren bis heute. 2,7 Prozent pro Jahr klingt nicht niedrig, tatsächlich ist der Wert aber extrem hoch! Ab einem Prozentsatz von 1,2 pro Jahr sprechen wir von einem hohen Risiko.“ Der SCD ist Israel zufolge bei schwerer Herzschwäche eine der häufigsten Todesursachen überhaupt. Sein Fazit: „Dass der SCD sukzessive seltener wird, ist ein Mythos.“ ICD und medikamentöse und interventionelle Behandlung ergänzen sich Der Spezialist wies darauf hin, dass Menschen, bei denen eine schwere Herzinsuffizienz diagnostiziert wird, zu 80 bis 99 Prozent an ihrer Herzschwäche versterben – und zwar zu 25 bis 60 Prozent durch ein fortschreitendes Herzversagen und zu 25 bis 60 Prozent am SCD. Je besser Betroffene hinsichtlich ihrer Herzschwäche behandelt würden, desto größer werde das kumulative Risiko am SCD zu versterben. „Wenn wir nur eins von beidem behandeln, verschieben wir lediglich die Art der Todesursache.“ So belegt auch die Studie PARADIGM-HF die Wirksamkeit des ICD: Im Nachhinein wurde hier die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patientinnen und Patienten mit Indikation für einen ICD verglichen, die entweder ausschließlich medikamentös behandelt wurden und jenen, die einen ICD und Medikamente bekamen. Im Ergebnis lag die Überlebensrate der Letzteren mehr als dreimal höher. „Das zeigt sehr gut, dass eine Device-Therapie gegen SCD und eine gute medikamentöse und interventionelle Behandlung keine Konkurrenten sind – sie sind komplementär“, betonte Israel. Eine gute Therapie einer Herzinsuffizienz decke daher immer beides ab: Das Risiko am nichtplötzlichen Herztod zu versterben, wie auch das Risiko für den SCD. SCD-Rate deutlich höher als das Risiko für Komplikationen Einen Einwand in Punkto Komplikationen durch den ICD lässt Israel dabei nicht gelten. „Wir haben in den letzten Jahren oft gehört, welche Komplikationen bei den Kabeln der Defibrillatoren auftreten können. Sie können einen Defekt haben, oder eine Infektion verursachen, die dann weitere Eingriffe nach sich ziehen. Daraus resultierte die Wahrnehmung, dass alles, was mit Kabeln zu tun hat, extrem gefährlich sei. Das jährliche Risiko für eine der beiden Komplikationen liegt allerdings bei je ca. ein Prozent. Das Risiko, dass eine der beiden Komplikationen tödlich verläuft, liegt sogar nur bei ca. 0,1 Prozent“, rechnete er vor. „Trotzdem werden diese 0,1 Prozent Risiko für einen Todesfall durch einen ICD häufig als gewichtiger wahrgenommen als die Mortalitätsrate beim SCD von 2,7 Prozent pro Jahr ohne ICD.“ Problem Unterversorgung Gleichzeitig schränkte Israel auch ein, dass es bessere Daten bräuchte, um eine letztendliche Behandlungsempfehlung zu geben. Es sei zu klären, wie viele Menschen tatsächlich an einer Defibrillatorkomplikation sterben. „Wir benötigen erstmals eine richtige Nutzen-Risiko-Evaluation eines ICD bei Herzschwäche. Damit brauchen wir wahrscheinlich nicht weniger ICD-Implantationen, sondern mehr. Auch wenn wir in Deutschland die meisten Defibrillatoren in Europa implantieren, sind wir von einer adäquaten Therapie mit ICDs noch weit entfernt“, ist der Kardiologe überzeugt. „Ein Großteil der Herzinsuffizienz-Patient:innen, die von einem Defibrillator profitieren würden, bekommen ihn nicht implantiert, eben weil die Wahrnehmung des Themas aktuell so fehlerhaft ist“, resümiert er. „Medikamentöse Behandlung und ICDs sind keine Konkurrenten. Im Gegenteil: Es sind zwei Therapien, die sich gegenseitig ergänzen und so für Herzinsuffizienz-Patient:innen die beste Überlebenswahrscheinlichkeit ermöglichen.“ (ah)
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