Schweres Schädel-Hirn-Trauma: Frühe Neurorehabilitation reduziert Risiko für Alzheimer

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Wird eine neurorehabilitative Therapie innerhalb der ersten Woche nach einem mittleren bis schweren Schädel-Hirn-Trauma aufgenommen, sinkt das Risiko, in den folgenden Jahre an Alzheimer oder Demenz zu erkranken.

Weltweit erleiden rund 69 Millionen Menschen jährlich ein Schädel-Hirn-Trauma. Anhand von retrospektiven Analysen des TraumaRegisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TR-DGU) wird die jährliche Inzidenz eines mittleres bis schweren Schädel-Hirn-Traumas in Deutschland auf etwa 13,6 pro 100.000 Einwohner geschätzt, was hochgerechnet auf die deutsche Bevölkerung mehr als 11.000 Fällen pro Jahr entspricht. In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass Menschen mit Hirnverletzungen aufgrund einer anhaltenden Entzündungsreaktion, die die Hirnzellen im Laufe der Zeit schädigt, später im Leben mit höherer Wahrscheinlichkeit an Alzheimer erkranken.

Einer aktuellen Erhebung von Forschern der Case Western Reserve School of Medicine in Cleveland (Ohio, USA) zufolge kann das Risiko dafür gesenkt werden, wenn frühzeitig (innerhalb von 7 Tagen) nach mittlerem bis schwerem Schädel-Hirn-Trauma mit einer neurorehabilitativen Therapie begonnen wird. Die Neurorehabilitation umfasst Physiotherapie, Ergotherapie, kognitive Rehabilitation und Sprachtherapie.

Frühzeitige versus verzögerte Neurorehabilitation

Die Forscher um Erstautor Austin Kennemer analysierten die Gesundheitsdaten von mehr als 100 Millionen US-Patienten aus verschiedenen Gesundheitssystemen aus der TriNetX Analytics Platform. Sie identifizierten 37.081 Personen, bei denen mittels ICD-10-Code zwischen dem 1. Januar 2000 und dem 31. Dezember 2019 im Alter von 50 bis 90 Jahren ein mittelschweres oder schweres Schädel-Hirn-Trauma festgestellt worden war. Personen mit vorbestehender Demenz, Alzheimer-Erkrankung oder kognitiven Beeinträchtigungen wurden ausgeschlossen.

Anschließend teilten sie die inkludierten Patienten in zwei Gruppen ein: 28.157 Personen, denen innerhalb der ersten Woche eine Neurorehabilitation zuteil wurde (frühe Behandlungsgruppe) und 8924 Personen, bei denen die Neurorehabilitation erst im Zeitraum zwischen einer Woche und sechs Monate startete (verzögerte Behandlungsgruppe). Nach einem Propensity-Score-Matching wurden jeweils 8818 Patienten jeder Gruppe für den direkten Ergebnisvergleich herangezogen.

Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die innerhalb einer Woche behandelt wurden, ein um 41 Prozent geringeres Risiko hatten, innerhalb von drei Jahren an Alzheimer zu erkranken. Innerhalb von fünf Jahren war ihr Risiko im Vergleich zu denjenigen, deren Behandlung sich verzögerte, um 30 Prozent geringer. Die Forscher beobachteten ähnliche Risikoreduktionen für Demenz, kognitive Beeinträchtigungen und die Einnahme von Alzheimer-Medikamenten. Das berichten sie im „Journal of Alzheimer’s Disease“.

Studienlimitationen und Ausblick

Die Autoren weisen auf mehrere Einschränkungen ihrer Studie hin. Zum einen waren Art und Intensität der Neurorehabilitation in den Gruppen nicht vollständig standardisiert. Das könnte zu den unterschiedlichen Ergebnissen beigetragen haben. Zukünftige Studien sollten daher versuchen, die Behandlungsvariabilität zu kontrollieren, um den Einfluss des Behandlungszeitpunkts besser zu isolieren.

Zudem wurde der Schweregrad des Schädel-Hirn-Traumas lediglich anhand von ICD-10-Codes bestimmt. Diese sind möglicherweise nicht so genau sind wie beispielsweise die Glasgow Coma Scale, was eine ungenaue Klassifikation mit potenziellen Verzerrungen begünstigt. Auch die Alzheimer-Diagnosen basierten auf administrativen Codes, die in der klinischen Praxis variabel und fehleranfällig sein können.

Als retrospektive Beobachtungsstudie ist die Analyse außerdem anfällig für Residualkonfounding, sodass keine Kausalität abgeleitet werden kann. Aufgrund begrenzter Fallzahlen konnten bestimmte Demenzformen (z. B. Frontotemporale Demenz, Lewy-Körper-Demenz, chronisch traumatische Enzephalopathie) nicht untersucht werden. Schließlich ist die Datenbasis auf Patienten aus dem TriNetX-Netzwerk beschränkt, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Bevölkerungsgruppen einschränkt.

Mit Blick auf die klinische Praxis resümiert Erstautor Kennemer dennoch: „Unsere Analyse zeigt, dass schnelles Handeln langfristig entscheidend ist.“ Studienleiterin Prof. Rong Xu ergänzt: „Für die Millionen von Menschen, die jedes Jahr eine Kopfverletzung erleiden, ist die Botschaft klar: Eine sofortige Behandlung kann ihre geistige Gesundheit für Jahrzehnte schützen.“ Sie und ihr Team untersuchen nun, wie sich der Zeitpunkt der Neurorehabilitation nach einem Schädel-Hirn-Trauma auf das Risiko anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson auswirkt.

(ah/Biermann)