Schwere körperliche Arbeit ist ein Risikofaktor für ALS24. November 2021 Die Erstautorin der Studie, PD Dr. Angela Rosenbohm, ist Ärztin und Wissenschaftlerin an der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie. (Foto: RKU) Forschende der Ulmer Universitätsmedizin haben schwere körperliche Arbeit als Risikofaktor für die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) identifiziert. In ihrer Fachveröffentlichung beschreiben die Autorinnen und Autoren zudem ein neu entdecktes ALS-Frühsymptom: Offenbar sinkt das Aktivitätsniveau Betroffener bereits fünf Jahre vor der Diagnose. Wer im Beruf körperlich schwere Arbeit verrichtet, erkrankt offenbar häufiger an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) als zum Beispiel Büroangestellte. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ulmer Universitätsmedizin. Insgesamt scheint das Aktivitätsniveau Einfluss auf Krankheitsentstehung und -verlauf zu haben: Die Forschenden aus Neurologie und Epidemiologie haben einen plötzlichen Abfall der körperlichen Betätigung erstmals als ALS-Frühsymptom identifiziert und gezeigt, dass moderate Bewegung nach Krankheitsbeginn die durchschnittliche Überlebensdauer erhöht. Haben körperlich schwer arbeitende Steinmetze, Holzfäller oder Spitzensportler ein erhöhtes Risiko, an ALS zu erkranken? Und kann physische Aktivität den Krankheitsverlauf beeinflussen? Diese Forschungsfragen waren Ausgangspunkt einer umfangreichen Studie der Ulmer Universitätsmedizin, in der die gesamte Lebensspanne der Teilnehmenden betrachtet wird. „Bereits seit den 1960-er Jahren wird schwere körperliche Arbeit als ALS-Risikofaktor diskutiert. Auslöser waren die Erkrankungen des prominenten US-Baseballspielers Lou Gehrig und einiger italienischer Fußballspieler an Amyotropher Lateralsklerose“, erklärt Prof. Albert Ludolph, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie (RKU). Die Studienlage, ob körperlich schwere Arbeit Krankheitsentstehung und -verlauf beeinflusst, ist bisher allerdings uneindeutig. Daher haben die Ulmer Forschenden diesen Zusammenhang sowie den Einfluss der körperlichen Gesamtaktivität in einer groß angelegten Studie zu überprüft. Die Basis bildet das ALS-Register Schwaben, in dem seit 2010 alle neu diagnostizierten Fälle der Region erfasst werden. Für die aktuelle Studie haben 393 ALS-Erkrankte sowie 791 gesunde Kontrollpersonen in standardisierten Interviews Auskunft über Dauer und Art ihrer Aktivitäten in verschiedenen Lebensphasen (mit 20, 30, 40, 50 und 60 Jahren) gegeben. Dabei wurden sie gebeten, physische Belastungen bei der Arbeit und in der Freizeit einzuteilen: Zum einen in „schweißtreibende Aktivitäten“ wie intensiven Sport oder die Arbeit eines Landwirts, Bauarbeiters oder Steinmetz. Und zum anderen in leichte Anstrengungen wie Bürotätigkeiten oder Radfahren. Aus diesen Angaben berechneten die Forschenden den „MET-Wert“, also die Energie-Aufwendung bezogen auf Stunden pro Woche (1 MET= Sauerstoffverbrauch von 3,5 ml/kg/min). „Mit diesen umfangreichen Daten von Betroffenen und aus der gesunden Kontrollgruppe erhoffen wir uns Aufschluss über schwere körperliche Arbeit als möglichen ALS-Risikofaktor. Außerdem untersuchen wir den Einfluss der physischen Aktivität auf den Krankheitsverlauf“, resümiert Erstautorin PD Dr. Angela Rosenbohm, Oberärztin und Wissenschaftlerin an der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie. Die Ergebnisse der statistischen Auswertung haben unmittelbare klinische Relevanz: Offenbar hängt die körperliche Gesamtaktivität der Studienteilnehmenden nicht mit einem erhöhten ALS-Risiko zusammen. Erkrankte und Kontrollgruppe gaben auf die Lebensspanne bezogen ein vergleichbares Belastungsniveau an. Bei den ALS-Patientinnen und -Patienten zeigte sich allerdings rund fünf Jahre vor der Diagnose ein signifikanter Aktivitätsabfall. Die Forschenden vermuten, dass bereits vor Symptombeginn subklinische Verschlechterungen oder krankheitsbezogene Veränderungen des Stoffwechsels sowie des Lebensstils eintreten. Insgesamt zeigt der Vergleich mit der gesunden Kontrollgruppe, dass schwere körperliche Arbeit mit einem fast doppelt so hohen ALS-Risiko assoziiert ist. Bewegung in der Freizeit hat offenbar keine vergleichbar negativen Auswirkungen. „Allerdings könnten auch andere noch unbekannte Belastungen am Arbeitsplatz das Erkrankungsrisiko beeinflussen“, erläutert Prof. Gabriele Nagel vom Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Universität Ulm. Weiterhin hängt die mittlere Überlebensdauer nach der Diagnose offenbar mit dem Aktivitätsniveau zusammen: Die kürzeste Überlebensspanne mit 15,4 Monaten hatten inaktive ALS-Erkrankte. Aber auch die körperlich agilste Gruppe verstarb bereits nach durchschnittlich 19,3 Monaten. Bei einem moderaten Betätigungslevel von 10,5 MET/h pro Woche – das entspricht etwa zwei Stunden Fahrrad fahren in diesem Zeitraum – war die mittlere Überlebensdauer mit 29,8 Monaten am höchsten. „Mit dem Aktivitätsabfall etwa fünf Jahre vor der Diagnose haben wir vor allem erstmals ein stoffwechselassoziiertes Frühsymptom der ALS entdeckt. Außerdem konnten wir zeigen, dass körperliche Aktivität auch nach Symptombeginn die Überlebensdauer beeinflusst “, betont Rosenbohm. Die möglichen Auswirkungen krankheitsbedingter Veränderungen des Stoffwechsels oder des Lebensstils auf das Aktivitätsniveau müssen in künftigen Forschungsvorhaben genauer untersucht werden. Aber schon jetzt zeigt die Studie ALS-Patientinnen und -patienten Chancen auf, wie sie den Krankheitsverlauf ohne Medikamente selbst beeinflussen können: „Auch nach Symptombeginn würden wir zu moderater Bewegung raten“, bekräftigt Seniorautor Ludolph. Zum ALS-Register Schwaben Die nun veröffentlichte Studie beruht auf dem ALS-Register Schwaben. Darin sind alle neu diagnostizierten Fälle in der Region erfasst. Ziel des Registers, das ein Gebiet mit 8,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern abdeckt, ist die Bestimmung der ALS-Inzidenz sowie möglicher Risikofaktoren. Hierfür umfasst das Register eine Kontrollgruppe, die den ALS-Patientinnen und -Patienten in Alter und Geschlecht entspricht. So sollen Verhaltensweisen identifiziert werden, die Krankheitsentstehung und -verlauf beeinflussen können. Daher werden Informationen zu chronischen Erkrankungen, zur Einnahme von Medikamenten sowie zu Lebensstilfaktoren wie Bewegung oder Rauchen erhoben. Das ALS-Register Schwaben und die nun veröffentlichte Studie werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt. Originalpublikation:Rosenbohm A et al. Life Course of Physical Activity and Risk and Prognosis of Amyotrophic Lateral Sclerosis in a German ALS Registry. Neurology 2021;97(19):e1955–e1963.
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